Im Ernstfall sind ihm alle Mittel recht

Geschrieben von BBouvier am 05. August 2006 08:53:49:

Sicherheit, Freiheit und Staat

(ein paar Zitate aus: „Das Prinzip Sicherheit“, von W. Sofsky)

Staaten überwachen die sozialen Handlungen
und sichern die Ordnung der Gesellschaft.
Auf dem Markt zirkuliert das Geld,
im Staat konzentriert sich die Macht.

Die freie Marktkonkurrenz erzeugt ökonomische Unsicherheit,
die Staatskontrolle errichtet ein Gehäuse der Unfreiheit.
Nicht nur mit Geld zahlen die Menschen
für die Fiktion der Sicherheit,
sondern mit dem Wertvollsten, worüber sie verfügen:
Mit ihrer Freiheit.
Sicherheit kostet Freiheit.

Der grösste Profiteur der Angst ist der Staat.
Er verschafft sich Zustimmung
durch die Verheissung von Ruhe und Ordnung.
Die Menschen geben ihre Waffen und Stimmen ab
und erhalten dafür den Schutzbrief der Staatsbürgerschaft.
Nicht Wohlfahrt und Glück
sind die ersten Aufgaben des Staates,
sondern die Garantie der Unverletzlichkeit.

Das Versprechen umfassender Sicherheit findet gläubige Anhänger.
Die Untertanen verlangen nach Schutz und Geborgenheit.
Der Staat soll für das spätere Dasein vorsorgen,
in der Not einspringen, vor Übergriffen bewahren.
Aus dieser Sehnsucht nach Sicherheit
bezieht der Staat seine Legitimität.

Augenblicklich droht er diesen Bonus einzubüssen,
falls ein grösseres Unglück hereinbricht,
dessen er nicht mehr Herr wird.
Die Illusion restloser Sicherheit
ist eine Hauptsäule politischer Herrschaft.

Die zentralen Institutionen des Staates
sind die Organe der Sicherheit:
Polizei, Justiz, Militär, Sozial- Umwelt- und Ordnungsverwaltung.
Nicht das Fanal der Freiheit,
sondern die Exekutivgewalt der Ordnungsmacht
gewinnt auf Dauer Zustimmung.
Herrschaft dämmt die Gewalt ein,
indem sie jedermann das Fürchten lehrt.
Sie begrenzt die Freiheit.

Dieses Zwangsgehäuse gerät in Zeiten
allgemeiner Prosperität
und demokratischer Rechtsstaatlichkeit rasch in Vergessenheit.
Aber auch Demokratien sind vergänglich.
Im Kreislauf der Staatsformen sind sie nur eine Episode.
Demokratien sind anfällig
für soziale Bewegungen und kollektive Mobilisierung.
Im Ernstfall erteilen auch demokratische Regierungen den Schiessbefehl.
Im Namen der Sicherheit werden
nach und nach die Freiheiten gestrichen.

Die Kosten der Sicherheit sind immens:
Was der Untertan gegenüber dem Nachbarn gewinnt,
verliert er gegenüber dem Staat.
Was im Dienste der allgemeinen Rechtssicherheit begann,
endet schliesslich im sozialen Sicherheitsstaat,
der sich für alles und jedes zuständig erklärt.
Trotz aller Vorkehrungen
sind die Versprechen des Sicherheitsstaates nicht einzulösen.

Der öffentliche Sektor, Bürokratie und Staatspersonal
wuchern in nie gekanntem Ausmass.
Anspruchsinflation und staatliche Expansion
treiben sich gegenseitig in die Höhe.
Die Folgen sind unübersehbar:

Chronische Haushaltsdefizite, explodierende Steuer- und Abgabelasten, Massenarbeitslosigkeit, Versorgungsmentalität,
gesellschaftlicher Stillstand.
Auf das Ende des Wohlfahrtsstaates
sind die Bürger nicht vorbereitet.

Zukunftsangst mischt sich mit Wut und Empörung.
Viele sehen sich um ihre Hoffnungen betrogen,
die ihnen jahrzehntelang vorgegaukelt wurden.
Andere glauben einstweilen noch an ihre Rechtsansprüche
und auf Solidarität von Staats wegen.

In seinem aktuellen Zustand ist der Staat
kein Hort des Schutzes mehr,
sondern eine Quelle der Unsicherheit.
Nun ist der Bürger auch in Zeiten des inneren Friedens
vor die Aufgabe gestellt, sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Nach Jahrhunderten staatlicher Obhut
können sich viele ein Leben
in eigener Regie und in Freiheit nicht einmal mehr vorstellen.
Zu Unrecht wird Freiheit und Demokratie in eins gesetzt.

Demokratie bedeutet die Herrschaft der Mehrheit.
Von einem Mehrheitsregime,
das von den Leidenschaften der Sicherheit beseelt ist,
hat die Freiheit nichts zu erwarten.
Eine demokratische Selbstregierung i
st nicht die Regierung eines jeden über sich selbst,
sondern die jedes einzelnen durch alle übrigen.

Demokratien können das Leben ihrer Bürger
in unerträglicher Weise einschnüren.
Freiheit erzeugt Unsicherheit.


In Zeiten des Schreckens ist vieles anders.
Tod und Verheerung suchen die Gesellschaft heim.
Angst überschattet den Alltag.
Die Gesellschaft büsst ihre Fähigkeit ein,
selbst für ihre Sicherheit zu sorgen.
Sie beginnt sich aufzulösen.

Kommt es zum Äussersten,
fällt die Gesellschaft in den Naturzustand zurück.
Diebe und Plünderer treiben ihr Unwesen,
jeder sucht seine Haut zu retten.
Gesetz und Ordnung sind aufgehoben.
Beim ersten Anzeichen des Notstandes
schlägt die Stunde des Staates.
Im Ernstfall sind ihm alle Mittel recht.

BB




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