Lehninsche Weissagung (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens)

Aus Schauungen, Visionen & Prophezeiungen
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Von Will-Erich Peuckert.

  • Text bei Eduard Wilhelm Sabell Literatur der sogenannten Lehninschen Weissagung 1879; G.E. Guhrauer Die Weissagung von Lehnin 1850, 150 ff.; Adolf Hilgenfeld Die Lehninsche Weissagung über die Mark Brandenburg 1875, 69 ff. u. öfter. Ein zweiter Text = Grässe Preußen 1, 8 f. Note = Sabell 24 f. (s. a. Haino Flörke), ein dritter: Sabell 27 f.; beide haben mit der bekannten Lehninschen Weissagung nichts zu tun.

Ursprung

Die Lehninsche Weissagung, angeblich von einem Bruder Hermann des brandenburgischen Klosters Lehnin 1300 verfaßt[1], behandelt in einhundert leoninischen Hexametern die Geschicke Lehnins, der Mark Brandenburg und ihrer Herrscher. Wir haben hier ein Vaticinium, das nicht vor 1682[2], wohl nicht nach 1686[3], sicher aber vor 1693[4] in der überlieferten Form vorlag. Der Verfasser ist unbekannt[5]; nur das geht aus dem Vaticinium hervor, daß er den evangelischen Kirchen und den Hohenzollern feindlich gesonnen war[6]. Die Einordnung der Lehninschen Weissagung in die geistigen Strömungen des 17. Jahrhunderts hat Kampers versucht[7]. Man wird zusammenfassend feststellen dürfen, daß ein prokatholischer Gegner der Hohenzollern das Lehninense im vorletzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts unter Verwertung erstens älterer Weissagungs- (siehe unten) und zweitens gleichzeitiger historischer Literatur (Rentsch, Brandenburgischer Cedernhain 1682) in einer an Vaticinien reichen Zeit[8] verfaßte.

  1. Guhrauer 8 ff.; Franz Kampers Die Lehninsche Weissagung 1897, 14 f. 19 f.
  2. Sabell 32.
  3. Hilgenfeld 116.
  4. Zöckler in Hauck RE. 11, 351 ff.; Hilgenfeld 3 ff.; J.E.L. Gieseler Die Lehninsche Weissagung 1849, 21 ff. 31 ff.; Otto Wolff Die berühmte Lehninsche Weissagung 1850; Kampers 15.
  5. Mutmaßungen über den Verfasser: Sabell 34 ff.; Guhrauer 99 ff.; Hilgenfeld 117 ff.; Otto Schulz Die Lehninsche Weissagung 1846. Vgl. auch F. Rohr Die Geschicke Deutschlands im Lichte alter Prophezeiungen 1918, 103 ff.; G. Bürger (s.u.) 23 ff.
  6. Kiesewetter Okkultismus 2, 334; Guhrauer 61 ff. und die genannten Autoren.
  7. Kampers 22. 34 ff.
  8. Kampers 34 ff.; Guhrauer 33. 135 ff.; vgl. etwa dazu Schlachtenbaum, dürrer Baum, Sibylle, ferner die betr. Teile von Gottfr. Arnold Kirchen- und Ketzergeschichte 1700.

Beziehung zur Prophezeiungstradition

Auf die religiös-mythologischen Züge des Lehninense hat Kampers aufmerksam gemacht. Die elf stemmata führt er auf Dan. 7 und Apoc. Joh. 13 zurück[1]; am Ende steht der Fürst des Verderbens, der Antichrist, den die Juden (siehe Antichrist, Jude) annehmen; ihm folgt der Friedensfürst (siehe Schlachtenbaum), und es wird eine Herde und ein Hirte sein. Das alles ist freilich verblaßt und verwischt, und schimmert, nur noch zu erahnen, durch die Hohenzollernprophetie durch. Nach Kampers hat die Friedrichsprophetie in ihrem Zusammenhang mit der sibyllinischen Literatur hier einen letzten Sproß getrieben[2].

