Kriegsgefahr: Jetzt Vorsorge treffen - Längerer Artikel
Geschrieben von DonQuichote am 17. November 2002 16:00:13:
Artikel 3: Zeit-Fragen Nr. 46 vom 11. 11. 2002Die Sorgen der Menschen ernst nehmen
Jetzt Vorsorge gegen Kriegsgefahren treffen
Von Karl Müller, Deutschland
Der drohende Krieg gegen den Irak und die weitere Eskalation gewalttätiger Konflikte bis hin zur Gefahr eines dritten Weltkrieges lassen niemanden mehr zur Ruhe kommen. Vor welchen Bedrohungen stehen wir? Wie können wir angemessen darauf reagieren? Was können wir heute, was können wir für mehr Frieden für künftige Generationen tun? Wie können wir in Anbetracht von ABC-Waffen
Gesundheit und Leben schützen? Der folgende Beitrag möchte ein paar Überlegungen zur Diskussion stellen.Scott Ritter, der ehemalige Waffeninspekteur der Vereinten Nationen im Irak, ist ein differenziert argumentierender, in der Sache abwägender Mann. Er neigt nicht zu Übertreibungen und künstlichen Dramatisierungen. Trotzdem hat er in einem Interview* auf alarmierende Art und Weise deutlich gemacht, was passieren kann, wenn die US-Regierung ihre Pläne, den Irak anzugreifen, in die Tat umsetzen.
Ritter zitiert aus der Nuclear Policy Review, was das Pentagon als Planungsstudie vorgelegt hat: «Die sagen zwar, das sei alles nur hypothetisch, aber in einem der Szenarien geht man davon aus, dass Zehntausende von amerikanischen Soldaten in einem Krieg in Übersee feststecken und nicht nur das
Risiko besteht, dass sie aufgerieben werden, sondern dass auch Massenvernichtungswaffen zum Einsatz kommen. [...] Wenn 70000 bis 100000 Mann im Irak festsitzen, wenn der Nahe Osten explodiert und unsere Kommunikationsverbindungen bedroht sind und damit auch unsere Möglichkeit,
diese Truppen zu versorgen, und die Iraker leisten anhaltend Gegenwehr - dann wird die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen sehr real. So kann es zum Armageddon [hebr.: Katastrophe] kommen.
Heute kann sich noch niemand vorstellen, Terroristen eine Atomwaffe in die Hand zu geben. [...] Aber falls entweder die USA oder Israel Atombomben gegen den Irak einsetzen sollten, würde ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass innerhalb von zehn Jahren die Vereinigten Staaten von Terroristen
mit einer Atombombe angegriffen werden.»«Krieg kann doch keine Lösung sein»
Vortragsreise im Norden Deutschlands. Das Thema ist der drohende Krieg gegen den Irak. Die Zuhörer sind keinem politischen Lager zuzuordnen, die Mehrzahl würde sich eher als christlich-konservativ bezeichnen, aber auch ehemalige Grüne sind dabei. Die Älteren unter ihnen haben selbst noch den Zweiten Weltkrieg erlebt. Jemand sagt mir, viele alte Menschen hätten grosse Angst und könnten
nicht mehr ruhig schlafen. Ob die jüngere Generation wirklich versteht, was es bedeutet, wenn es zu einem Krieg kommt? Die Pläne der US-Regierung werden von fast allen kritisiert. Kaum einer glaubt den offiziellen Parolen. Ein Teilnehmer meint, vielleicht gehe es bei dem Plan, die Welt mit Kriegen zu überziehen, auch um das Ziel, die Menschheit zu dezimieren. Alle sind betroffen und werden
nachdenklich.Samstag morgen beim Unterschriftensammeln in einer mittelgrossen süddeutschen Stadt. Auf einem grossen Plakat können die Vorbeikommenden den Aufruf lesen: «Volksabstimmung gegen den Krieg. Wir Bürger wollen keinen Krieg. Nicht im Irak und nirgendwo.» (www.aufruf-gegen-krieg.de) Ohne dass sie angesprochen werden, kommen viele Menschen an den Stand und wollen unterschreiben. Zum
Teil müssen sie Schlange stehen. So einhellig wie bei der Ablehnung des geplanten Krieges gegen den Irak war die Meinung in Deutschland selten. Über alle Altersgruppen, Schichten und politischen Anschauungen hinweg. Die Menschen wollen keinen Krieg - und sie wissen sehr viel über Zusammenhänge und Hintergründe. Manch einer zögert.Ein junger Mann besteht darauf, man müsse doch etwas gegen Saddam Hussein unternehmen. «Aber Krieg kann doch keine Lösung sein, war es nie in der Geschichte und wird es auch dieses Mal nicht sein. Und wer kann die Opfer verantworten?» Der junge Mann geht nachdenklich weiter. Nach zehn
