Re: Kriegskanzler und Kriegsminister

Geschrieben von Johannes am 28. Mai 2001 15:57:34:

Als Antwort auf: Re: Schröder in Wien geschrieben von Peter Pan am 28. Mai 2001 12:58:55:

> Nun mal langsam.
> Die Rot/Grüne Regierung war mal gerade eben ins Amt gekommen, als die ganze
> Sache losging. Da gab es nicht viel Einfluß zu nehmen, sondern nur ja oder
> nein zu sagen.


Hallo Peter Pan,

nun, ja oder nein, das sind doch immerhin Alternativen?

> Übrigens voll von der CDU unterstützt.

Ich habe daher auch mit keinem Wort die CDU verteidigt.

Normal will ich mich hier aus Politik heraushalten, aber das Thema "Kriegskanzler" hat für mich schopn eine sehr große Bedeutung. Franke43 wird sicher noch anführen, daß wir im Rahmen des Kosovo-Kriegs evtl. nur dadurch an einem 3. Weltkrieg vorbeikamen, weil ein brit. (?) Kommandeur die Ausführung eines Befehls verweigert hat. Das lasse ich aber ihn sagen, er kann das besser.

Ein Freund und ich, wir hatten uns damals sehr viel mit diesem Krieg und Politik im allgemeinen beschäftigt. Beide haben wir etwa die gleiche Grundeinstellung (wertekonservativ, Sympathien so zwischen CSU und FDP, je nach Thema). Beide hatten wir bisher fast immer unseren Standard gewählt. Das war schon immer so, so wählt man halt auch das nächste Mal, auch wenn es nur das kleinere Übel ist.

Für ihn gab es ein Schlüsselerlebnis, durch das für ihn ein Umdenken begann. Er ist Berufsimker, steht regelmäßig auf dem Markt und hat daher viel Kontakt zu Kunden. Ein älterer Serbe fing dann im Gespräch an zu weinen und hat ihm sein Herz ausgeschüttet: Er war gerade im Kosovo gewesen, wohl zu einer Familienfeier, als plötzlich Albaner kamen und viele von ihnen umbrachten, teilweise mit Bajonetten aufgeschlitzt. Ein Freund starb in seinem Armen. Er überlebte, weil er für tot gehalten wurde, sagt er: "Was Serben den Albaner tun, das weiß ich nicht, aber ich weiß, was Albaner uns getan haben."

Dieser Ort und das Massaker wurden nicht in den Medien erwähnt, es kamen nur die Taten der Serben.

Natürlich kann ich diese Aussage nicht beweisen, aber ich habe damals selbst sehr viel Nachrichten gehört, ich hatte Urlaub. Morgens, vor dem wegfahren, ein Interview im Radio über Satelliten-Telefon: "Wir sind hier in Albanien, direkt an der Grenze. Hier sind viele Flüchtlinge. Es ist gar nicht weit bis ins Landesinnere, aber die Straßen sind sehr, sehr schlecht, dadurch gibt es Versorgungsprobleme. Es wird daher versucht, alle transportfähigen Flüchtlinge zur nächsten Stadt zu bringen, damit sie besser versorgt werden können."

Und nun kommt es: "Wenige Kilometer, nachdem die LKWs unseren Ort verlassen haben, werde sie in den Bergen von Bewaffneten gestoppt, es sind UCK-Kämpfer. Sie holen jeden Mann im wehrfähigen Alter raus, er wird dann noch kurz trainiert und muß dann zwangsweise in den Kosovo zurück, um zu kämpfen."

Wenn Du damals die Medien verfolgt hast, dann weißt Du, das jede Meldung, jedes Interview, mehrfach wiederholt wurde, denn es gab ja nicht dauernd Neuigkeiten. Diese eine Meldung, die ganz anders war als das bisherige, wurde jedoch nicht wiederholt.

Am nächsten Tag jedoch war Scharping im Fernsehen: "Sehen Sie sich doch einmal die Bilder von den Flüchtlingslagern an", sagte er, "was sehen Sie da? Wie viele junge Männer gibt es da? Richig, nur sehr wenige. Die Serben haben sie ermordert. Wir Deutsche stehen daher in der besonderen Verantwortung, jetzt erst recht einzugreifen." (alles sinngemäß zitiert)

Hm, was hatte ich gestern gehört? Sollte diese Meldung nicht bis zu Scharping vorgedrungen sein? Wenn die UCK die jungen Männer zwangsrekrutiert, dann wird das den Serben angelastet und dafür deren zivile (!) Infrastruktur zerstört? Oder liegt die Wahrheit irgendwie dazwischen? Hm, aber kann sie dann noch als unbedingten Kriegsgrund nehmen?