  1. Kampers 34 ff., nach Guhrauer 45 ff.
  2. Ebd. 43 ff.; Kampers Kaiserprophetie 150 f.; vgl. auch Hartmann Grisar in: Stimmen d. Zeit 96 (1919), 420 ff.

Verbreitungsgeschichte und Wirkung

Als ein politisches Tendenzgedicht entstanden, ging die Lehninsche Weissagung die ersten Jahrzehnte nur in vertrauten Kreisen um. Erst 1723 kommt sie im Druck heraus (Georg Peter Schulz in: Gelehrtes Preußen II, 4 = Juli 1723); in den ersten Jahren Friedrichs II., des Großen, wird sie dann häufiger gedruckt[1]. Die Zeit der preußischen Niederlage 1806/07[2], das Unruhjahr 1848[3], der 1866er Krieg[4], der Kulturkampf[5] lassen das Interesse erwachen. Im 19. Jahrhundert dringt die Lehninsche Weissagung ins breite Volk[6], wozu die Tageszeitungen und billigen Broschüren[7] das ihre taten. Von einer besonderen Wirkung kann aber – außer um 1848 – kaum die Rede sein; da geschah am Tage der Schlacht von Novara, die unstreitig den Papst restituiert, die Frankfurter Kaiserwahl: pastor gregem recipit, Germania regem[8]. Einer Wirkung ins Breite stand die auch in Übersetzungen schwer verständliche Art und Form im Wege. Dagegen kam sie 1914/18[9] zur Geltung und spielte besonders in französischen Weissagungen eine große Rolle[10], obwohl mit Friedrich Wilhelm IV. als stemmatis ultimus das Vaticinium ablief. Auch in der Notzeit nach dem Kriege tauchte es auf[11]. Durch Interpolationen und Anderslesungen hat man zu jeder Zeit verstanden, es den veränderten Zeiten anzupassen. Sogar mit der Birkenbaumsage (siehe Schlachtenbaum) wurde es zusammengeworfen und vermengt[12].

