Re: ...okkultistische Irrwege?
Geschrieben von Nerwen am 11. Januar 2004 12:28:57:
Als Antwort auf: Re: ...und sein Tempelchen... geschrieben von Dunkelelbin am 10. Januar 2004 22:50:26:
Salut Dunkelelbin*
Klar hast du recht und das alles sagt noch gar nichts. Aber auch ich werde überaus hellhörig, wenn ein Mann der eigentlich jahrelang durch klare Worte und Warnungen vor "Meister-Denken" und einen erfrischenden Hang zum Nicht-Dogmatismus aufgefallen ist, plötzlich genau die umgekehrte Schiene fährt und nun auch noch seine Haus- und Hofkirche bastelt.
Der Background mit und um Oskar Schlag ist ebenfalls sehr interessant, war Schlag doch in direktem Kontakt mit solch okkultistischen Persönlichkeiten wie Paul Foster Case, Dion Fortune, Master R., Rudolf Steiner und anderen (BOTA, Society of the Inner Light, Golden Dawn, etc.). Das sind ganz besondere Kaliber, umsomehr erstaunt mich einfach die Entwicklung die er eingeschlagen hat... Wobei andererseits auch wieder nicht. Er wäre nicht der erste, der in der intensiven Auseinandersetzung damit in die Irre gegangen wäre... Die Bibliothek von Oskar Schlag ist eine der bedeutendsten Sammlungen magischer und okkulter Literatur (darunter kostbarste kabbalistische und alchimistische Werke des Mittelalters) die in Europa zu finden ist. Bis heute ist nur ein Teil überhaupt einsehbar und weite Teile seiner Briefwechsel sind immer noch unter Verschluss.
Und "Spuren" ist im grossen Wust von ähnlichen Publikationen, so ziemlich das Seriöseste was es zu finden gibt, ich staune immer wieder wen die alles für Interviews gewinnen können. Die traurige Geschichte um Oliver Shanti haben auch sie aufgedeckt - konnte man sonst nirgendwo erfahren. Sollte ich mal wieder in München sein, werde ich mich gerne mal am Gärtnerplatz einen Augenschein nehmen, wer aus der Region kommt, kann ja selber mal vorbeischauen und uns seine Eindrücke schildern.
In LVX
Nerwen
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Kampf der Finsternis
Mit Brimborium und magischem Glanz hob Thorwald Dethlefsen zum Jahrhundertende in München eine Art Gegenkirche aus der Taufe: Kawwana soll Licht bringen gegen die Mächte der Finsternis - ausgerechnet!
Von Martin FrischknechtAuf einer grossen, geräumigen Bühne sitzt auf einem Stuhl allein ein Mann. Flankiert wird er von zwei Sphinxstatuen. Sie sind aus Gold und strahlen bis in die hintersten Zuschauerränge. Das sind nicht irgendwelche billigen Pappkameraden, mal schnell als Partygag zusammengekleistert und mit Farbe besprüht. Nein, die mythischen Tiere, denen Weisheit und Schrecken zugeschrieben werden, sind aus fes-tem Material. Die werden ein paar Jahre halten. Sie lassen sich anfassen, doch vom Fleck rühren lassen sie sich nicht, dazu sind sie zu gewichtig.
Sieben Stufen führen auf die Bühne. Bei weitem nicht alle der mehreren hundert Anwesenden werden über diese Stufen schreiten, weder symbolisch noch reel. Schon gar nicht jetzt. Der Mann dort oben bleibt allein. Er trägt einen eleganten Anzug ganz in Schwarz. So waren schon die Türsteher gekleidet, welche die Ankommenden beim Einlass prüften. Tadellos. Schwarz steht ihm gut zu den blonden Haaren und es hebt ihn ab von den goldenen Statuen. Er ist der «Vicarius». Als er zu reden anhebt, erkennt man ihn wieder. So spricht kein Zweiter: Wort für Wort wohl gewählt, druckreife Sätze über Stunden, ohne dass ein Manuskript ersichtlich wäre. Das ist das Markenzeichen von Thorwald Dethlefsen.
