Re: Überhaupt nicht seltsam
Geschrieben von JeFra am 13. Juli 2004 18:46:15:
Als Antwort auf: Re: Überhaupt nicht seltsam geschrieben von Swissman am 12. Juli 2004 21:44:38:
Wenn Sie natürlich ihre Ehefrau nach genetischen Kriterien aussuchen wollen, um allenfalls vorhandene eigene "defekte" Gene auszugleichen, ist das im Prinzip ihre Sache.
So habe ich das nicht gemeint. Aber was würden Sie beispielsweise machen, wenn sich herausstellen sollte, daß Sie oder Ihre Frau Morbus Huntington geerbt haben? Im Prinzip soll es heute möglich sein, solchen Menschen die Zeugung von Nachwuchs ohne das Huntington-Gen zu ermöglichichen, und zwar selbst ohne Abtreibung im eigentlichen Sinne. Die Zeugung erfolgt in vitro, und wahrscheinlich verschafft man sich von dem Embryo in einem sehr frühen Stadium eine einzelne Zelle, deren DNS man mittels Polymerase-Kettenreaktion vermehrt und analysiert. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Embryo möglicherweise getötet wird (oder `verworfen', denn die Wissenschaftler werden sicher einen neutraleren Ausdruck vorziehen), könnte man aus ihm auf Wunsch auch zwei oder vier Personen `herstellen'. Man kann also im Gegensatz zur normalen Abtreibung nicht behaupten, bei diesem Vorgang werde jemand umgebracht.
Wenn es um Huntington, Tay-Sachs oder ähnliche schwere Krankheiten geht, erscheint mir diese Vorgehensweise aus ethischer Sicht ziemlich unprolematisch. Problematischer ist vielleicht, wo man die Grenze zieht. Darf man bei geistig minderbemittelten Personen durch Erbgutanalyse feststellen, welches der Chromosomen `verdorben' ist, und sie dann zwingen, ihren Nachwuchs auf die oben beschriebene Weise zu produzieren (und selbstverständlich so, daß das schlechte Chromosom nicht weitergegeben wird)? Das müßte ja nicht unbedingt mit roher Gewalt geschehen. Es wäre wohl ausreichend, bei Zuwiderhandlungen die Sozialhilfe zu kürzen. Das entbehrt ja auch nicht einer gewissen Logik: Wenn jemand sich von der Allgemeinheit durchfüttern lassen muß, hat die Allgemeinheit eben auch ein gewisses Recht, dafür zu sorgen, daß dessen Nachwuchs nicht ebenfalls aus rein biologischen Gründen zum Sozialfall wird. Wahrscheinlich ist aber heutzutage das Vertrauen zwischen den Bürgern und ihrem Staat bzw. der Wissenschaft (wohl nicht ohne guten Grund) auf einem so tiefen Punkt angelangt, daß sofort das Gerücht kursieren würde, bei einem solchen Programm gehe es in Wahrheit um Produktion von Greys, Reptiloiden oder Juden.
Es könnte natürlich auch sein, daß wir uns mißverstanden haben und Sie von Eugenetik nur dann sprechen wollen, wenn die Opfer dieses Programmes sterilisiert oder gar umgebracht werden. Würden Sie selbst die oben beschriebene `sanfte' Eugenetik bei Krankheiten wie Huntington ablehnen?
Ich sehe dabei übrigens auch durchaus einen Gegensatz zwischen Eugenetik und Sozialdarwinismus, wobei ich freilich nicht genau weiß, wie die moderne Soziologie und Politologie diese Begriffe verwendet. Ich halte es für sinnvoll, zwischen Eugenetik und Sozialdarwinismus zu unterscheiden, wobei der Sozialdarwinismus eher dazu tendiert, einen Vorgang der natürlichen Auslese zu überlassen, den die Eugenetik lieber auf relativ schmerzlose Weise im Labor verwirklichen will. Man könnte dann spekulieren, ob die modernen Gesellschaften nicht letztlich vor der Wahl zwischen Eugenetik und Sozialdarwinismus stehen. Wobei die Kirche im Mittelalter durchaus auch Ansätze zur Eugenetik praktiziert hat, etwa wenn die Klöster sich um bestimmte Sozialfälle gekümmert haben, diese aber weniger Möglichkeiten hatten, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen.
mfG,
JeFra
- Re: Überhaupt nicht seltsam Swissman 13.7.2004 22:47 (1)
- Re: Überhaupt nicht seltsam JeFra 14.7.2004 23:01 (0)