Re: Fred, oder wie er die Welt sieht
Geschrieben von HotelNoir am 27. Juni 2006 20:13:13:
Als Antwort auf: Re: Fred, oder wie er die Welt sieht geschrieben von detlef am 27. Juni 2006 15:12:38:
>moin,
>>>>... Individualismus ist etwas komplett anderes, weil er auch dazu führen kann, sehr hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Mitmenschen zu entwickeln. Einen Individualisten bringst Du auch kaum dazu, im Namen von irgendwem Krieg zu führen. Individualismus bedeutet auch Selbstbesinnung, d.h. die Weigerung Werte der eigenen Kultur stillschweigend zu übernehmen.
>>>da muss ich dir recht geben. mit der einschraenkung, dass ich dies nicht unbedingt fuer positiv halte. denn individualismus verweigert nicht nur kriege, sondern auch ideale. einen echten individualisten zieht keine idee auf die strasse. (hoechstens an die tastatur)
>>***Hallo detlef,
>>genau, ein wahrer Individualist lässt sich von keiner Macht für seine Zwecke missbrauchen. Er ist sein eigener Herr. Mir sind die möglichen problematischen Begleiterscheinungen wie Egozentrik, Hedonismus, Verweigerung bewusst, aber genauso viele problematische Begleiterscheinungen hat der Idealismus zu bieten. Denn Hand aufs Herz, die vielen tollen politischen Ideen der letzten Jahrhunderte, was ist dabei rausgekommen? Unterm Strich dienten die "Ideen" immer nur ein paar wenigen, die sich daran bereichern konnten.
>das stimmt wohl mehr fuer den heutigen zivilisatorischen zustand. dem die "tollen politischen ideen" allesammt zuzurechnen sind.
>vorher, als westeuropa noch idealistisch und kulturell war, schlugen die ideen und neuerungen auf alle durch. ganz einfach, weil die interaktion zwischen den verschiedenen staenden und schichten noch wesentlich staerker war. (das fuehre ich auf das mehr laendliche und kleinstaedtische leben zurueck)
>>>stell dir mal vor, die pariser waeren damals alle individualisten gewesen. die franzoesische revolution haette niemals stattgefunden.
>>>mit individualistischen siedlern waere ganz nordamerika jetzt noch englische kolonie...
>>>der individualismus ist eigentlich ein schleichendes gift, dass die gesellschafts- und kulturbildenden ideale langsam meuchelt.
>>***Ohne Individualisten hätten wir auch vieles nicht, die ganze menschliche Forschung z.B. setzen immer ein hohes Mass an Individualismus voraus. Ich sehe das so: die Welle (Individualismus) braucht das Meer (angepasste Masse). Insofern geht es mir nicht darum was besser oder schlechter ist, nur ist für mich ganz klar, dass ich meine Gedanken und meinem Leben keiner Ideologie unterordne. Ich tue und lasse was mein Gewissen mir sagt. Ich beuge mich keiner Moral.
>wieviel prozent individualisten braucht eine gesellschaft fuer innovationen? 1%? etwas mehr? etwas weniger?
>bei deinem beispiel muesste man sagen, die moderne zivilisation hat nur noch wellen ohne meer. -> schaumschlaeger, die nix bewegen...
>du und ich, und viele andere dazu, sollten das meer sein. damit leute wie einstein welle spielen koennen. wenn wir jetzt beschliessen, selber welle sein zu wollen, ist fuer die echten wellen kein meer mehr vorhanden... - ergo: ende der fahnenstange fuer unseren kulturkreis.
>>>>>>Klar wird tendenziell die Gruppe in dem Masse wichtiger, wie der Überlebenskampf zentrales Thema ist. Insofern ist der Individualismus eine Folge von Wohlstand und Wohlstand führt irgendwann wohl immer zu Dekadenz und Zerfall und in der Folge wieder zu barbarischen Zeiten.
>>>>>ja. ich lehne mich da stark an oswald spengler.
>>>>>der hat schon vor dem ersten weltkrieg spaeter zutreffende prognosen ueber die gesellschaftliche entwicklung gemacht. durch vergleiche verschiedener kultur/zivilisationskreise.
>>>>>wenn wir die darwinistisch/christliche evolutionslehre (alles neuere ist besser, als das vorherige) konsequent betrachten wuerden, muessten wir dann nicht zugeben, dass wir trotz, oder gerade wegen all unserer technischen entwicklungen als spezies ein evolutionaerer irrtum waeren?