Wie fühlt man sich da? Auserwählt und erhoben. Man ist gekommen zu einer Feierstunde. Lange hatte er geschwiegen, der Fortbestand der Sache schien in Gefahr. Nach einer Reihe streng geheimer Einweihungsrituale war es zu einer Indiskretion gekommen - karmische Konsequenzen! Die Tore schlossen sich, der Lichtstrahl, nach Jahrtausenden Unterbruch kaum eben wieder in die Welt gekommen, erlosch.
Doch dann kam die frohe Botschaft. Noch vor Ablauf des zweiten Jahrtausends erging die Einladung nach München, ein Rundschreiben an ehemalige Kursteilnehmer und Zuhörer der Vorträge, welche Thorwald Dethlefsen in den achtziger Jahren auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Wirkens erlebt hatten: «Kawwana, die Kirche des neuen Äons, beginnt ihre ersten Arbeiten in der Welt.» Zum ersten Termin Anfang Oktober 1999 strömten achthundert Teilnehmer, zur zweiten Versammlung im Dezember noch einmal rund fünfhundert.
Fühlt man sich da nicht auch klein und ängstlich wie eine Kirchenmaus? Was bin ich schon? Einer in der Menge, verglichen mit dem auf der Bühne, der es alleine mit allen aufnimmt, der stets die Fassung behält, auch als es zum Schluss zu recht angriffigen Fragen kommt. Die Leute sind ja nicht blöd, gerade sein Publikum nicht. Leser seiner esoterischen Werke lassen sich nicht so rasch ein X für ein U vormachen. Und doch: Wenn etwas dran ist an dem, was er jetzt sagt, so ist dies gewiss ein ganz besonderer Augenblick. Und ich darf dabei sein und teilhaben am Mysterium. «Am Samstag um 16 Uhr findet das magische Ritual 'Chrysaor' statt, ein Ritual, das zwei Ebenen der Teilnahme ermöglicht: Erstens - und dies gilt für alle - ist man anwesend und hört», stand in den einführenden Unterlagen.
Schluss mit Krankheit
«Zweitens kann man zusätzlich &endash; wenn man will &endash; einen rituellen Weg durchlaufen, wodurch auf einer sehr tiefen (und daher bewusst nicht wahrnehmbaren) Ebene bestimmte Kräfte im Menschen, die für die Ausbildung von Krankheitssymptomen verantwortlich sind, erstarrt werden.» Wer sich vorab zu Chrysaor angemeldet hatte, schritt am Nachmittag die sieben Stufen empor und stand vor zwei Gorgonenhäuptern. Die Bedeutung der beiden von Schlangen umwundenden Riesenköpfen auf Drachenkörpern hatte der Meister zuvor in langfädigen, komplizierten Ausführungen aus griechischer und indischer Mythologie hergeleitet.
Barfuss wurden die Kandidatinnen &endash; es waren überwiegend Frauen &endash; von weissgewandeten Helfern zu sieben Stationen der Reinigung geleitet. Dabei trugen sie Gegenstände auf sich, die sie zum Ritual von sich einzubringen hatten, darunter ein Fläschchen mit eigenem Urin. Das Mitgebrachte wurde geopfert, abgegeben oder verzehrt. Auch wenn es Stunden dauerte, so geschah das alles in grossem Ernst und Würde, schliesslich ging es um die eigene Gesundheit.
Wie war das noch mal? Es lohnt sich, die oben zitierten Sätze mehrfach zu lesen. Nicht nur, dass das Wort «Ritual» auffällig häufig vorkommt, versprochen wird durch magisches Wirken nichts Geringeres als das Erstarren krankheitsbildender Kräfte. «Krankheit als Weg» wäre somit abgehakt, ein für alle Mal. Wird diese Möglichkeit in Aussicht gestellt, nimmt man wohl gerne in Kauf, den rituellen Ablauf auf der «bewusst nicht wahrnehmbaren Ebene» im Einzelnen nicht recht zu verstehen.
Die Unkenntnis über das Wirken der verborgenen Kräfte ist sozusagen der Preis, der für die Gesundheit zu entrichten wäre. Wie viel das insgesamt kostet, ist allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Wer sich an die Enthüllungen einer Teilnehmerin der ersten Kawwana-Einweihungen in SPUREN Nr. 45 erinnert, den beschleichen düstere Ahnungen.
