Mauer des Schweigens
Geschrieben von Freiwild am 11. September 2002 13:41:24:
Als Antwort auf: Geschichtsaufarbeitung und Propheten geschrieben von ahlfi am 11. September 2002 12:31:27:
Hallo Ahlfi,
ein interessanter Artikel, aber sicher nur ein begrenzter Auszug
aus der Befindlichkeit der Betroffenen>
>Der Nationalsozialismus war ein Massenphänomen. In den Familienüberlieferungen findet man jedoch kaum Spuren davon.
>
>In deutschen Familiengesprächen über die eigene Nazi-Vergangenheit tauchen keine Täter auf, sondern nur Opfer von Krieg und Not oder Helden des alltäglichen Widerstands. Denn für die Enkel steht fest: «Opa war kein Nazi».
>Von Uschi Heidel
>ich bin bei meinen Fragen als Kind/Jugendlicher nur auf eine Mauer
des Schweigens gestoßenMeine Großeltern konnte ich nicht befragen:
- mein Urgroßvater hatte noch am siegreichen Feldzug gegen
das russ. Kaiserreich teilgenommen (1914-1917)
Infolge seiner körperlichen Schäden (er hatte einen
Selbstverstümmelungsversuch unternommen, um nicht noch
zusätzlich - wie sein Sohn - an die Westfront zu müssen)
ist er noch vor WK2 gestorben. Hat deswegen auch keine
Rente bekommen - Man hat ihm den Unfall nicht geglaubt- mein Großvater glaubte nicht, daß die Russen 'uns Älteren
etwas tun werden'. Er ist deshalb mit meiner Großmutter
in Schlesien geblieben und wurde zusammen mit ihr massakriert.- Meine Tanten sind noch rechtzeitig mit dem Fahrrad abgehauen.
Mein Vater ist als junger Mann 1943 eingezogen worden und
war dann kurz in Russland und anschließend in Italien.
Auf Fragen gab es nur wenig, wollte dann auch nicht massiv
nachfassen. Die Generation war von den Ereignissen traumatisiert
und hat massiv verdrängt.
Allgemeine Leere - keine Rachegedanken - "wir haben überlebt
und wollen nie mehr nach Schlesien - da leben jetzt genauso
arme Teufel, die aus Ostpolen vertrieben wurden"
Zitat Ende- Die andere Familienlinie
Großvater deutscher Patriot - sprach russisch und polnisch
Kam für einige Zeit ins KZ - Körperliche Auseinandersetzung mit
einem SA-Rittmeister (wegen ... aber keine 'Heldensaga')
Ist durch Intervention von anderen "Nazis?" wieder freigekommen.
Mußte Stillschweigen über seinen KZ-Aufenthalt wahren.
Unterschrift + Androhung ...
In der Familie gbt es darüber keine Dokumente.
Ironie der Geschichte:
Mecklenburg wird durch die Russen befreit. Opa stirbt im Lager
Fünfeichen - einfach verhungert -
(Beleg ein Buch mit Namensliste aus nach DDR-Zeit),
In dieses Lager hatten die Russen alle möglichen Leute gesteckt.
Hab das Buch weggeworfen ist mir zu morbid.
- Meine Mutter und Tante waren als Luftwaffen- bzw. Flakhelferinnen
kurz vor dem 'Endsieg' eingezogen.
Sie waren stolz, daß sie beteiligt waren, als amerikanische
bzw. britische Flugzeuge über deutschen Städten abgeschossen
wurden. Ihre Brüder und eine weitere Schwester waren noch zu jung,
um an dem Geschehen teilzunehmen. Deren Erinnerungen sind stark
kindlich geprägt.o Unsere italienische Linie (meine Frau)
Schwiegervater hatte noch Albträume als ich auch mal dort unten war.
Erzählungen mit begeistertem Unterton über die gemeinsamen Feldzüge
mit den Deutschen (Afrika bis zur Kapitulation).
Wurde von den italienischen "Widerstandskämpern" noch ein Jahr nach
Kriegsende gesucht. Hat mental die Wende verpennt (treu / doof?)
Konnte dank der Hilfe von Nachbarn und Freunden versteckt bleiben
bis zur 'Generalamnestie(?)' für ehemalige Armeeangehörige.Auch hier weitestgehen eine Mauer des Schweigens.
Nur knappe Auskünfte
>Was Sozialpsychologen im Rahmen der Mehrgenerationenstudie zur «Tradierung von Geschichtsbewusstsein» an der Universität Hannover zutage förderten, offenbart die enorme Kluft zwischen dem Wissen, das etwa in der Schule über das «Dritte Reich» vermittelt wird, und den Geschichten aus dem «Familienalbum».
>Helfer und Gegner
>Heute sind Kinder und Enkel gut informiert über Hitlers Regime, über die NS-Verbrechen und die Vernichtung der europäischen Juden. Doch gerade diese gelungene Aufklärung führt offenbar dazu, dass die Nachfahren erst recht ihre Familien von jeglicher Verstrickung in eine solche Vergangenheit ausschließen wollen, stellen die Wissenschaftler fest.ist doch nicht mehr als menschlich
>Je klarer Kindern und Enkeln das Grauen und die Gräueltaten des Nazi-Staates bewusst sind, um so mehr fordert die Familientreue, die moralische Integrität der Eltern oder Großeltern zu wahren. Da werden Oma und Opa zu Helfern verfolgter Mitbürger und zu entschiedenen Gegnern des Regimes, auch wenn ihre Erzählungen dies gar nicht nahe legen.
>Opfer und Helden
>Das NS-Regime
>
>40 Familien haben Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall interviewt, dabei 182 Gespräche geführt und sich über 2500 Geschichten, Erlebnisse und Erinnerungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 erzählen lassen - von den Großeltern, deren Kindern und Enkeln. «Nicht wenige von diesen Familiengeschichten verändern sich auf ihrem Weg von Generation zu Generation, so dass aus Antisemiten Widerstandskämpfer und aus Gestapo-Beamten Judenbeschützer werden», beobachtet Welzer. In zwei Drittel aller Erzählungen waren die Familienangehörigen entweder Opfer der NS-Vergangenheit oder sie wurden zu Helden gemacht.
>Eine im Juni vom Emnid-Institut durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage untermauert diese Beobachtungen: Fast jeder zweite Befragte ist überzeugt, dass die eigenen Angehörigen dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden. Nur sechs Prozent meinen, die Verwandten hätten Hitler zugejubelt, lediglich drei Prozent glauben, ihre Angehörigen seien «antijüdisch gewesen», und nur ein Prozent hält es für möglich, dass diese «an Verbrechen direkt beteiligt gewesen» seien. Aber für fast zwei Drittel der Befragten ist klar, dass ihre Eltern oder Großeltern «im Krieg viel gelitten hätten».
>Nur vage Erinnerungen
>Erinnerungen bleiben vage, vieles ist unbestimmt. Dieses «leere Sprechen» sei eine Redeweise, die wie keine andere das Gespräch zwischen den Generationen über das Nazi-Regime präge. «Akteure - und zwar meist die Täter - bleiben ohne Konturen, historische Vorgänge werden nur in Umrissen beschrieben, so dass unklar bleibt, worum es eigentlich geht. Das Geschehen erscheint dann fast harmlos», analysiert Sabine Moller. «Leeres Sprechen» lasse viel Raum für die Gestaltung einer «guten» Geschichte.
>Bilder aus Filmen dienen dazu, die Leerstellen in den Erzählungen aufzufüllen. Außerdem - das verdeutlichten die Interviews - fließen immer noch Stereotypen in die Tradierung der Familiengeschichte ein, etwa der «böse Russe», der «Muss-Nazi» oder «dass man nichts wusste» und «dass Juden keine Deutsche waren». Diese Klischees entlasten von möglichen Schuldfragen. «Der Holocaust hat keinen Ort im deutschen Familiengedächtnis», so ein Fazit der Studie.Kann ich nicht bestätigen - Mauer des Schweigens (der Scham ?)
Etwas Stolz auf die eigene Leistung ( ...Bomber abgeschossen...)>Auch anderen Propheten erlegen
>In ostdeutschen Familien liegt die Erinnerung an den SED-Staat vielfach «über» der Erinnerung an die NS-Zeit, beobachten die Wissenschaftler. Beides wird ständig miteinander verglichen. Das führt dazu, dass sich die Kinder mit Vorwürfen oder Anklagen gegenüber der Zeitzeugengeneration noch stärker zurücknehmen als ihre westdeutschen Altersgenossen. Denn sie selbst haben ja eine Diktatur nicht «verhindern» können. «Dass weiß ich aus der Geschichte, dass man auch anderen Propheten erlegen sein kann, das haben wir an der eigenen Geschichte erlebt, im Sozialismus», sagt ein 56jähriger.
>Die Studie zeige, so ihre Autoren, dass die Weitergabe der eigenen Vergangenheit im Familiengespräch offensichtlich den Rahmen dafür bereitstelle, wie erlerntes Geschichtswissen gedeutet und gebraucht wird. «Die emotionale Dimension der Vermittlung spielt dabei eine weitaus größere Rolle als das Lernen von Fakten.»Hab auch meinen amerikanischen Onkel versucht zu befragen.
( Luftwaffensoldat - kein Flieger - hat den Nachschub organisiert)
Selbe Reaktion - weitgehend Schweigen - erzählt bestenfalls
von der Zeit nach dem Krieg - als er in 'Kriegsgefangenschaft' (*g*)
einer anderen Tante geriet. Fühlt sich in dem Zustand auch heute
noch sauwohl.Ich denke von Familie zu Familie
unterschiedlich - was halt die Kinder und Enkel
aus den 'Geschichten' machen
Die eigentliche Kriegsgeneration schweigt lieber
und erzählt bestenfalls von ein paar netten Anekdoten.
Das menschliche Gedächtnis verdrängt eher Unangenehmes.
Schönes wird behalten.
Wie die ehemaligen Sieger (bzw. deren Kinder) denken und fühlen
weiß ich nicht. Mein amerkanischer Onkel ist wahrscheinlich
nicht repräsentativ.Alles doch irgenwie persönliche Wahrnehmung
Die Realität war oft grausam genug.
Möge den Beschönigern ihre kleinen Variationen
doch verziehen sein
Mit freundlichen GrüßenFreiwild
- Re: Mauer des Schweigens ahlfi 11.9.2002 13:57 (3)
- Re: Mauer des Schweigens Tashi Lhunpo 11.9.2002 16:01 (0)
- Re: Mauer des Schweigens Freiwild 11.9.2002 14:12 (1)
- Re: Mauer des Schweigens ahlfi 11.9.2002 14:22 (0)