Re: @Hotel Noir: Industrialisierung, geistiges Wachstum und Widdowson
Geschrieben von HotelNoir am 04. Oktober 2003 09:31:39:
Als Antwort auf: Re: @Hotel Noir: Industrialisierung, geistiges Wachstum und Widdowson geschrieben von Andreas am 03. Oktober 2003 12:31:54:
Hi Andreas,
>O.K., der Jugoslawienvergleich ist vielleicht sooo speziell. Insgesamt finde ich den Teil zur internationalen Disintegration zu langfädig. Kriege, Krisen und Gelegenheite für Konflikte hat es nun wirklich schon immer gegeben, das ist nichts besonderes. Worauf er hinaus will ist, dass es viele Möglichkeiten gibt, die einen Grosskonflikt auslösen können, insbesondere im ostasiatischen Raum und in der Golfregion und dass die Wahrscheinlichkeit für uns - da wir innerlich geschwächt sind - durch einen solchen Konflikt in den Abgrund eines Dark Age gesogen zu werden, stark gestiegen ist.
M.E. ist der Grosskonflikt, resultierend aus der Wirtschaft der Gier und der Politik der Angst längst Realität. Ob die Schwächung Europas durch einen Krieg, von dem wir betroffen sind, durch Kriege anderer Mächte oder durch wirtschaftliche Abdrängung erfolgen wird, darüber darf man spekulieren, klar ist für mich: wir haben unseren Zenith übertreten, sind kulturell dekadent geworden. Das lässt sich am für die heutige Kultur prägendsten Träger feststellen: dem TV. Dieses ist nicht mehr wie es die Idee war ein Medium (Vermittler) sondern bezieht seine Macht durch das Inszenieren seiner selbst. Das ist ein geistiger Inzest, der uns viel Kraft kostet, allerdings nicht nur uns... Nie wurde soviel Kraft, soviel Wille und soviel Liebe an soviel Sinnloses verschwendet wie in unserer postmodernen, demokratischen Welt. Der Geist des Volkes ist verkümmert.
Ich betrachte es als längst bekannte Tatsache, das in der heutigen vernetzten Zeit Konflikte in viel grösserem Masse ausufern können als dies je der Fall war. Ich werfe dies Widdowson nicht vor, es ist ok beharrlich auf diese Zustände hinweisen. Ich denke aber nicht, dass es eine unkonventionelle oder revolutionäre Sichtweise ist. Sie dürfte z.B. den meisten die in diesem Forum mitschreiben und -lesen bekannt sein.
>Ob die Überlegung, dass die europäische Integration nur über kriegerische Mittel erfolgreich verlaufen könnte, so konventionell ist, bin ich mir nicht so sicher. Wohlverstanden: Widdowson ist nicht "kriegsgeil", er sagt einfach, Integration , d. h. gemäss seiner Definition die Ausweitung politischer (in erster Linie zwangsmässiger) Herrschaft über mehr Menschen, erfolgte in der Vergangenheit durch Gewalt.
Richtiger ist: Wir sind es uns aus dem Geschichtsunterricht einfach gewöhnt, die kriegerische und machtpolitsche Entwicklung als "die Geschichte" zu betrachten. Es ist unsere Optik. Wir betrachten das Entstehen und Verwalten von Machtterritorien als DER Moment in der menschlichen Entwicklung, die vielen anderen Entwicklungen, wie Kunst oder Spiritualität sind Angelegenheiten von Experten - dies dann wiederum meistens machtpolitisch interpretieren. Das ist auch ein Grund weshalb ich ein wenig Mühe habe mit Widdowson: Er hält seine "Zukonditioniertheit" für Realitätssinn.
>Auch die Idee von der Evodeviation, d. h. dass der Mensch eigentlich zu der Lebensweise die er vor vielen 10'000 Jahren pflegte neigt und deshalb ein katastrophales Dark Age ohne jegliche politische und wirtschaftliche Grossstrukturen denkbar ist, halte ich für interessant, nicht banal.
Die Evolution kann unter zwei Aspekten betrachtet werden: positivem und negativem Feedback. Positives Feedback ist das Finden der Homöostase auf gleichem Level wie z.B. Essen oder Trieb. Negatives Feedback ist ein Finden der Homöostase auf höherem Niveau, was Erkenntnisse und Fortschritt in jeder Form bezeichnet (Positiv und Negativ sind keine Wertungen!) Es scheint, dass Widdowsons Optik da auf die Homöostase durch positives Feedback ist. Das ist natürlich so, wir haben noch die selben säugetierischen Eigenschaften wie vor 5000 Jahren. Jedoch gibt es auch so etwas wie eine evolutionäre Entwicklung der menschlichen Spezies, die auch neurobiologisch nachweisbar ist. Warum negiert Widdowson dies?
Ich sehe die Argumentation. Du sagst,der wirkliche Quantensprung wird die Einbeziehung spiritueller Techniken sein.
Das ist nicht exakt das was ich ausgedrücken wollte. Der Einbezug einer spirituellen Dimension ist auch bisher bei revolutionären Ideen gegeben gewesen. Spirituell ist ein verfängliches Wort, das ich eigentlich nicht gerne benutze. Es gibt Techniken die die Naturgesetze überwinden und Techniken die die Naturgesetze nutzen. Diese Symbiose meine ich.
meistens unter Ei Widdowson sagt, die letzten 5'000 Jahre Geschichte haben gezeigt, dass ..., deshalb ... . Ich denke, es wäre ihm auch lieber, wenn die Probleme der Welt durch "magische" oder spirituelle Techniken gelöst werden könnten und natürlich kann man nicht a priori von der Vergangenheit auf die Zukunft schliessen. Doch als Realist muss er davon ausgehen, dass sich die menschliche Natur nicht grundlegend verändern wird.
Ja da sind wir wieder bei der Frage: Spricht er von Realität oder von seiner kulturellen Konditionierung. M.E. ist seine Sichtweise ziemlich eingeschränkt.
Solche Hoffnungen "spirituelle" (Selbst-)Kräfte mögen es schon richten erinnern mich an die Ermahnungen des Klerus, von den Sünden abzulassen u. ä. Es ist eine Flucht ins jenseitige.
...die dann sofort in Behauptungen und Ab-Wertungen münden.
Grüsse HotelNoir
Ich will hier nicht die Existenz einer Welt die jenseits unserer Wahrnehmung liegt bestreiten. Doch ich behaupte, dass solche Konzepte für die Erklärung menschlichen Handelns und die Entwicklung der Weltlage bis auf weiteres eher unzuverlässig sind.
>Gruss
>Andreas
- Re: @Hotel Noir: Industrialisierung, geistiges Wachstum und Widdowson Andreas 04.10.2003 12:05 (0)