Die Kunst des Staatsstreiches
Geschrieben von Swissman am 28. März 2004 00:23:54:
Als Antwort auf: Re: Soeben Bestätigung von China Intern! geschrieben von JeFra am 27. März 2004 21:41:07:
Hallo JeFra,
>Ich kann leider kein Chinesisch, aber die Webseiten würden mich doch interessieren. Und die taiwanesischen Behörden sicher auch, denn damit wären die KMT-Führer Hochverräter und reif für den Knast (oder den Strang), und ihre Partei reif für ein Verbot.Hinzukommt, dass die Kuomintang, deren Führer Tschiang Kai Schek einst war, eine antikommunistische Stossrichtung verfolgt - dass die rotchinesische KP hier viele Agenten anwerben kann, ist eher unwahrscheinlich.
>Zu solchen Fragen kenne ich ein Buch von Curzio Malaparte, alias Kurt-Erich Suckert: Tecnica del colpo di stato, Die Technik des Staatsstreiches. Malaparte war Deutsch-Italiener und angeblich die beste (Schreib-)Feder des Faschismus. Ich weiß nicht genau, wie gut Malaparte wirklich die von ihm beschriebenen Revolutionen und Putschversuche kennt. Swissman wird vielleicht dazu Auskunft geben und eventuell ein besseres Buch empfehlen können.Malapartes Buch ist mir leider nur dem Namen nach bekannt, daher kann ich es nicht beurteilen. Sehr empfehlenswert ist Edward Luttwaks "Coup d'État": Luttwak ist es gelungen, eine Art Handbuch für den angehenden Putschisten zu schreiben. Das Buch wurde erstmals 1969 veröffentlicht, und geht daher vom technologischen Stand der späten 60er Jahre aus.
Auf jeden Fall predigt er, es komme vor allem auf die Besetzung der relevanten Infrastruktur (Telefonzentralen, Stromwerke etc.) an.Dies deckt sich mit Luttwaks Herangehensweise.
Beispielsweise soll der bolschewistische Staatsstreich im Wesentlichen von Trotzki organisiert worden sein (Lenin war nicht mehr als ein Ideologe), und die Essenz des Ganzen bestand darin, daß durch Stoßtruppen von jeweils vielleicht einem Dutzend Mann die Stromwerke und Telefonzentralen besetzt wurden. Das soll ganz reibungslos vonstatten gegangen sein, Sie hätten sich während dieser Phase in Petersburg aufhalten können, ohne zu bemerken, daß da irgendwas Ungewöhnliches im Gange ist.Die "Oktoberrevolution" beschränkte sich räumlich tatsächlich auf St. Petersburg, alles in allem kamen während der eigentlichen Machtübernahme nicht mehr als etwa 200 - 500 hochmotivierte Berufsrevolutionäre zum Einsatz. Dabei floss so gut wie gar kein Blut. - Die blutigen Exzesse, die man für gewöhnlich damit in Verbndung bringt, kamen erst später, als die Bolschewiken bereits einigermassen fest im Sattel sassen.
Der "Sturm auf den Winterpalast" erschöpfte sich in Wirklichkeit darin, dass ein bolschewistischer Stosstrupp aufmarschierte und die Wachmannschaft (übrigens zu etwa der Hälfte Mitglieder einer Frauenbrigade) vor die Wahl stellte, den Palast bei freiem Geleit zu räumen oder erschossen zu werden. - Die Wachen verliessen den Palast durch den Hintereingang, während die Bolschewiken durch den Haupteingang marschierten und Stellung im Palast bezogen.
Technisch gesehen handelte es sich eher um einen Staatsstreich, als um einen Putsch.
Luttwak ist übrigens der Ansicht, dass die Oktoberrevolution in dieser Form nicht zuletzt dadurch gelingen konnte, dass die KPdSU(B) die Eisenbahnergewerkschaft kontrollierte: Wenn es Kerenski gelungen wäre, zu entkommen, wären die Eisenbahner in den Generalstreik getreten, sodass es ihm unmöglich gewesen wäre, regierungstreue Truppen in die Hauptstadt zu verlegen.
>Wie schon erwähnt kann ich nicht sagen, inwieweit die Fortschritte der Kommunikationstechnik die Technik des Staatsstreiches verändern. Aber das mit der Acedmia Sinica ist doch wohl ein Witz!Dem schliesse ich mich an, auch wenn die asiatischen Studenten mitunter dazu neigen, ihren politischen Überzeugungen durch handgreifliche Aktionen Nachdruck zu verleihen. Trotzdem sind die Universitäten kein vorrangiges Ziel für einen Staatsstreich. Ich würde dies sogar, im Gegenteil, als kontraproduktiv ansehen: Asiatische Studenten neigen eher dazu, ihrer Überzeugung durch handgreifliche Aktionen Nachdruck zu verleiehn, als ihre westlichen Altersgenossen. - Eine Universitätsbesetzung wäre eine Provokation, die die Studenten geradezu dazu herausfordern würde, auf die Strasse zu gehen.
Luttwak ist der Meinung, dass ein erfolgreicher Staatsstreich sichere Gegner neutralisieren muss, potentielle Gegner lähmt man in einer ersten Phase, indem man sie im Unklaren über die Identität und Ziele der Putschisten lässt (solange diese Kreise nicht wissen, ob sie es mit Freunden oder Feinden zu tun haben, werden sie sich in aller Regel passiv verhalten und abwarten, wie sich die Lage entwickelt). Von grösster Wichtigkeit ist es auch, die Kontrolle über die Infrastruktur zu erringen. Nicht zuletzt muss ein Staatsstreich, um sein Ziel zu erreichen, sehr schnell durchgeführt werden, d. h. sämtliche Primärziele müssen möglichst gleichezeitig besetzt werden.
Heute müsste man wohl zusätzlich zu den klassischen Infrastruktur-Zielen nach Möglichkeit auch die Mobiltelefonie unter Kontrolle bringen (wobei man denselben Zweck auch durch einen absichtlich herbeigeführten, landesweiten Stromausfall erreichen könnte).
mfG,
Swissman
- Re: Die Kunst des Staatsstreiches JeFra 28.3.2004 01:03 (0)