> Erinnert Euch, damals wurden unter den Augen der UN zigtausende Bosnier
> massakriert.

Und welche Lehren wurden daraus gezogen? Wurden dieses Mal Schutzzonen verteidigt? Wurde den serbischen Verbänden gesagt: Einen Schritt weiter in die falsche Richtung und wir schießen auf Euch? Oder: Wenn noch ein Panzer auf das Dorf der Kosovo-Albaner schießt, dann habt Ihr einen Panzer gehabt? Wurden wenigstens die Nachschubwege der Serben zerstört?

Nein, auch die Nachschube wurden nicht zerstört. Das erfuhren wir aber erst am Ende, als die Journalisten verwundert fragten, wie die Serden denn wie gefordert so kurzfristig abziehen sollen: Dies sei kein Problem, alle dazu nötigen Straßen können noch immer mit schwerem Gerät befahren werden, und auch für einzelne zerstörte Stellen gibt es Umgehungsmöglichkeit.

Da wurden also alle Nachschubwege offengelassen. Es wurden nicht Schutzzonen verteidigt, sondern Graphit-Bomben ausprobiert. Es wurden Wasserleitungen zerstört und Brücken bombadiert. Kein nennenswerter Schlag gegen das Militär, aber eine ganz massive Störung der zivilen Infrastruktur.

Nochmal zu Deiner Bemerkung:

> Übrigens voll von der CDU unterstützt.

Das ist traurig, heißt aber nicht, daß es dann die deutsche Beteiligung gegegen hätte. Die Grünen und alle Linken hätten lieber den Reichstag in Schutt und Asche gelegt, als zuzulassen, daß von deutschem Boden wieder Krieg ausgeht. So sieht es praktisch eben doch so aus, daß Deutschland erst dadurch wieder Krieg führen konnte, weil die Grünen dabei waren.

> Wir wissen nicht, was Schröder und Fischer in Washinton gesagt bekamen,

Das wäre ein sehr interessanter Punkt. Was bekamen die beiden gesagt? Und was haben die Amis überhaupt den Deutschen zu sagen? Was wäre passiert, wenn Deutschland sich auf das Grundgesetz berufen hätte?

Aber Schröder und Fischer waren gehorsam. Selbst danach, als keine "Gefahr im Verzug" mehr bestand, stimmten die bereitwillig der geänderten Nato-Doktrin zu: Es werden nun nicht mehr gemeinsam die jeweiligen Territorien verteidigt, sondern die Nato darf überall dort eingreifen, wo sie ihre Interessen bedroht sieht. Dies ist ein fundamentaler Unterschied und nur schwer mit dem Grundgesetz vereinbar (Verbot der Vorbereitung eines Angriffkrieges). Aber Dank (?) Kosovo brauchte unsere Regierung dazu keine Diskussion zu fürchten.

Es ist also soweit, Deutschland darf "endlich" wieder Krieg führen. Natürlich nur für das Gute und im Namen der Menschenrechte (Kleinigkeiten wie ein UNO-Mandat interessieren da nicht). Wer bestimmt eigentlich die deutsche Politik? Von welchen Interessen wird sie im Endeffekt geleitet?

Zurück zu meinem Anfang: Nachdem mein Freund und ich lange über diese und ähnliche Punkte nachgedacht haben, haben wir zum ersten Mal in unserem Leben völlig anders gewählt, wir hätten so etwas beide nie für möglich gehalten. Einer wählte NPD, der andere PDS. Nicht wegen Symphatien für Neo-Nazis, Stasi-Schergen oder Stalinisten, sondern wegen der Hoffnung, daß Politik für Deutschland gemacht werden könnte, nicht für irgendwelche im Endeffekt unklaren Interessen.

> Aber wer von uns kann sagen, wie das Ganze ohne Eingreifen ausgegangen
> wäre. Sicherlich nicht bei Tee und Keksen in Belgrad, sondern so wie jetzt
> mal wieder in Makedonien vorgegangen wird.

