Tageskommentar 17. Dezember 2005

Geschrieben von Tarman am 17. Dezember 2005 00:42:40:

Geschichten aus der Provinz

Ja, es geht heute wieder um Würzburg, das abgelegene, weltvergessene Nest, das niemanden wirklich interessiert. Dieser Kommentar wäre auch besser ein Leserbrief geworden, aber das örtliche Käseblatt Main-Post druckt nichts, was die Ruhe des Stadtrates und unserer Frau Doktor Oberbürgermeisterin ernsthaft stören könnte. Aber trotz aller Provinzialität ist unseren Stadtoberen ein Lehrstück in Demokratie gelungen, das den miserablen Zustand unserer Politk auf allen Ebenen dokumentiert.

Dank unserer tatkräftigen Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeitler (1972-1990), Jürgen Weber (1990-2002) und Dr. Pia Beckmann (2002 - hoffentlich nur 2008) haben wir in Würzburg den marodesten Bahnhof einer deutschen Großstadt (Würzburg hat immerhin 130.000 Einwohner). Zwar ist das Gebäude noch nicht einsturzgefährdet, aber der Putz bröckelt von der Decke. Rollstuhlfahrer sollten vier Bodybuilder mitbringen, falls sie die Bahn benutzen wollen, die sie mit vereinten Kräften die Treppen zu den Bahnsteigen hochwuchten. Aber Hauptsache Bahnchef Mehdorn hat ein wohnliches Büro - oder zwei, in Berlin und bald in Hamburg. Die zahlende Kundschaft stört ja nur. Als Manager gibt man sich mit dem Pöbel nicht ab.

Da jetzt der Bahnhof tatsächlich das Ende seiner Haltbarkeit erreicht, muß die Bahn sanieren. Das möchte sie auch, allerdings wünscht sie ein großes Einkaufszentrum direkt neben den Bahnhof. Das will auch Frau Dr. Pia Beckmann, da schließlich eine Oberbürgermeisterin unbedingt ein Baudenkmal hinterlassen muß. Bisher hat sie nur eine häßliche Bauruine vorzuweisen, einen 17-stöckigen Hotelturm, dessen Bauträger insolvenzbedingt eine Ruine hinterlassen hat. Wenn sie 2008 von den dankbaren Würzburgern abgewählt wird, bekommt sie als CSU-Funktionärin natürlich einen Posten in München, bei der Staatsregierung. Selbst wenn Stoiber bis dahin endlich verschwunden ist und eine große Koalition in Bayern hinterlassen hat. Irgendein Pöstchen findet sich immer. So unfähig kann ein CSU-Funktionär gar nicht sein.

Jedenfalls wünschen sich Bahn und Bürgermeisterei ein Einkaufszentrum. Letztes Jahr sollte es schon beschlossen werden, nur die dummen Würzburger, das ordinäre Stimmvieh war dagegen und organisierte einen Bürgerentscheid. Rein zufällig ging kurz darauf irgendein Glied in dieser Bauplanungskette pleite, worauf das Einkaufszentrum "Würzburg-Arcaden" vom Tisch war - und der Bürgerentscheid hinfällig. Aber das war 2004, folglich versuchen es unsere Stadträte jetzt noch einmal. Und richtig, diesmal wurde der Blödsinn mit 26 zu 23 Stimmen (bei zwei abwesenden Stadträten) beschlossen. Jetzt kann sich der Bürger wieder darum bemühen, einen Bürgerentscheid herbeizuführen. Das ist schließlich weit aufwendiger, als 26 Stadträte zu bestech... zu überzeugen.

2004 war diese Geschichte schon einmal Thema eines Prangers. Inzwischen argumentieren die vom Projekt überzeugt wordenen Stadträte, daß dieses Einkaufszentrum ja "nur ein Sechstel" der Verkaufsfläche der Innenstadt habe. Während es in der Würzburger Innenstadt dank unserer Stadträte jedoch keine kostenfreien Parkplätze mehr gibt, stellt diese das Einkaufszentrum zur Verfügung. Statt einer langen Lauferei in Schnee und Regen erreicht man alles bequem auf kurzen Wegen in einem überdachten Gebäude. Bleibe ich vorsichtig und beschränke mich auf jene Mathematik, welche sogar ein Stadtrat verstehen kann, bedeutet ein Sechstel der Verkaufsfläche bei diesen Bedingungen mindestens ein Fünftel weniger Umsatz für die Innenstadt. Was wohl für ein Viertel der Geschäfte dort das Aus bedeutet.

Sicher, ich spreche hier von einem Provinznest, das die meisten meiner Leser bestimmt nicht als Urlaubsziel in Erwägung ziehen. Das ist auch besser so, denn unsere Fremdenführer sind mittlerweile unterwiesen, mit Touristenbussen Umwege zu fahren, damit die Auswärtigen nicht zuviel von dieser abgewirtschafteten Stadt zu sehen bekommen. Diese kleine Posse zeigt jedoch, mit welchen üblen Tricks sich gewählte angebliche Volksvertreter über den Willen ihrer Wähler hinwegsetzen, um ihre eigenen Interessen durchzudrücken. Ich weiß nicht, ob wirklich Geld an Stadträte geflossen ist oder in Aussicht gestellt wurde. Ich habe keine Beweise, aber was hier abläuft, stinkt. Und wenn etwas stinkt in dieser Bananenrepublik, ist fast immer Geld im Spiel.

Aber womöglich sind unsere Stadträte hier in der Provinz so dumm, daß sie die ihnen anvertraute Stadt beratungsresistent herunterwirtschaften, ohne selbst etwas davon zu haben. Kann ja möglich sein. Dummheit wird vom Gesetz nicht bestraft. Ach ja - und die Bestechung von Politikern auch nicht. Falls man es nicht ganz dumm anstellt.


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