Die neue Kirche
Doch halten wir uns an das Geschehen auf der offensichtlichen, sinnlich wahrnehmbaren Ebene. Was Thorwald Dethlefsen an zwei Wochenenden im Herbst 1999 in München mit den wohlklingenden Programmteilen «Dogmatik», «Chrysaor», «Dionysikon» und «Anabasis» auf die Bühne brachte, war nichts Geringeres als die Geburt einer neuen Kirche. Ohne falsche Scham spricht er von «Kawwana» als der «Kirche des neuen Äon» und dabei ist die Einzahl durchaus ernst gemeint. Denn alle anderen Kirchen könnten getrost vergessen gehen. Die gehörten dem verflossenen Zeitalter der Dunkelheit an und seien dem Untergang geweiht.
Wussten wir das nicht längst? Bloss mit einer neuen Kirche haben wir eher nicht gerechnet. Und dass ausgerechnet er, dessen Aussagen einst auf viele so erhellend und befreiend wirkten, in einer zum Heiligtum umgebauten Industrieliegenschaft uns diese neue Kirche werde verkündigen, das ist schon fast ein Albtraum.
Ein schwerer Traum, den er jedoch meis-terlich zu inszenieren weiss. Wer wollte nicht dabei sein, wenn Kawwana abends zum «rauschenden Weinfest» bittet mit Leckereien, dass sich die Tische biegen, Wein in offenen Behältern, gross wie Brunnentröge, und Tanz bis in den Morgen? Wer wollte abseits stehen, wenn es heisst: «Die Heilung des Menschen ist die Heilung Gottes»? Und schliesslich: Wer wollte nicht mit eigenen Augen sehen, wie der Vicarius am Sonntagmorgen nach der Ausnüchterung zum grossen Ritual der Kraftübertragung schritt?
Symbole markierten die grossen Religionen der Welt und die Weisheitstraditionen. Wie ein Strahl wurde aus jeder Richtung eine brennende Kerze zum Zeremonienmeister getragen, der die kleineren Flammen der Kerzen mit magischen Gebärden in Empfang nahm und der eigenen, weitaus mächtigeren Flamme übergab. Schliesslich sahen die Zuschauer den Magier die einzig verbliebene Flamme erheben und feierlich durch ihre Reihen tragen. Will sagen: Der Träger des Lichts tritt in die Welt hinaus und nimmt die Arbeit auf. Die früheren Lichter haben ihren Geist zu Gunsten der Kawwana-Flamme aufgegeben.
Grandioser Auftrag
Dass Thorwald Dethlefsen damit weit mehr meint als ein Lichterkränzchen mit Pfadfinderromantik, stellte er in der Fragestunde am Sonntagnachmittag noch einmal klar. Jetzt gehe es nicht da-rum, Gutes zu tun und Gegensätze zu versöhnen. Auf seinem Plan stehe die kompromisslose Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Licht und Dunkel. Unter dem aus der jüdischen Kabbala bekannten Lebensbaum bestehe als dessen Schatten auch ein Todesbaum. Unter dessen Einfluss stehe heute die gesamte Welt, die Religionen mit eingeschlossen. Kawwana, die Kirche des Lichts, nehme den Kampf auf gegen die Mächte der Finsternis und sorge für das Aufrichten eines neuen Lebensbaums.
Da gibt es also ein Reich der Finsternis und ein Reich des Lichts. Dämonen und Engel stehen sich unversöhnlich gegenüber. Wenn das die Wahl ist, so wird rasch klar, auf welche Seite wir uns zu stellen haben. Natürlich kämpfen wir für die Mächte des Guten, Lichten und Schönen. Nur, die Geschichte unserer christlichen Kultur besteht seit Anbeginn aus nichts anderem als eben diesem Kampf. Einmal waren es christliche Kaiser, welche Heiden abschlachteten zur Vertreibung der Finsternis aus der Welt, dann wieder Gnostiker, Templer und so genannte Ketzer, welche mit ihrer kompromisslosen Unterscheidung der Welt in Licht und Finsternis dafür sorgten, dass das Kämpfen und Morden weiterging.
Denn so viel ist klar: Wo sich eine Gruppe als alleinige Vertreterin des Guten verstand, da traf sie stets auch auf eine Gegenmacht mit demselben Weltbild, aber umgekehrten Vorzeichen, die sich ihr entgegenstellte. Die Reaktion von Sektenjägern und Kirchenvertretern wird nach Dethlefsens Vorstoss nicht lange auf sich warten lassen. Hüben wie drüben wird man den Gegner krimineller Machenschaften und schwarzer Magie bezichtigen. Auch das ist so gewiss wie das Amen in der anderen Kirche. Wer ein Wunder wirken will, der bringe diesen Krankheitskeim zum Erstarren.
