Hatten wir gestern in Mannheim

Geschrieben von Mischel am 26. Juni 2002 08:03:21:

Als Antwort auf: Bürgerkriegsähnliche Zustände geschrieben von Burgwart am 25. Juni 2002 16:05:58:

Wegen einer bekloppten Minderheit, die sich kloppen wollte....

Ausnahmezustand am Wasserturm

Polizei sperrt das Wahrzeichen ab / Situation eskaliert / Vier Menschen verletzt

Von Angelika von Bülow, Steffen Groß und Martin Tangl

Ausnahmezustand in der Innenstadt: Polizei und Fußballfans stehen sich unversöhnlich gegenüber, Flaschen fliegen, Polizisten werden mit Leuchtmunition beschossen, Fans mit Pfefferspray besprüht und von einer Reiterstaffel aus dem Gelände gedrängt. Entsetzen bei all jenen unter den 2000 Menschen, die friedlich den deutschen Finaleinzug feiern wollten: "Wir haben Angst vor Sonntag," sagt einer und eine Frau fragt: "Warum muss das so eskalieren?" Zwei Polizisten und zwei Fans werden verletzt. Hooligans demolieren auf der Kurpfalzbrücke einen Stadtbahn-Zug der Linie 1.

Oberbürgermeister Gerhard Widder erreicht die Nachricht von den Ausschreitungen im Gemeinderat. Er ist erschüttert: "Es kann nicht sein, dass die Freude über einen Sieg im Fußball in Terror ausartet." Es sei schon "gallenbitter", wenn man sich insgeheim eine Niederlage der deutschen Fußballer wünsche, nur damit niemand bei den Siegesfeiern zu Schaden komme.

Es beginnt alles fröhlich, viele junge Leute ziehen zum Wasserturm, glücklich, dass die Jungs von Rudi Völler es doch tatsächlich geschafft haben. Am Wasserturm empfängt sie die Polizei. Doch nichts würde passieren, kämen nicht wieder stadtbekannte Skins und Hooligans ins Bild. Etwa 200 wollen provozieren, haben eine Heidenfreude, als das Geschehen ausartet.

Sie beschimpfen Beamte, schwenken die Reichskriegsflagge. Andere lassen sich mitreißen, die Menge will das Mannheimer Wahrzeichen stürmen. Doch dorthin kommt sie nicht, dutzende Polizisten stehen davor. Ein Wort ergibt das andere, die Aggressionen steigen, der Alkoholpegel vieler Fans auch. Schreckschüsse knallen, Flaschen fliegen, ein Beamter erleidet eine klaffende Platzwunde. Als Randalierer die Absperrungen vor dem Turm niederreißen, greift die Polizei massiv durch.

Die Meinungen sind geteilt. Junge Leute im Deutschland-Trikot beschweren sich über "diese Nazi-Idioten, die überall nur provozieren müssen," die "sogar schießen, das ist unmöglich", äußern Verständnis für die Polizei, "die Beamten sind derart beschimpft worden, die müssen doch mal die Nerven verlieren". Andere sehen den Einsatz kritisch: "Viel zu übertrieben", meint ein Mann mittleren Alters, eine Frau fügt an: "Die haben doch zur Eskalation beigetragen mit ihrer Omnipräsenz." Ein junger Mann wundert sich, "warum die nicht einfach den Turm freigegeben haben, dann wäre gar nichts passiert", ein anderer regt an, am Sonntag eine Bühne aufzubauen vor dem Turm: "Zusammen feiern, egal wie das Spiel ausgeht, das wäre doch schön."

Polizeisprecher Volker Dressler verteidigt das Vorgehen der Beamten: "Wir haben nicht provoziert, sondern nur reagiert", betont er, "und wenn wir den Turm nicht so stark gesichert hätten, wären wir wie am Freitag überrannt worden."

Kurze Zeit später ruft der Einsatzleiter vom Turm herab über Megaphon: "Sie Gaffer, Sie sind genauso kriminell wie die Leute, die uns mit Leuchtmunition beschießen." Da schüttelt so mancher den Kopf: "Mit sowas heizt man das alles doch nur noch mehr an." In der Tat steigt der Lärmpegel weiter: "Wir sind Deutsche und ihr nicht" ist noch eine der harmloseren Beschimpfungen, die den Beamten entgegengeschleudert werden. Ein Polizist reißt einem Mann die Deutschlandfahne aus der Hand, beinahe bricht eine Schlägerei aus. Später fliegen am Tattersall die Fäuste, dann trifft Verstärkung ein. Gegen 19.30 Uhr vertreiben Einsatzkräfte die letzten Verbliebenen und nehmen noch einmal zahlreiche Randalierer fest.

© Mannheimer Morgen – 26.06.2002


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