Re: Verbindliche Ethik
Geschrieben von Mabo am 21. Juli 2001 01:55:55:
Als Antwort auf: Verbindliche Ethik geschrieben von Elias am 20. Juli 2001 16:57:56:
Hallo Elias!
Ganz viele versuchen die Welt zu verbessern, nur alle ziehen in ein andere Richtung. Die Richtung müßte erstmal geklärt werden. Das beginnt mit einer verbindlichen Ethik. Wenn sich nicht alle darüber klar sind, was gut und schlecht ist, dann werden sie wohl kaum das gleiche Ziel anstreben.
Das stimmt. Aber diese Frage, dieser Findungsprozeß einer verbindlichen Ethik wird sich noch hinziehen, weil Interessen auseinanderdriften und jeder seine berücksichtigt finden will. Diese Ethik wäre ein Idealfall, ein anzustrebendes Ziel, das vielleicht unter gut laufenden Bedingungen und mit genügend Zeit anvisiert werden könnte. Doch es sieht anders aus. Wir haben nicht die Wahl uns besonnen zurückzulehnen, Jahre und Jahrzehnte an Details zu feilen und dann sorgsam das Neue einzuführen. Die Dinge laufen rasant und stetig, nein zunehmend gegen dieses Ideal.
Es ist wahr, das viele versuchen was zu tun aber eben nicht an einem Strang ziehen. Aber noch viel mehr ziehen gar nirgendwo mit, weil sie außerstande sind zu entscheiden, wo sie denn mitziehen könnten. Es liegt ein unheimliches Potential an Kräften brach, weil Uneinigkeit unter den Weltverbesserern besteht. Dabei gibt es eindeutig Schnittmengen, also Ansatzpunkte, wo schon jetzt losgezogen werden könnte - selbst dann, wenn keine gemeinsame Lösung aller Probleme klar ist.
Nehmen wir nur diese Globalisierungsgegner, die Uneinigkeit unter den Gegnern, die Berichterstattung und das, was am Ende wohl dabei rum kommt. Ein kleiner Teil schmeißt mit Steinen und bestimmt damit das Erscheinungsbild aller die dort demonstrieren. Während die Kameras auf die Krawallmacher genau drauf gehalten wird und mehrere Sendeminuten pro Beitrag dies vorgeführt wird, gehen die friedlich demonstrierenden Massen vollkommen unter. Diese werden nur innerhalb weniger Sekunden erwähnt, deren Ziele werden mit einem Satz zusammengefaßt und das wars dann in deutschen Wohnzimmern mit der Meinungsbildung. In einer Sendung war kurz ein Statement eines jungen Deutschen zu sehen, der recht offen Argumente aussprechen konnte, doch war er weit von der Systemfehler-Erkenntnis entfernt, sondern argumentierte, daß die Konzerne mehr Steuern zahlen müßten um das Problem der Armut in den Griff zu bekommen. Andere, die neben ihm demonstrieren sehen es wieder anders, und so sind selbst die Leute auf einer solchen gemeinsamen Demo alle unterschiedlich informiert und motiviert. Es gibt kein gemeinsames Verständnis der Lage, kein gemeinsames Bewußtsein.
Der lachende Dritte ist wieder mal das System. Der lacht über die Chaoten die Steine werfen, da sie ihm erst die Tür öffnen, das ganze in ein schlechtes Licht zu setzen. Er lacht auch über die friedlichen Demonstranten, da sie nicht wirklich wissen, was sie eigentlich wollen. Es fehlt eine strategische Ausrichtung, klare Formulierungen und eine Mediendiskussion über diese Punkte. Es muß ein gemeinsames Bewußtsein her.
Wir befassen uns jetzt ja schon länger mit der Frage, aber auch wir haben vor zwei Jahren diese Systemfehler nicht so bewußt gesehen, als Xsurvivor hier damit anfing. Den Menschen da draußen, die "normalen" Menschen, denen Du jeden Tag auf der Straße, im Büro und sonstwo triffst, denen ist dies aber immer noch überhaupt nicht bewußt. Zwar gibt es mittlerweile einige gute Webseiten zu diesem Thema, hier wurde gerade noch eine Liste gepostet, aber diese gehen im World Wide Wunderland vollkommen unter.
Es gibt durchaus Menschen, die glauben, daß Wirtschaftswachdtum "gut" sei.
