Re: Bundesregierung will Straftatbestand der Volksverhetzung bedenklich verschärfen
Geschrieben von Johannes am 17. Februar 2005 13:11:45:
Als Antwort auf: Bundesregierung will Straftatbestand der Volksverhetzung bedenklich verschärfen geschrieben von IT Oma am 17. Februar 2005 09:05:21:
> Eine sehr, sehr dehnbare Definition. Leider gibt es genügend Fälle, in denen
> die Lage alles andere als klar ist. Und diese Fälle zu diskutieren, könnte
> in Zukunft gefährlich werden. Der im Artikel angeführte Kosovo ist nur ein
> Beispiel.
>
> Adieu Presse- und Meinungsfreiheit.....
Hallo IT Oma,
ich teile einerseits die Bedenken, andererseits ist die geplant Regelung zumindest in gewisser Weise gerecht.
Warum? Schau Dir doch mal die Diskussionen in der letzten Zeit an, die darauf hinausliefen, NPD-Demos an bestimmten Orten zu verbieten. Da aber, so lange das Grundgesetz Meinungsfreiheit gerantiert, Demos nicht einfach deshalb verboten werden können, weil sie vom politischen Gegner veanstaltet werden, begann das sehr problematisch zu werten. Sicher, es sind meiner Ansicht nach schon politische Gründe, aus denen heraus Demos verboten werden sollen, aber so kann der Gesetzgeber das nicht formulieren, es mußte eine allgemein formulierte Regelung geschaffen werden. Und die haben wir nun. Geboren aus dem Wunsch, NPD-Demos verbieten zu können, ohne sich Probleme mit den Grundgesetz zu schaffen.
Der Artikel beklagt, daß es in Zukunft kaum noch möglich sein wird, Grenzfälle zu diskutieren. "War das wirklich ein Kriegsverbrechen wie behauptet oder wurde es demjenigen nur in die Schuhe geschoben?" Du hast Recht, das bringt ganz erhebliche Schwierigkeiten für die Presse- und Meinungsfreiheit, zumal das Gesetz ja, wie im Artikel beschrieben, eine Ergänzung zu Internetstraftaten darstellt, und nach deutschem Recht sind Beiträge im Internet wie eine öffentliche Demo zu werden (d.h., sie können genauso den "öffentlichen Frieden" gefährden, der durch das Gesetz geschützt werden soll).
Aber diese Einschränkung hatten wir schon immer! Allerdings ging es bisher nur um rechtsradikale Äußerungen. Hier wurde argumentiert, daß Rechtsradikale oder Neonazis z.B. die Opferzahlen des Holocaust nicht aus wissenschaftlichem Interesse diskutieren und untersuchen möchten, sondern um indirekt zu beweisen, alles sei gar nicht so schlimm gewesen oder gar nur eine Unterstellung. Und dies wäre dann tatsächlich Volksverhetzung gewesen, und um die zu verhindern, wurde in Kauf genommen, bereits die Diskussionen darüber mit Strafe zu bedrohen, sofern sie so ausgelegt werden können, als sollten die Opferzahlen (aus politischen Gründen) bezweifelt werden (tatsächlich rein wissenschaftliche Untersuchungen waren nicht betroffen).
Die Grenze der Strafbarkeit wurde also bewußt zu Ungunsten zu Meinungsfreiheit verschoben, um so zu verhindern, daß unter dem Deckmantel der Wissenschafts- oder Meinungsfreiheit Naziverbrechen verharmlost oder gar gerechtfertigt werden.
So weit, so gut. Aber sind die Linken denn anders? Schau, wie derzeit die Desdner Opfer der allierten Kriegsverbrechen relativiert werden. Da werden Zahlen auf eine Weise heruntergerechnet, für die Leute, die das gleiche beim Holocaust tun, schon längst im Gefängnis wären. Und es wird mehr oder weniger direkt gesagt, die seien ja selbst schuld, weil sie Hitler gewählt hätten. (was, zu Ende gedacht, eine ganz üble Behauptung ist - haben denn DIE Hitler gewählt? Sind sie schuldig, weil sie in Deutschland leben? Oder ist es gar weniger schlimm, wenn ein Deutscher das Opfer eines Kriegsverbrechens wurde? Also Opfer sind mehr oder weniger gedenkwürdig allein aufgrund ihrer Nationalität ???)
Klar, nun kommt die Angst, dieses Gesetz könne sich gegen einem selbst richten. Bisher waren es ja nur die anderen, die betroffen waren, damit konnte man gut leben und es war ja auch gut so, daß Naziverbrechen nicht gerechtfertigt durften. Aber nun, wenn man daraus keine politische Strafbewehrung mehr macht, sondern eine, die sich auf die allgemein formulierten Grundlagen bezieht, dann geht das Geschrei los und man sieht die Presse- und Meinungsfreiheit gefährdet.
Ja, die Gefahr sehe ich auch, aber sie beginnt nicht erst jetzt. Im Prinzip hätte man schon früher keine (im Endeffekt) politischen Straftatbestände einführen dürfen. Aber das wird den meisten erst jetzt deutlich, wo die politische Begründung wegfällt zu Gunsten einer neutralen Begründung, die jeden und jedes treffen könnte.
Nur, was ist die Lösung? Ich wäre sehr dagegen, Volksverhetzung durch Leugnung von Kriegsverbrechen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu erlauben, das bisherige Verbot erschien mir ganz sinnvoll. Nur, wenn man das nicht rein politisch formuliert, sondern allgemeingültig, wie könnte das dann besser aussehen als die jetzige Gesetzesvorlage?
Wie gesagt: Zustimmung, was die Gefahr angeht. Aber ich sehe das als eine quasi zwangsläufige Entwicklung, da immer mehr Verbote gegen Rechts erlassen werden sollen, was aber auf Dauer nicht gutgehen kann, ohne einen neutralen/allgemeingültigen Gesetzestext zu haben.
Sollte man also die Leugnung oder Relativierung von Verbrechen auf beiden Seiten freigeben oder verbieten? Wie sieht der Mittelweg aus? Ich weiß es nicht.
Gruß
Johannes
- Re: Bundesregierung will Straftatbestand der Volksverhetzung bedenklich verschärfen Kamikatze 17.2.2005 15:10 (0)
- Täterrecht oder Opferrecht franke43 17.2.2005 13:43 (1)
- Re: Täterrecht oder Opferrecht Tashi Lhunpo 17.2.2005 14:39 (0)