Wenn nicht gerade er es gewesen wäre, der einst so eloquent auf solche Zusammenhänge hingewiesen hätte, brauchte man sich eigentlich nicht zu wundern. Doch Thorwald Dethlefsen hatte eben auch eine andere, wenig bekannte Seite, die jetzt deutlicher hervortritt. Eingeweihte, die seine Laufbahn durch Logen und Geheimbünde zeitweise begleiteten, sprechen von einem Magier, der sich zur Rolle des Hohepriesters berufen fühlt. Mit kleinen, eingeschworenen Zirkeln mochte er sich nicht zufrieden geben. Ihn drängte es zum grossen Auftritt vor Massen.
Hintergrund in Zürich
Regelmässig verkehrte der Kawwana-Prophet beim Zürcher Esoteriker und Sammler Oskar Schlag (1907 - 1990). Von Schlags Wirken als Medium vom Zürichberg und von seiner Hinterlassenschaft einer grossartigen Bibliothek der Geheimwissenschaften berichteten wir in SPUREN Nr. 42. Jahrelang hatte Dethlefsen den alten Meister bedrängt, ihn in Rituale und geheime Zusammenhänge einzuweihen. Kurz vor Oskar Schlags Tod kam es schliesslich zur Eröffnung eines Tempels in München, als dessen Meister Dethlefsen eingesetzt wurde. Als der Lehrer starb, kam es zum Bruch unter seinen Anhängern. Einige Mitglieder des Schlag-Kreises wanderten mit dem jungen Meister nach München, wo sie heute als Helfer von Kawwana wirken.
Von «Kawwana» gesprochen hatte «Atma», die geistige Wesenheit, welche seit den dreissiger Jahren durch Oskar Schlag sprach. Immer wieder enthielten die Atma-Durchsagen auch Anweisungen für Rituale. Doch die Anweisungen musste man im Wust des Materials zu finden und zu entschlüsseln wissen. Auf diese Kunst verstand sich Oskar Schlag. Den anderen und schon gar Thorwald Dethlefsen gegenüber verhielt er sich jedoch nicht eben gross zügig. Sogar als Atma selber ihm riet, sein Wissen offen zu legen, und als das Geistwesen daraufhin verstummte, gab sein Medium sich lange Zeit bedeckt. Erst nach Schlags Tod in den neunziger Jahren wurde die Veröffentlichung der Atma-Durchsagen an die Hand genommen. Mittlerweile sind fünf von zehn geplanten Bänden dieses Werks erschienen.
Von Atma war bei den Münchner Kirchweihen aber nicht die Rede. Dethlefsen bezog sich auf einen Geist namens «Ari», die Wesenheit eines Menschen, der im 16. Jahrhundert gelebt habe. Ari spiele in seiner neuen Kirche eine zentrale Rolle, denn auf Aris Anweisungen beruhe die magische Arbeit von Kawwana. Kenner vermuten, dass Ari nicht direkt zu Dethlefsen spricht, sondern durch dessen Schwägerin, die bei den Anlässen aber nicht in Erscheinung trat.
Der von Dethlefsen gewählte Ausdruck «Kirche des neuen Äon» verweist auf die Handschrift eines Mannes, der es als Magier im zwanzigsten Jahrhundert zu einem hervorragenden Ruf als Hexenmeister und Antichrist brachte: Aleister Crowley. Sollte Thorwald Dethlefsen es darauf angelegt haben, jenes grosse Werk zu vollenden, von dem Crowley seinen Anhängern die Ohren voll schwärmte, so dürfte das letzte Kapitel in dieser Geschichte noch längst nicht geschrieben sein. Jungfrauen mit rotem Haar melden sich gefälligst am Gärtnerplatz in München.
- Re: ...okkultistische Irrwege? Bine 11.1.2004 13:56 (2)
- Re: ...okkultistische Irrwege? Nerwen 11.1.2004 15:14 (0)
- Was du säst wirst du ernten! Leionel 11.1.2004 14:30 (0)