Minuten kommt er zurück und unterschreibt den Aufruf.Ein anderer wirkt resigniert. Seine gründlichen strategiepolitischen Überlegungen würden auf so wenig Echo stossen. «Aber das Mitgefühl!» Der Mann horcht auf. Ja, vielleicht ist es entscheidender, das Mitgefühl der Menschen anzusprechen, als allein nur eine intellektuelle Debatte zu führen. Wir stehen
etwa drei Stunden dort. Drei Stunden, in denen sehr viele unterschreiben und das Gespräch nicht abreisst. Die Menschen suchen das Gespräch, weil sie sehr besorgt sind.Begründete Sorge wegen Biowaffen
Die «Frankfurter Rundschau» veröffentlicht am 5. November eine ganzseitige Analyse von Oliver Thränert, dem Forschungsgruppenleiter Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Das Thema: «Rückkehr zur Pockenschutzimpfung». Die Angst vor einem Angriff mit Pockenviren
sei gewachsen, in Grossbritannien werden bestimmte Bevölkerungsgruppen geimpft, die USA stehen vor diesem Schritt. Auch in Deutschland will das Bundesgesundheitsministerium mehr Pockenimpfstoff lagern.Anfang Oktober hat das Ministerium 11 Millionen Dosen bestellt. Sie sollen bis zum Frühjahr 2003 geliefert werden und den Bestand auf 35 Millionen Dosen erhöhen. «Hintergrund dieser Vorhaben», so Thränert, «sind Befürchtungen, Risikostaaten wie Irak und Nordkorea könnten über Pockenviren
verfügen. Überdies wäre es möglich, dass Terroristen sich Pockenviren verschaffen.» Und dann weiter: «Pocken sind eine hochansteckende Krankheit, deren Erreger durch Tröpfcheninfektion übertragen werden. Die Sterblichkeitsrate in einer ungeimpften Bevölkerung beträgt etwa 30 Prozent. Wirksame
Medikamente zur Bekämpfung der ausgebrochenen Krankheit stehen derzeit nicht zur Verfügung. Mit einer Ausnahme: Wird bis maximal vier Tage nach einer Infektion geimpft, also bevor die ersten Symptome auftreten, haben fast alle so Behandelten eine realistische Überlebenschance.»Wie schwierig allerdings eine Impfung im nachhinein ist, demonstriert eine Übung in den USA: «Im Juni 2001 wurde im Rahmen einer Übung mit dem Titel ÐDark Winterð das gleichzeitige Auftreten von Pockenfällen in Oklahoma City, Philadelphia und Atlanta simuliert. Ehemalige Regierungsmitglieder
schlüpften in die Rolle von Mitgliedern des nationalen Sicherheitsrates der USA. [...] Schnell geriet die hypothetische Epidemie ausser Kontrolle. Die Pocken hatten sich nach nur zwei Wochen über 25 US-Bundesstaaten ausgebreitet, 16000 Menschen waren infiziert, in 10 weiteren Ländern waren Pockenfälle aufgetreten.»Impfungen können Leben retten
Ausführlich geht der Autor der Frage nach, von wem Pocken als biologische Waffe entwickelt wurden und von wem sie heute eingesetzt werden könnten. Der Autor neigt zu einer eher zurückhaltenden Einschätzung der akuten Gefahr. Dennoch: «Die Wahrscheinlichkeit, dass Pocken absichtlich durch Staaten oder Terroristen ausgebracht werden, mag gering sein. Tritt dieser Fall aber doch ein, ist
wegen der ausserordentlich grossen Ansteckungsgefahr und der relativ hohen Sterblichkeitsrate der Verlust vieler Menschenleben zu erwarten.» Um so wichtiger ist die Erkenntnis, dass «ein nahezu umfassender Schutz der Bevölkerung dennoch durch die Wiederaufnahme der Pockenschutzimpfungen
möglich» ist.Am 6. November berichtet die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», amerikanische Geheimdienste gingen davon aus, dass der Irak und Nordkorea über Pockenviren zum möglichen Einsatz als biologische Waffen verfügen. In den USA würden deshalb die Forderungen nach einer Reihenschutzimpfung gegen Pocken lauter.