>>>>***Weisst Du denn wie die ganze Geschichte ausgeht? Dann kannst m.E. auch nicht behaupten, dass unsere Spezies ein Irrtum
>>>nun, im darwinistisch / christlichen system, (ich fasse die beiden zusammen, weil sie beide eine zielgerichtete entwicklung zum hoeheren, besseren postulieren) wuerde die geschichte negativ ausgehen muessen.
>>***Warum? Die Komplexität steigt, damit die (moralische) Intelligenz. Das ist bereits eine Weiterentwicklung.
>da bin ich anderer meinung. was steigt denn? nur die komplexitaet der technischen geraete.
>jedes aus papua-neuguinea adoptierte kind, dessen biologische eltern steinzeitler waren, kann das leicht erlernen, wenn es frueh genug damit in kontakt kommt.
>sonstige komplexitaet? haeltst du "copy and paste" fuer komplexer und entwickelter, als buecher lesen oder gar schreiben?***Hallo Detlef,
Je grösser die Gemeinschaft desto komplexer die Regeln . Und diese Komplexität führt dazu, dass der einzelne sich auch mehr Gedanken über das Zusammenleben macht, was zu einer höher oder weiter entwickelteren Moral führt. Lies Dir das Heinz-Dilemma mal durch. Man hat solche "Messungen" der moralischen Entwicklung in vielen Kulturen durchgeführt und festgestellt, dass die Begründungen umso weniger durchdacht waren, als die Einwohner selbst es mit komplexen Strukturen zu tun hatten. Was ja auch logisch ist.>auch bin ich mir sehr sicher, dass das leben in einer dorfgemeinschaft oder auch nur in einer grossfamilie sozial wesentlich komplexer sein duerfte, als das einsame dahinvegetieren der immer mehr werdenden, sozial isolierten singles.
>wir sollten nicht das gefuehhl der persoenlichen ohnmacht, welches eine zivilisation den menschen vermittelt mit moralischer komplexitaet verwechseln.***Die zunehmende Entfremdung, die Du ansprichst, sehe ich nicht nur negativ. Auch das ist ein Teil der Vielfalt.
>>>bei dem von mir angenommenen zyklischen modell geht die sache garnicht aus, sondern sie faellt und steigt mit verschiedenartigen entwicklungen.
>>>Beispiel: wir halten uns zwar fuer technisch am hoechsten entwickelt, (wenn man die megalit-bauten der vor-antike ignoriert) doch sind wir lichtjahre entfernt von einem sozialen system, dass dauerhaft funktioniert. wie es etwa die inkas hatten, die sich freiwillig technisch beschraenkten. (raeder nur an spielzeug, nicht in der wirtschaft)das system war "ewig". es konnte nur von aussen zerstoert werden.
>>***Würde man ein die Menschen aus dem Mittelalter in die heutige Zeit setzen, wären sie den sozialen Anforderungen m.E. nicht gewachsen. Ihre moralische Entwicklung entspräche nicht dem heutigen Stand und die meisten würden zwangsläufig asozial und kriminell. Je komplexer die Gesellschaft, desto komplexer die Regeln.
>ich denke, das einzige, was diese menschen wirklich lernen muessten, waere mit dem kompletten fehlen von moral und dem fehlen von gegenseitiger loyalitaet zwischen den verschiedenen mitgliedern einer gemeinschaft fertig zu werden.
>asozial und kriminell? bist du das nicht?
>wer es vorzieht, am computer zu kommunizieren, statt mit menschen aus dem eigenen umfeld, oder wer ueberhaupt kein menschliches umfeld mehr hat, zum kommunizieren, der ist asozial.
>was die kriminalitaet angeht, hier die versicherung ein bisschen beschubsen, dort etwas durch den zoll schmuggeln, die steuererklaerung etwas kreativ gestalten... - das sind, bei licht besehen, kriminelle aktivitaeten. egal, welche ausreden wir haben.
>schau in die dritte welt. da wandern millionenweise menschen aus mittelalterlichen zustaenden und strukturen in die modernen staedte. und verlieren dabei ihre kulturellen werte.***Ja, altes muss zerstört werden, damit neues entstehen kann. Ich finde die alten Strukturen mit den Sippen, Nationen und der Religion haben sich nicht bewährt, deshalb bin ich nicht traurig wenn sie verschwinden. Das neue gefällt mir auch noch nicht besonders, aber es gibt keine Alternative. Und wenn der Neoliberalismus und die NWO auch nur ein Mittel zur Beschleunigung des Crashes sind, so ist es m.E. immer noch besser als den alten Mist bis zum Gehtnichtmehr weiterzumachen.
>>Auch das meine ich nicht wertend, ich sehe die ganzen Probleme und das "low-life" des modernen westlichen Menschen auch und finde die gängige Meinung, dass wir alten Kulturen überlegen sind, falsch und verlogen. Aber die Komplexität ist ein Lernfeld.
>die komplexitaet bilden wir uns, meiner meinung nach, weitgehend nur ein, weil wir so furchtbar technikbetont wurden.
>>>nur noch "biophil"... was, bitte, soll an zubetonierten pestbeulen = großstaedten biophil sein? der naturzerstoerende verschwenderische lebensstil? das essen aus nahrungsfabriken? die energievergeudung? die vereinsamung der menschen?
>>***Nötige Zwischenschritte zu einer Homöostase auf höherem Niveau. Oder Zusammenbruch, wenn der Zustand nicht aus eigener Kraft überwunden werden kann.
>was ist eine homoeostase?***Gleichgewicht, hätt ich auch deutsch schreiben können. ;)
Grüsse HotelNoir
>statt zusammenbruch wuerde ich sagen, abschwung auf der kreisfoermigen bahn.
>gruss,detlefHeinz-Dilemma:
Die Geschichte handelt von einem Mann namens Heinz, dessen Frau sterbenskrank ist. Der einzige Apotheker der Stadt hat ein Medikament entwickelt, das die Frau heilen könnte. Der Apotheker verkauft das Medikament für den zehnfachen Preis, den ihn die Herstellung kostet und er ist nicht bereit, Heinz das Medikament zu einem geringeren als den veranschlagten Preis zu verkaufen. Trotz zahlreicher Bemühungen gelingt es Heinz nicht, ausreichend Geld zu beschaffen um das Medikament kaufen zu können. Verzweifelt bricht Heinz in die Apotheke ein und stiehlt das Medikament für seine Frau. Die Probanden wurden daraufhin befragt: Ob und warum Heinz das Medikament stehlen sollte, was als schlimmer eingestuft werden kann: jemanden sterben lassen oder stehlen, ob Heinz auch das Medikament stehlen sollte wenn er seine Frau nicht lieben würde, ob man auch für einen Freund oder gar ein Haustier das Medikament stehlen sollte und ob ein Richter Heinz für den Diebstahl bestrafen sollte. Alle von Kohlbergs Dilemmata handeln jeweils von zwei sich widersprechenden, also nicht zu vereinbarenden moralischen Normen. Auf das Heinz-Beispiel bezogen wäre es also der Wert des Lebens, der im Widerspruch zum Diebstahlt steht. Die Dilemmata haben eine simple Struktur und eine optimale Lösung kann niemals gefunden werden. Heinz kann niemals seine Frau retten und zur gleichen Zeit den Apotheker zufrieden stellen. Welcher Lösungsweg von den Probanden gewählt wird, ist somit egal, es ergeben sich in jedem Fall fatale Konsequenzen. Kohlberg führt keine inhaltliche, sondern eine strukturelle Analyse der Antworten auf die Dilemmata durch. Für Kohlberg ist es nicht von Bedeutung, welche durch den Inhalt geprägte Handlungsalternative (z.B. Heinz solle das Medikament stehlen oder nicht) gewählt wird. Kohlberg führt eine Analyse der Struktur des moralischen Urteils durch, er untersucht die Argumente bzw. angegebenen Begründungen für die jeweilige Entscheidungsrichtung. An diesem Analyseschema kann man sehr gut einen der Hauptpunkte von Kohlbergs Theorie erkennen: Sie unterscheidet nicht in moralisch "gute" und moralisch "schlechte" Entscheidungen in Bezug auf das Dilemma, da dies eine "gute" oder eine "böse" Moral voraussetzen würde, die nicht existiert.
Antworten:
- Re: Fred, oder wie er die Welt sieht detlef 27.06.2006 21:28 (2)
- Re: Fred, oder wie er die Welt sieht HotelNoir 28.06.2006 12:27 (1)
- Re: Fred, oder wie er die Welt sieht detlef 28.06.2006 15:19 (0)