Glutjahr, Flutjahr, Blutjahr (Sibylla Weis zugeschrieben)

Aus Schauungen, Visionen & Prophezeiungen

Erwin Pohl aus Wetzlar (der Autor eines Büchleins namens „Große Ereignisse stehen bevor – Prophezeiungen über die Zukunft der Menschheit“) teilte Wolfgang Johannes Bekh 1977 in einem Brief mit, was ihm 1946 eine ältere Dame aus dem Altvatergebirge in Mähren über die Sybilla Weis erzählte, eine legendäre Sehergestalt, die dort gut bekannt gewesen sein soll. Von ihren Weissagungen nennt Pohl keine, sondern teilt nur eine einzige Aussage mit.

Wolfgang Johannes Bekh – Das dritte Weltgeschehen, 1980[1]

„Sie machte, soweit ich mich noch entsinnen kann, über einen möglichen Zeitpunkt des katastrophalen Ereignisses folgende Aussagen: ‚Diesem großen Strafgericht geht voraus: 1 Glutjahr, danach 1 Flutjahr und dann kommt das Blutjahr.’ Das letztere soll auch ein Jahr mit einem kurzen (dem kürzesten?) Fasching sein.“

Die Entstehung der Fälschung

Diese Prophezeiung über das Blutjahr, dem ein Glutjahr und ein Flutjahr vorausgingen, ist eine Erfindung, die am Vorabend des ersten Weltkrieges in der Ahnung kommender Umwälzungen entstand. Mit dem Aufsatz „Der westfälische ‚Birkenbaum’ in der Kriegsprophezeiung“ von Friedrich Zurbonsen, der am 1. November 1912 in der „Halbmonatsschrift für Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache, Kunst und Literatur Niedersachsens“ (18. Jg., Heft 3) erschien, ist die Aussage erstmals schriftlich belegt:

„Und es liegt etwas in der Luft, mehr wie je: drohendes Gewölk steht am politischen Himmel und man sieht es sich zusammenziehen, und weiß nicht, ob oder wo er sich entladet. Seltsam! Das kommende Jahr, sagt der Mann im Volke, soll den großen Krieg in die Welt bringen: ‚1911 ein Glutjahr, 1912 ein Flutjahr, 1913 ein Blutjahr!’ Warten wir getrost die Entwicklung der Dinge ab; prophezeien ist ein schlechtes Geschäft.“

1913 brach der Krieg freilich noch nicht aus, so daß Zurbonsen 1915 in „Die Prophezeiungen zum Weltkrieg 1914-1915“ schrieb:

„Es war nur ein Wortspiel… Also 1911, reich an Hitze war das Glutjahr, 1912, reich an Regen war das Flutjahr, und 1913? Das wird das Blutjahr! – riefen die Leute. Der Reim war fertig, und jedermann kannte ihn anno 1913: Glutjahr. Flutjahr, Blutjahr! Das ganze Volk, nicht der Einzelne bloß hatte die Weissagung gemacht und fürchtete sie, und die Kinder auf der Strasse wiederholten sie. Im ganzen nördlichen und mittleren Europa war die Mär verbreitet, das Jahr 1913 werde den Weltbrand bringen…“

Der Volkskundler Will-Erich Peuckert schrieb dazu in Band 9 des „Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens“ (1941) unter dem Stichwort Weltkriegs-Weissagungen:

„In Deutschland lebt man seit etwa 1905 in einer dauernden Spannung. Ein im Neckartal seines Weges gehender Herr erfährt von einer Frau, die sich zu ihm gesellt, daß das Jahr 1911 ein trockenes, 1912 ein hungriges, 1913 ein blutiges sein werde. Als er dieses bezweifelt, teilt die Frau ihm mit, daß dies so sicher sei, wie er 156,31 M bei sich trage (Geldsummen-Beweis). Diese Weissagung, die 1911 datiert, wird 1912 zu einem bekannten Spruch ausgeformt:
1911 ein Glutjahr,
1912 ein Flutjahr,
1913 ein Blutjahr,
welche Datierung sich aus der deutlichen Berücksichtigung des Witterungsverlaufes von 1911 und 1912 ergibt. 1911 hieß es, das nächste Jahr werde noch heißer werden, infolgedessen komme große Not und Krieg über die Menschen. Aus dem Jahr 1813 soll die Weissagung stammen, daß das Jahr 1913 so blutig sein würde wie 1813. Diese Furcht vor der Zahl 13, die sich, wie schon erwähnt, auch in Kriegsprophezeiungen der Tageszeitungen aussprach, führte nicht nur moderne Weissager wie die de Thebes auf den Plan, die 1913 als das große Kriegsjahr bezeichnete, oder machte aus Tarokkarten für 1913 den Umsturz prophezeien, sondern erweckte auch altes Weissagungs-Gut.“

Nach dem Weltkriege hat sich die Prophezeiung, ihres zeitlichen Bezugs entledigt, im Volksmunde erhalten, wurde offenbar der Sagengestalt der Sybilla Weis zugeschrieben und im Umfelde einer kommenden Katastrophe angesiedelt. Ergänzt wurde die Aussage mit dem bei Sibylle Michalda als Vorzeichen schlimmer Zeiten erwähnten kurzen Fasching. Auch die Mär von der Frau, die dem Reisenden die besagte Prophezeiung mitteilt, hat sich modernisiert und abgewandelt erhalten. Bernhard Bouvier, der in den siebziger Jahren als Offizier in Bogen stationiert war, weiß das folgende zu berichten: Im Gebiet Zwiesel, Bayerisch-Eisenstein erzählte man sich über Monate das Gerücht, wiederholt habe nächtens sporadisch eine schwarzgekleidete, uralte, gebückte Frau/Bäuerin am Straßenrand gestanden und Autos angehalten, um mitgenommen zu werden. Sie winkte nur, setzte sich stets stumm nach hinten und sagte kein Wort. Dann stieß sie urplötzlich aus: „Nasses Frühjahr, heißer Sommer, blutiger Hebst!“ Die Fahrer drehten sich meist verblüfft um, worauf die Erscheinung sich in schwarzen Nebel wandelte und auflöste, angeblich einmal zum Entsetzen einer freundlichen Polizeistreife. Nachdem die Zeitungen anfingen, ausführlich zu berichten, hat niemand mehr überhaupt in der Gegend noch Anhalter mitgenommen.

Die Tradition dieser Fälschung läßt natürlich kein Urteil über ältere Fragmente zu, die über die Sibylla/Sibylle Weis überliefert sind. Pohl zitiert desgleichen weder in seinem Brief, noch in seinem Buch. Das bekannteste dürfte wohl die Aussage über den „kalten Baum“ sein, eine Schlachtenprophezeiung nach dem Muster der Birkenbaumsage.

Quelle

  1. Bekh, Wolfgang Johannes: Das dritte Weltgeschehen. Pfaffenhofen 1980.

Sonstiges

  1. Sibylle im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens