De gustibus non est disputandum

Geschrieben von franke43 am 07. März 2002 07:56:44:

Als Antwort auf: pauschalisierung? geschrieben von vertex am 06. März 2002 14:06:53:

Hallo

Über musikalische Geschmacksfragen streiten bedeutet nur sich in eine
endlose Schlammschlacht einzulassen, die thematisch nicht hierher
gehört.

Was ich gemeint habe, sind diejenigen, die in der Populärmusik
derzeit grossen finanziellen Erfolg haben. Hier vermisse ich eine
vernünftige Kopplung zwischen solidem musikalischem Können
einerseits und dem grossen Erfolg beim Publikum und auch finanziell
andererseits.

Mozart war - gegen alle Mythen - ein Spitzenverdiener,
und das stand ihm auch zu. Nur konnte er nicht mit Geld umgehen.
Welche bleibenden Werte schaffen Musikgruppen wie Scheiss Girls
oder Bullshit Boys, wass wird von denen noch in 100 Jahren
gebracht werden ? Haydn- und Mozartsymphonien stehen heute noch
auf den Repertoirelisten, und wir wissen warum.

Es gab auch mal eine Zeit, da war Italienisch die Musiksprache
Nr. 1, nicht das quäkende amerikanische Englisch.

>leidergottes stimmt es, dass der ueberwiegende teil in der heutigen >popularmusik uebelste abzocke ist - aber es gibt abseits der limp bizkits und >dr. dres noch einige ernsthafte musiker, die unter anderem auch rock und >hiphop in allen variationen produzieren.

Diese einfallsreicheren Leute sind aber nicht die, die den Erfolg
und das Geld haben. Schlussfolgerung: Phantasie und Können wird eben
NICHT belohnt.

>ok, bei hiphop schaut's tatsaechlich ganz arg aus im moment, da stehen die >plattenfirmen im moment voll dahinter, aber v.a. im bereich rock/metal gibt es >momentan einige interessante bands, die auch ein ziemlich tiefes verstaendnis >fuer musik haben, und einige indie-labels, die musik der musik wegen >veroeffentlichen. ich halte es fuer falsch, wenn jemand band- oder auch >elektronik-musik pauschal verurteilt, weil sie nicht mit einem orchester >gespielt wird. das ist genauso ignorant wie wenn jemand orchestermusik >pauschal ablehnt ohne sich damit auseinanderzusetzen.

Das ist auch Quatsch. Auch in der Klassik gibt es massig andere Formen
als Orchestermusik. Selber höre ich öfters nicht nur Symphonien,
sondern auch Streichquartette von z.B. Haydn, den Du weiter unten
auch erwähnt hast.

Was mich an den heute gängigen Musikrichtungen stört, ist ausser der
offensichtlich ungerechten Zuteilung des materiellen Erfolgs die
Verengung:

- Die Verengung auf Musik nur noch mit Gesang. Sofern man das hysterische
Geschrei oder Gebrabbel (bei HipHop) als Gesang gelten lässt. Musik ohne
Gesang, sogenannte absolute Musik, ist ausgestorben.

- Die Verengung auf Lautstärke. Alles ist nur noch fortissimissimo,
also so laut wie irgend möglich. Dynamische Abstufungen von pp bis
ff sind völlig weg.

- Die Verengung auf den massiven Einsatz elektronischer Hilfsmittel.
Die meisten Stücke heute könnten die Interpreten heute ohne Steckdose
gar nicht mehr spielen.

- Die Verengung auf ein Einheitstempo. Weg ist die frühere Differenzierung
von LArgo bis Prestissimo.

- Die Verengung auf den "Viertaktmotor". Alle ungeraden Taktmasse sind
weg, es gibt nur noch den Viervierteltakt.

- Die Verengung auf eine äusserst ungünstige, weil nicht sehr klangvolle
Musiksprache. Amerikanisches Englisch ist aus musikalischer Hinsicht
(Sprachmelodie) alles andere als die Optimallösung. Die war stattdessen
Italienisch.

- Die harmonische Verengung. Zwar werden ausser den Hauptdreiklängen
der Kadenz durchaus auch Nebentonarten mitverwendet, auch Dur/Moll-
parallelität und Medianten kommen durchaus mal vor. Aber die harmonische
Entwicklung in den Stücken mit längerem Ausweichen auf andere Haupt-
tonarten und längere Modulationen sind auch völlig weg.

Das ist so meine Hauptkritik an den Musikrichtungen, mit denen
heute das grosse Geld verdient wird. Gegen die Nischenleute habe ich
nichts, gerade denen würde ich einen grösseren Anteil am Erfolg
wünschen.

>ich beschaeftig mich z.b. seit jahren mit musikproduktion und hab mittlerweile >auch schon einiges an erfahrung gesammelt. und ich zumindest hoer mir keine >hitparadenmusik an, sondern so ziemlich ausschliesslich das, was heute >unter 'alternative' laeuft. und mir war viva2 immer noch zu kommerziell ;-)

Vielleicht sollte ich Dir mal vorspielen.

>und ich hoer mir auch hin und wieder gerne eine haydn-sinfonie an.

Ich auch, s.o.

>manchmal macht es irre viel spass, weil diese musik einfach gefuehle >transportiert, die in anderen musikrichtungen einfach nicht vorkommen.

Nun war ja gerade Haydn der Meinung, Musik wäre NICHT dafür da, um
Gefühle zu transportieren. Das hat er jedenfalls seinem Schüler
Beethoven gegenüber einmal geäussert. Nach Haydns Meinung sollte
die Musik ein Abbild des kosmischen Ordnungszustands sein, also
nicht dionysisch, sondern apollinisch.

> genauso, wie diese musik viele gefuehle, die mich als - noch - jungen >menschen, der in den 90ern aufgewachsen ist, beruehren, einfach nicht kennt. >und das ist gut so, finde ich. ich hab auch zwei jahre klavier gelernt, hab >bach und blues gespielt (nicht besonders gut, aber immerhin) und neben meinen >techno-vinyls stehen die beatles ... etc. etc. ...

Die Beatles waren der grosse kreative Sonderfall, die Stilbildner,
diejenigen, von deren Phantasie dann die anderen gelebt haben.
Bei denen findet man leise Töne, Dreitakt (Norwegian Wood),
komplizierte Akkordfolgen (Michelle) ...

>und deshalb verwehre ich >mich gegen das pauschalisierte ablehnen einer sehr vielschichtigen >musikrichtung, wie es z.b. die rockmusik ist. klar, das was so an die oberflaeche blubbert ist zum ueberwiegenden teil einfach nur muell.

Ich lehne nicht die Vielschichtigkeit ab, sondern die Tatsache,
dass innerhalb der Vielschichtiglkeit immer die maximale
Phantasielosigkeit auch die maximale materielle Belohnung
erhält. Das ist eine negative Rückkopplung.


>aber es gibt ueberall gute leute. und die guten leute sind auch nie die >grossen abraeumer. die meisten von denen erlangen auch keine grosse >popularitaet, und man muss sich fuer die musik schon interessieren, um diese >leute kennenzulernen.

Eben das ist ja gerade der Kritikpunkt. WARUM erlangen diese Leute
nicht die Popularität, die ihnen zusteht. Mozart war der Spitzenverdiener,
weil er die Spitze war. Wir kennen in der Musikforschung über Hundert
Komponisten, die genau gleichzeitig aktiv waren. Viele davon waren
gut, manche sehr gut, aber nicht mal Haydn konnte sich mit Mozart
messen, und das wusste er auch selber. Mozart erhielt genau den
materiellen Erfolg, der ihm als dem Besten zustand.

>--------
>nebenbei wollte ich noch anmerken, dass in meinen augen z.b. bauer ein genauso >kuenstlicher beruf ist wie schaufensterdekorateur. das mag schon sein, dass >bauer, haendler, etc. vielleicht die aeltesten berufe der welt sind, aber das >macht sie nicht natuerlicher, weil das gesamte system kuenstlich ist - vom >menschen erschaffen. finde ich zumindest.

Schon. Die erste Revolution des Menschen gegen die natürliche Ordnung
war die Zähmung des Feuers. Die zweite Revolution war der Übergang
vom Dasein als Jäger und Sammler zum Ackerbauern und Viehhirten.
Aber das sind Beruyfe, die noch mit der primären Erzeugung des
Lebensnotwendigen zu tun haben, also unverzichtbar.

Aber muss es Schaufenster und Schaufensterdekorateure geben ?

Doch nur in einer Klimbimgesellschaft, in der es mühevoll ist,
den Leuten nutzlosen Kram zu verkaufen.

Gruss

Franke 43
Amateurmusiker



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