Wo Du diesen Punkt schon erwähnst: Hast Du Dir einmal angesehen, wie sich die UCK unter den Augen der Nato bewaffnen durfte? Jetzt kann man eigentlich sagen, daß keine der beiden Seiten wesentlich besser ist. War das damals anders? Waren nur die Serben die Bösen, die man dafür bestrafen mußte? Und begannen nicht die meisten Massaker erst aus Rache für den Beginn des Krieges? (bzw. nach dem Abzug der OSZE-Beobachter - deren Dolmetscher wurden schutzlos zurückgelassen. Daß die als "Kolloborateure" die ersten Opfer würden, war abzusehen, aber genau das wurde dann als Begründung für die nächsten Bomben genommen... - Krieg für die Menschenrechte?)

Ach ja, noch die Anfangsbemerkung von Dir:

> Wir wissen nicht, was Schröder und Fischer in Washinton gesagt bekamen,

Hast Du unter diesem Blickwinkel mal über den Rücktritt von Lafontaine nachgedacht?

Lafontaine habe ich (politisch) nie gemocht. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Politikern (ob Schröder, Merkel oder sonstwer), war er Vollblut-Politiker aus Überzeugung, nicht wegen Macht und Karriere. Die anderen sind doch eigentlich austauschbar und gehen dorthin, wo sich die besten Chancen bieten.

Nun, ein Vollblut-Politiker weiß, auf was er sich einläßt. Lafontaine war lange in der Politik, er wußte, welche Belastung das für ihn und seine Familie bedeutet. Hast Du je seinen Rücktritt verstanden? Und die Begründung war doch wirklich sehr schwammig. Zumindest nicht überzeugung für eine Kämpfernatur wie Lafontaine.

Nun, sie waren gerade zurück aus den USA. Offiziell wurde den Serben gerade ein neues Ultimatum gestellt mit der angeblichen (?) Hoffnung, sie zum Einlenken zu bewegen und einen Angriff zu verhindern. Nach all den späteren Fälschungen, die den Einsatz rechtfertigen sollten (Hufeisenplan! Oder Bilder im Zeitraffer, um die Bombadierung eines Zuges als unvermeidliches Unglück erscheinen zu lassen, ...) glaube ich, daß der Krieg bereits feststand. Nur mußte die Öffentlichkeit noch endgültig vorbereitet werden.

Das war wenige Tage vor Beginn. Und genau hier tritt Lafontaine zurück. Mit einer doch sehr schwammigen Begründung. Er habe sich entschieden, doch lieber mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen.

Nun, wäre nicht folgendes denkbar? Der Angriff war beschlossen, die Regierung hatte das in den USA gesagt bekommen. Jetzt ist Gehorsam angesagt, da darf kein Minister aus der Reihe tanzen. Lafontaine möchte diesen Krieg nicht. Er verzichtet darauf, die Regierung bei dem wenige Tage später geplanten Angriff bloßzustellen und dagegen zu stimmen. Nein, da nimmt er lieber eine Begründung, die keiner so recht verstehen kann. Aber er nimmt es in Kauf, sich persönlich ins Abseits zu stellen, weil er als Vollblut-Politiker diesen Krieg nicht mittragen kann. Sich in der Regierung gegen diesen Krieg stellen? Nein, er möchte lieber noch ein wenig Zeit mit seiner Familie verbringen.

> Ich bin das Linksbashing der Rechten langsam leid, ebenso wie das ewige
> Jammern der Linken.

Mir ging es nicht um Links oder Rechts. Wie Du nun siehst, haben sich mein Freund und ich aus den gleichen Gründen heraus völlig anders entschieden.

Aber wenn hier hier wieder lese, wie stolz Stefan darauf ist, daß unser Kriegskanzler die Österreicher brüskiert, weil sie ihr Recht auf freie Wahlen falsch genutzt haben, dann bin ich schockiert. Ich möchte mir jedenfalls kein Feindbild gegen Österreich einreden lassen.

Das Erzeugen von Feinbildern und klaren Fronten hat sicher funktioniert. Fast alle "wußten", daß es um einen 'gerechten' Krieg geht und die Serben die Bösen sind. So leicht lassen sich Stimmungen schüren.

Nein, und dann noch stolz sein, wenn dieser Kriegskanzler sich nicht mit freien und geheimen Wahlen abfinden kann, weil die Wähler selbst entschieden haben, da bin ich sprachlos. Oder zumindest fast sprachlos. ;-)

Viele Grüße

Johannes

Antworten: