Re: auf der Höh ? @Salim - Zur Entschleierung des Auges des Herzens -
Geschrieben von Salim am 20. Dezember 2004 02:10:33:
Als Antwort auf: Re: auf der Höh ? @Salim geschrieben von Baldur am 20. Dezember 2004 01:32:51:
audhu billâhi min as-shaitâni rajîm bismillâhi r-rahmâni r-rahîm
Hallo Baldur, Grüß Gott,
ich freue mich über deinen Beitrag sehr, weil in ihm zweimal ein Zeichen erscheint, das in den vorausgegangenen Beiträgen, aber auch in diesem Forum überhaupt, Seltenheitswert hat, das Fragezeichen.
Was Wahrnehmungen, Erscheinungen oder ähnliches betrifft, so kann ich folgendes sagen: Ich bin Schüler eines weisen Mannes, eines der "Auliyya", der Freunde (Gottes), wie die Heiligen unter den Muslimen genannt werden. Und ich und meine Brüder haben in Verbindung mit unserem Sheikh, möge Allah ihn segnen, viele wundersame, eigenartige Dinge erlebt, die, wie man sich das vorstellt, eigentlich unmöglich gewesen sind. Bei näherem Zusehen indes zeigte und zeigt sich doch zugleich, daß eine Welt voller Wunder eigentlich das Normale ist, wenn wir nur in einem bestimmten Zustand sind, die Handlungen unseres Schöpfers nämlich an uns voll zu bejahen, ja glücklich damit zu sein. Das ist der Beginn eines großen Abenteuers.
Wenn du sagst, du wärest ein nicht Wissender und deshalb nicht Glaubender, so möchte ich entgegnen, daß es sich wohl gerade entgegengesetzt verhalten müßte, da man, was man weiß, gar nicht zu glauben braucht, ja, recht verstanden, wohlk nicht einmal glauben kann. Ich glaube also, gerade weil und insofern ich nicht weiß. Im Glauben zeigt sich ein eigentümliches Vertrauen, für das es eigentlich gar keinen Grund gibt, weil es selbst der Grund von allem ist.
Hinzukommt, daß in unserem Orden es gerade nicht üblich ist, sich beispielsweise "durch ein himmlisches Tor fliegen zu sehen", weil diese Dinge von dem geraden Weg spirituellen Fortschritts nur ablenken. Deshalb entfernen die Meister des ehrenwerten Naqshibandi- Ordens auch die vielen Schleier nicht von der Seite des Schülers aus, sondern von der Seite der Ewigkeit aus, so daß der Schüler nicht abgelenkt wird, bis zu seiner Todesstunde der letzte Schleier von ihm genommen wird. Dies zeigt sich in den folgenden Passagen eines Büchleins, das, von dem Meister unseres Meisters verfaßt, zur Zeit leider vergriffen ist. Ich nehme an, daß dich das interessieren wird. Deshalb hier die folgenden Passagen:
»Unter den Lesern dieses Büchleins mögen Sufi-Aspiranten sein, die den Regeln irgendeines anderen oder einiger anderer der vierzig Sufi-Pfade als des Naqschibandi-Pfades gefolgt sind. Wenn du zu solchen zählst, magst du dich fragen, welch ein Unterschied zwischen dem Naqschibandi-Weg und anderen Sufi-Wegen besteht: Sind sie nicht alle Wege zu einem und demselben Herrn?
Die meisten Sufi-Pfade offerieren Schülern eine fortschreitende Entschleierung des Herzensauges, was durch die Übung des Dhikr, die Erinnerung an Allâh, erreicht wird. Diese spirituellen Übungen können verschiedene der Heiligen Namen des Herrn und andere spirituell wirksame Formeln enthalten. Einige von ihnen beinhalten Praktiken, die geeignet sind, die Grenze der weltlichen Wahrnehmung aufzubrechen und den Übenden in einen Zustand andersartigen Bewußtseins zu versetzen. Solche Praktiken mögen die Wiederholung vieler, vieler tausend heiliger Wendungen beinhalten, gelegentlich mit Atemübungen und oft mit physischen Bewegungen verbunden. Der Schüler mag durch beharrliche und hingebungsvolle Übung dieser Methoden zweifellos geistige Zustände erfahren und, vom normalen Zustand des Bewußtseins aus betrachtet, unvorstellbare Stationen erreichen wie, daß er sich angesichts der Wunder eines geheimnisvollen und verborgenen Aspekts der Schöpfung durch ein himmlisches Tor fliegen fühlt.
Falls deine Augen in dieser Weise geöffnet worden sind und du von weiten Ausblicken, die dir gewährt wurden, gänzlich betört bist, dann sei gewarnt, daß, solltest du auf den Naqschibandi-Weg setzen, dein farbenfrohes Gefieder gestutzt und mit dem bescheidenen Mantel der Verborgenheit vertauscht werden wird. Denn der Hauptunterschied zwischen dem Naqschibandi-Weg und anderen Wegen ist, daß, während jene geben, wir hinwegneh–men. Alles muß gehen: sogar deine eigenständige Existenz. Nur jene, die darauf vorbereitet sind, einen solchen Schritt zu tun, können wirklich Naqschibandi-Murîden sein.
Unser Großscheich erklärte das damit, daß, solange ein Tropfen vom Himmel fällt, er „Tropfen“ genannt wird, doch wenn er ins Meer fällt, er nicht mehr ein Tropfen ist, sondern ein Meer.
Also: Wenn jemand an spirituellen Rängen und Kräften interessiert ist, mag er sie erlangen, indem er irgendeinem der vierzig Sufi-Wege folgt, da diese äußerst effektiv sind. Durch die Rezitation der Schönsten Namen Allâhs erhält ein jeder entsprechend seiner Absicht eine Fülle von Wohltaten, doch sollte der ernsthafte Sucher schließlich von Reue dafür überwältigt werden, daß er Zuständen und Rängen nachgejagt war. Eines Tages wird er durchschauen, wie er der Ablenkung zum Opfer fallen konnte, und sagen: „O mein Herr, ich war in einem Zustand, da ich mich selbst verschwendet und meine Anstrengungen auf etwas anderes als Dich gerichtet habe.“Ja, wenn ein Suchender sein Leben in jenen Zuständen aushaucht, wird er bedauern, daß sie ihn von der Suche nach Seinem Göttlichen Antlitz nurmehr abgelenkt haben; deshalb ist uns befohlen, denen, die uns folgen, ihre spirituellen Verzierungen zu beschneiden, so daß sie ihrem Herrn mit den Worten vorgestellt werden können: „Dies ist Dein Diener ,Niemand'. Nimm, o Herr, Deinen Diener an, der für sich allein verloren und nur für Dich ist.“ Das ist unser höchstes Ziel und, unseren Schülern zu helfen, einen solchen Zustand zu erreichen, unsere Pflicht.
Du mußt verstehen, daß die fremdartigen und verzaubernden Erfahrungen die Szenerie der Reise abgeben, nicht das Ziel sind. Denke nicht, daß du auf einer sonntäglichen Fahrt ins Grüne wärst, nein, es ist die Autobahn, der direkte Weg, nicht die Route der Sehenswürdigkeiten. Und wir haben nur unser Ziel im Kopf, wie ein Bergsteiger dem Gipfel des Mount Everest zustrebt. Vom Geliebten sind wir angezogen wie die Motte vom Feuer: Wir stürzen uns selbst hinein.
Der Heilige Prophet Muhammad, der Friede sei auf ihm, ist unser Führer und unser Vorbild. Auf seiner wundersamen Nachtreise, in der er vom Engel Gabriel zuerst von Mekka nach Jerusalem und dann durch die sieben Himmel hindurch zur Göttlichen Gegenwart geführt wurde, durchquerte er das ganze Universum. Allâh der Allmächtige gab uns durch den Heiligen Qur´ân bekannt, daß der Blick des Propheten dabei „weder auswich noch überschritt“.Mit anderen Worten, er blickte und gewahrte, doch konnten solche Eindrücke ihn niemals davon ablenken, zu seiner höchst erhabenen Bestimmung aufzusteigen.
Der Heilige Prophet war imstande, jenes Schauspiel zu gewahren, ohne daß es ihn ablenkte, weil sein Herz nur für seinen Herrn schlug – er war der „Liebling Allâhs“ –, doch was uns selbst betrifft, so sind wir verletzlich und von schwachem Willen, wie jene Kräfte und Fähigkeiten unseren Ego-Begierden entsprechen mögen, Auslöschung hingegen für unser Ego niemals eine attraktive Vorstellung ist.
Deshalb, und um uns auf unserem Weg mit größtmöglichem Schutz zu versehen, informierte mein Großscheich mich darüber, daß Naqschibandi-Meister eine gänzlich andere Methode wählen, das Auge des Herzens zu entschleiern. Es gibt viele Schleier zwischen uns und unseren himmlischen Positionen. Ein Naqschibandi-Meister zerreißt diese Schleier in einer absteigenden Weise: Beginnend mit dem der Göttlichen Gegenwart nächsten, folgt er der Richtung hinab bis zur Stufe des Murîden. Dieser Vorgang setzt sich während des Trainings des Murîden durchgehend fort, bis es ein einziger Schleier ist, der die Wahrnehmung des Murîden vor dem Anblick der Göttlichen Wirklichkeit zurückhält. Um aber den Murîden zu schützen, zerreißt der Großscheich jenen Schleier nicht, damit des Murîden Ego ihm nicht erlaube, etwas anderem nachzugeben als seinem Herrn. Jener unterste Schleier ist der „Schleier der Menschlichkeit“ (hijâb ul-bashariyya), und er wird mit dem letzten Atemzug vor dem Tod zerrissen, zu welcher Zeit der Murîd die Weisheit, ihn verschleiert gehalten zu haben, versteht, da nun sein Blick unversehrt und unausweichlich in die höchsten Himmel reicht.
Was andere Tarîqahs betrifft, so werden dort die Schleier von unten zerrissen. Und wenn einer von ihnen im Fortschritt mystischer Übungen zerreißt, erfährt der Murîd ein neues Panorama. Doch diese starke Vision mag ihn von weiterem Fortschritt abhalten, so daß er, wenn er stirbt, die Welt bloß in jenem Zustand verläßt...
«Aus dem zur Zeit vergriffenen Buch:
Der Naqschibandiweg, Ein Führungsbuch für die geistige Entwicklung
Nach den Anweisungen des Sultans der Heiligen, Großscheich cAbdullâh Fâciz Ad-Daghis‡ânîs (Möge Allâh seine gesegnete Seele heiligen).
Mit Kommentaren unseres Meisters Scheich Muhammad Nâzim cAdil Al-Haqqânî An-Naqshiband
Spohr Verlag, S. 7 ff. Mit Erlaubnis des Verlags. (vgl. hier)Gruß,
Salim
>Hallo, Salim,
>Du magst Deine Gründe haben, die Dich zum Islam gebracht haben.
>Hattest Du jemals irgendwelchen eigenen Wahrnehmungen, Erscheinungen, usw., die Dir bestätigten, daß das von Dir geglaubte und damit vom Schrifttum übernommene auch der tatsächlichen ewigen und erhabenen Realität entspricht ?
>Oder bist auch Du, wie fast alle hier unten auf Erden, ein nur glaubender, doch mangels eigener Erfahrung nicht wissender ?
>Beste Grüße vom Baldur (ebenfalls nicht wissender, und deswegen ebenfalls nicht glaubender)
- Re: a@Salim - Frage der unterschiedlichen Demut und der geistigen Realität Baldur 20.12.2004 04:01 (2)
- ... wer nicht sucht, wird gefunden. Salim 20.12.2004 21:05 (1)
- Re: ... wer nicht sucht, wird gefunden. Baldur 20.12.2004 22:31 (0)