Am 5. November hatte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) ein Interview mit dem Leiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, ausgestrahlt. Der BND erwartet einen grossen Terroranschlag der al-Kaida in nächster Zukunft. Auch Deutschland sei höher gefährdet als zuvor. Es gebe eine «neue Dimension seit den Erklärungen des bin-Ladin-Stellvertreters al-Zawahiri» vom 8. Oktober, so Hanning. Zawahiri hatte angekündigt, die «Dosis für Frankreich und Deutschland»
gegebenenfalls zu erhöhen. Nach Erkenntnissen des BND sei al-Kaida wieder voll operationsfähig, auch im Ausland.Es ist kein Schicksal
Der weltweite «Krieg gegen den Terrorismus» wird die Welt nicht friedlicher machen. Keiner kann ausschliessen, dass dieser Krieg zu einem Weltkrieg führt. Ein solcher dritter Weltkrieg wird keine definierten Fronten und Grenzen mehr kennen. Jedes Land und jeder Mensch ist bedroht, und die Szenarien sind wirklich apokalyptisch.
Aber all dies ist kein Schicksal: Es braucht mehr Menschen, überall auf der Welt, die gegen den Krieg Stellung nehmen, innerlich begründet, ehrlich und gleichwertig in der Beziehung zum Mitmenschen. Wenn heute 2 und morgen 4 und übermorgen 8 und überübermorgen 16 Stellung nehmen, dann können es in kurzer
Zeit sehr viele sein.
Es ist vernünftig, Vorsorge zu treffen. Die Debatte über den Schutz vor den Folgen eines sich ausweitenden Krieges muss öffentlich geführt werden. Sie kann nicht ein paar wenigen «Experten» überlassen bleiben. Aber: der Sachverstand aller Experten ist auch gefragt. So schnell und so konkret wie möglich müssen die verschiedenen Szenarien gründlich durchdacht und muss alles getan werden, um Gesundheit und Leben der Menschen zu schützen.Alle Menschen sind aufgerufen, ihre intellektuelle und mitmenschliche Energie dafür einzusetzen, friedliche Lösungen für die sich zuspitzenden Konflikte in der Welt zu suchen. An die Stelle der politischen und militärischen Konflikteskalation muss die Suche nach einem Weg des Friedens
treten. Ein solcher Weg des Friedens kann nur ein Weg der Gerechtigkeit sein und darf deshalbdie Ursachen von Gewalt und Krieg nicht ausklammern: den Bruch mit den rechtlichen Errungenschaften der Menschheit, das Übergehen von echter Freiheit und direkter Demokratie, die wirtschaftliche und soziale Ausbeutung des Menschen durch Menschen im Namen der Globalisierung.
Friedenserziehung ist ein Gebot des Überlebenswillens der Menschheit. Nicht nur Kinder und Jugendliche, alle Menschen müssen wieder lernen, Konflikte friedlich lösen zu können, im Kleinen wie im Grossen. Die Menschen brauchen keine Gewalt und keinen Krieg, um zu überleben. Im Gegenteil: Der menschlichen Natur gemäss ist ein würdiges und freies, gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben und Zusammenwirken.* in: Rivers Pitt, William/Ritter, Scott. Krieg gegen den Irak. Was die Bush-Regierung verschweigt. 2002, ISBN 3-462-03211-9
Artikel 3: Zeit-Fragen Nr.46 vom 11. 11. 2002, letzte Änderung am 12. 11. 2002
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