Re: Was bedeutet der Tod von Mohammed Bakr el Hakim?

Geschrieben von Swissman am 30. August 2003 02:07:24:

Als Antwort auf: Was bedeutet der Tod von Mohammed Bakr el Hakim? geschrieben von MP42 am 29. August 2003 14:21:37:

Hallo MP42,

>Nach neuesten Meldungen im TV soll der Schiitenführe Bakr el Haik doch bei der Explosion getötet worden sein. Mich interessieren hierbei nun die möglichen Folgen, wie werden die Schiiten reagieren? Was bedeutet das für die Besatzungsmächte?

Heute ist ein schwarzer Tag, nicht nur für die Schiiten (im Irak und weltweit), sondern auch für die USA: Mohammed Bakr al-Hakim dürfte so ziemlich die einzige mehrheitsfähige Persönlichkeit gewesen sein, die der Irak aufzuweisen hatte. Nach seinem Tod wird die Bildung einer arbeitsfähigen Regierung sogar noch viel komplizierter werden, als sie es ohnehin schon war.

Von allen "Thronanwärtern" verfügte al-Hakim, als Marja e-Taqulid, über den grössten Einfluss in der schiitischen Bevölkerung, der über 60% der Iraker angehören. Hakim unterstützte die USA offen in ihrem Bemühen, eine arbeitsfähige Regierung einzusetzen (dies dürfte ihm nun zum Verhängnis geworden sei).

Er vertrat überdies vergleichsweise moderate Positionen, und war persönlich integer, eine Eigenschaft, die durchaus nicht alle diejenigen teilen, die sich um eine (vorzugsweise führende, d. h. lukrative) Beteiligung an der künftigen Regierung andienen: Er sah sich selbst primär als Kleriker und erhob für sich selbst keinen Anspruch auf Einsitz in der Regierung - an den Gesprächen zur Regierungsbildung liess er sich durch seinen Bruder Mohammed Bakr al-Hakim vertreten, der die Schiiten im künftigen Kabinett vertreten sollte.

Dieser wird nun wohl auch die Führung des SCIRI (Supreme Council for the Islamic Revolution in Iraq) übernehmen. Dabei wird er ein Stück weit vom Mitleidsbonus profitieren könnte. So einflussreich, wie es sein Bruder war, dürfte er jedoch kaum werden können, da er im Gegensatz zu diesem kein Marja e-Taqulid ist. Dieser Titel ist nicht erblich, und es ist eher die Ausnahme, als die Regel, dass dieser überhaupt durch jemanden besetzt ist. - Anders gesagt: Er ist nur ein Kleriker unter vielen, der sich seinen Einfluss mit etlichen anderen Klerikern

Es ist gut möglich, dass sich die verbliebenen Prätendenten nun endgültig untereinander zerstreiten werden, wodurch eine Regierungsbildung wieder in weite Ferne rückt. Überdies wird es sich nun jeder zweimal überlegen, mit den USA zusammenzuarbeiten.

Wer immer al-Hakim ermordet hat, er wusste genau, was er tat er wird nicht zögern, ähnliche Aktionen auch in Zukunft durchzuziehen: Die Täterschaft wollte nicht nur Hakim beseitigen, sondern auch die Bevölkerung massiv einschüchtern. Für letzteres spricht nebst der Wahl der Zielperson Ort, Zeit und die völlige Skrupellosigkeit, mit der die Aktion durchgeführt wurde: Freitag entspricht im islamischen Kulturkreis unserem Sonntag - al-Hakim hatte gerade die Moschee, in der er das feierliche Freitagsgebet geleitet hatte verlassen, als die Bomben explodierten. Dabei wurde er wie immer von einer grossen Menschenmenge begleitet - es war ganz offensichtlich von Anfang an eingeplant, nicht nur Mohammed Bakr al-Hakim, sondern zusätzlich auch eine möglichst grosse Anzahl schiitischer Zivilisten zu töten, um den Terror weiter zu steigern.

Bei der Moschee handelt es sich zudem nicht um ein x-beliebiges Gebetshaus, sondern um den Schrein des Imam Ali, des Begründers der Schia. - Für Schiiten ist sein Grab einer der heiligsten Orte überhaupt! Die psychologische Wirkung ist einem Anschlag auf den Petersdom vergleichbar...

Daher halte ich die Mutmassungen, Hakim könnte einem schiitischen Rivalen zum Opfer gefallen sein, für ausgemachten Blödsinn! Für mich kommen in erster Linie zwei Verdächtige in Frage: Anhänger von Saddams Ba'ath-Partei, die den Krieg aus dem Untergrund heraus als Stadtguerilla fortführen, sowie wahhabitische Terroristen der Al Kaida, bzw. einer lokalen Partnerorganisation. Die technischen und logistischen Voraussetzungen sind bei beiden Gruppen erfüllt, ebenso der Wille, über Leichen zu gehen.

Religiöse Vorbehalte irgendwelcher Art sind bei fanatischen Ba'athisten nicht zu erwarten, da die Ba'ath-Partei strikt weltlich ausgerichtet ist. Höhere Parteikader sind häufig Atheisten.

Für die Wahhabiten wiederum ist es eine gottgefällige Tat, "Satansdiener" zu töten: Als "Satansdiener" wird von ihnen ausnahmslos jeder angesehen, der nicht der Wahhabiten-Sekte angehört - Schiiten jedoch werden als die allerschlimmsten "Satansdiener" von allen angesehen, da die Wahhabiten ihnen unterstellen, die Imame Ali und Hussein als Götter anzubeten, wodurch sie zusätzlich als Abtrünnige vom Islam anzusehen seien...

Man kann davon ausgehen, dass Osama bin Laden die wachsenden Verluste der USA im Irak mit Wohlwollen betrachtet, und er daher daran interessiert ist, die dortige Präsenz der US-Streitkräfte in die Länge zu ziehen.

Eine direkte Beteiligung des KGB oder der Rotchinesen schliesse ich aus: Die Gefahr, dass etwas schiefgeht und das Attentäterteam geschnappt wird ist zu gross, und zudem völlig überflüssig, da sowohl Saddam als auch OBL die genausogut können, ohne dadurch unnötigen Verdacht zu erwecken. Falls der KGB oder Rotchina überhaupt beteiligt waren, dann nur am Rande, bei der Vorbereitung.

mfG,

Swissman

P. S.: In diesem Beitrag habe ich vor einiger Zeit auch über Mohammed Bakr al-Hakim geschrieben (ungefähr im zweiten Drittel).


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