Das meine ich. Obwohl die Problematik der Grenzen des Wachstums eigentlich total logisch sind, existiert dafür kein Bewußtsein. Der Kleine Mann denkt meist wohl auch noch, daß die da oben es schon schaukeln würden. Er kommt nicht mal auf die Idee, daß da bekannte Systemfehler einfach ignoriert werden von Weltbank und Konsorten. Gerade der brave beamtenhörige Deutsche ist da besonders gutgläubig bis blauäugig.
Die verbindliche Ethik ist der Dreh- und Angelpunkt und damit sind wir ganz dicht bei der Frage nach dem Sinn des Lebens. Denn etwas kann nur dann "gut" sein, wenn es den Sinn erfüllt.
Ja aber wie sieht das denn in Bezug auf die massive Umweltzerstörung aus? Kann Umweltzerstörung irgendwie gerechtfertigt werden? Welche ethische Variante, welche Auslegung von Moral würde am Ende zu dem Schluß führen können, daß es ok sei, mit der Ressourcenausbeutung wie gehabt fortzufahren?
Ich verfolge momentan den Ansatz, die gemeinsame Basis der religiösen Systeme und Erfahrungen zu ermitteln. Aus der gemeinsamen Basis könnte man evtl. gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Ethik ableiten und so langfristig ein gemeinsames Handeln.
Und angenommen, wir wären damit vor sagen wir einem Jahr in intensiven Arbeitsgruppen angefangen und hätten mit dem heutigen Tage einen vernünftigen Entwurf für eine verbindliche Ethik fertiggestellt. Wie würde das dann an den Mensch, an die Öffentlichkeit gebracht und schließlich in die Tat umgesetzt werden können?
Dann fangen die Probleme doch erst an, egal wie vernünftig und gut und richtig dieser Entwurf aussähe. Du sagst es selber:
Kurzfristige Erfolge erwarte ich aber nicht.
Der eine oder andere mag vielleicht denken, daß ich den zweiten vor dem ersten Schritt machen möchte, doch was nutzt der erste, wenn der zweite nicht gangbar ist, wenn nicht auch dafür Ideen entwickelt werden?
Verbindliche Ethik bedeutet nicht notwendigerweise, daß alle Regeln überall gleich sein müssen. Es geht da eher um die Meta-Regeln, sozusagen Grundwerte, Grundziele und Grundprinzipen.
Darum geht es mir letztendlich auch. Konkret geht es mir aber auch um eine Art Prioritätenliste, die definiert, welche Dinge vorrangig und möglichst schnell angegangen werden müssen. Um Strategien, wie wir - nicht nur wir beiden, nicht nur dieses Forum, nein die gesamte, weltweite Internet-Gemeinde - Dinge bewegen können. Nur festzustellen, daß wir heute mit unseren tollen Kommunikationsvorteilen viel besser dran sind als frühere Generationen, ist doch wertlos, wenn wir diese dann nicht beginnen zu nutzen.
Unsere Aufgabe in diesem Wettrennen, und jetzt meine ich uns hier im Forum, besteht vielleicht schlicht im Anstoß einer Lawine. Von uns hat keiner dickes Kapital, welches er wirkungsvoll einsetzen könnte. Aber wir haben vielleicht die Chance eben solche zu mobilisieren, welche dann wiederum den Mann auf der Straße wirkungsvoll erreichen können, mit Verhaltensvorschlägen, die das System zwingen die Probleme ernster zu nehmen. Immer nur zu denken, daß man dafür zu unbedeutend sei, daß da sich mal jemand drum kümmern müsse, ändert nichts. Wie ein Virus muß sich das Bewußtsein im Volk ausbreiten. Es muß in die Köpfe der Menschen und es muß einen höheren Stellenwert bekommen als Schumis Rennerfolge, als Raabs Blödelkram und Zlatkos Allgemeinbildung.
Und ich unterstreiche das von Dir gesagte nochmal. Die Bemühungen müssen zielgerichteter, mit klar erkennbarer Richtung erfolgen. Und es ist wichtig eine gemeinsame Grundlage zu definieren. Aber diese kann wohl auf die Schnelle keine vollständige sein, keine, die über jede Frage erhaben ist. Dazu gibt es Ethikkommissionen und die beraten allein über die Gen-Frage noch mindestens zwei Jahre. Wir haben nicht die Zeit dafür. Zwar sollte man dies erarbeiten, aber zeitgleich müssen die ersten Veränderungen begonnen werden. Dort wo bereits klare Teilziele erkannt werden, dort muß sofort begonnen werden. Oder spricht da Deiner Meinung was dagegen?
Viele Grüße
Mabo
- Re: Verbindliche Ethik Elias 21.7.2001 08:25 (0)