  1. Europäischer Staats-Wahrsager 1742. 1, 138 ff.; Vaticinium metricum D.F. Hermann ... durch EInen ErforsCher der Wahrheit. Berlin 1746 (Breslau Univ.-Bibl. H. Germ. IV. Brandenb. 209; Autor nach O. Wolff 20: J.C. Weise); Hilgenfeld 30 ff.
  2. Ebd. 47 ff.; vgl. Valentin Heinr. Schmidt Die Weissagung des Mönchs Hermann von Lehnin 1820.
  3. Hilgenfeld 55 ff.; O. Wolff 22 ff.; (J.C.L. Gieseler Die Lehninsche Weissagung ... Erfurt 1849); Die Weissagung d. Bruders Hermann v. Lehnin über unsere Zeit. Bonn 1848 (Bonner Univ.-Bibl. O 503); Ferd. Schreiber Prophezeihung d. Mönchs Hermann in Lehnin. Breslau 1848 (Breslau, Univ.-Bibl.); Dr. S(chorn) Prophetische Geschichte d. Klosters Lehnin ... v. Mönche Hermann. Breslau 1848 (Breslau, Univ.-Bibl.); dagegen: Otto Wolff Die berühmte Lehninsche Weissagung 1850; Bunzlauer Sonntagsbl. 1849, 146: Der Kastanienbaum, der in Berlin zum Andenken an die Vermählung Friedrichs d. Gr. gepflanzt wurde, ist teils vom Sturm, teils von Altersschwäche niedergeworfen. Man bringt seinen Sturz mit der Prophezeiung des Klosterbruders von Lehnin zusammen, daß der gegenwärtige der letzte König von Preußen sein werde.
  4. Hilgenfeld 66 ff.
  5. Sabell 105 ff.; 1287–1887. Weissagung über die Geschicke v. Preußen u. Deutschland v. Hermann, Abt v. Lehnin. Halle u. Leipzig ... im Jahre d. Beendigung d. Kulturkampfes (1887) (Breslau, Univ.-Bibl.).
  6. Ich hörte als Kind von einer geheimnisvollen Weissagung über Deutschlands Geschicke als der Lehninschen Weissagung
  7. Etwa Arnold Rennew (Wenner) Frater Hermann. Weissagungen über die Schicksale des Hauses Brandenburg. Borken, s. a.; Die höchstdenkwürdige Weissagung des hochwürdigsten Pater Abt Hermann v. Lehnin über Preußens ältere und neuere Geschichte von 1322 bis 2000, Bremen 1848; Das Ende kommt, das 1000 jährige Reich ist nahe. Bewiesen durch die bereits in Erfüllung gegangenen Weissagungen des Propheten Daniel, der Offenbarung Johannis, sowie aus den wunderbaren Orakelsprüchen des Fraters Hermann von Lehnin und den Schriften des Emanuel Swedenborg, Joh. Albr. Bengel und anderer erleuchteter Männer (Bunzlauer Sonntagsblatt 1849, 54).
  8. Bote aus dem Riesengebirge 1849, 473.
  9. Grabinski Neuere Mystik 218; Grobe-Wutischky Der Weltkrieg 1914; Reinh. Gerling Der Weltkrieg 1914/1915 im Lichte der Prophezeiung, Oranienburg s. a. 49 f. 54 ff.; A. Reiners Prophetische Stimmen und Gesichte über den Weltkrieg 1916, 32 ff.
  10. J.H. Lavaur La fin de l'empire allemand 1914; Ders. Comment se réalise en ce moment même la fin de l'emp. allem. 1914, darnach zusammenfassend: Joanny Bricaud La guerre et les prophéties 1916, 1 ff.; vgl. ferner Lucien Bardes Le Christ vainqueur de Guillaume II 1917, 87; Franc-Nohain et Paul Delay Histoire anecdotique de la guerre de 1914/15 1 (1915), 91 (Wilhelm II., letzte der Hohenzollern; ebenso Lavaur La fin 34 ff.); Louis Dubois L'histoire de l'abbaye de Morimond 18522, 503: Hermann prophezeit la reconstitution de l'unité germanique und Wiederkehr des kathol. (Habsburg) Hauses nach Untergang der Hohenzollern; ebenso: Florent Dumas Hermann et les Hohenzollern 1891, 151 ff.; zusammenfassend: Yves de la Brière Le destin de l'Empire allemand 1916, 18 ff.; Sadova und Sedan vorausgesagt; Wilhelm II., der letzte: Gabriel Langlois Les prophéties relatives à la guerre de 1914/15. 1915, 22 f.
  11. Martin Karpinski Unsere Zukunft im Lichte der Weissagungen 1921, 21 ff.; Georg Krönert Die Weissagung v. Lehnin 1924; A. Teha Die Weissagung v. Lehnin im Lichte der Geschichte 1927; Ders. Der Traditionsweg der Weissagung v. Lehnin 1927.
  12. Yves de la Brière Le destin ... 19162, 49 f., nach l'Univers 26, juillet 1875 und l'Echo du Merveilleux 1898, 391 f.

In Verbindung mit der Lehninschen Weissagung wird gewöhnlich das Vaticinium eines Andreas Otto, Dom-Kustos in Berlin 1620, erwähnt, die von des Otto Schwager Haino Flörcke mitgeteilt worden sein soll[1]. Das Vaticinium post eventum erscheint in (Georg Dan. Seylers = Zoroasters) Preußischem Wahrsager 1741 zuerst im Druck und dürfte kaum viel früher entstanden sein, denn es rechnet mit der glückbringenden Regierung Friedrichs II., des Großen, und dessen Krieg gegen das antichristliche (katholische) Reich[2]. Kampers vermutet auch in dieser Prophetie Überreste eines älteren Friedrich-Vaticinium[3].

  1. Der Text bei Grässe Preußen 1, 6 ff.; im Auszug bei Eduard Wilh. Sabell Literatur der sogenannten Lehninschen Weissagung 1879, 24 ff.
  2. G.E. Guhrauer Die Weissagung von Lehnin 1850, 83 ff.; Franz Kampers Die Lehninsche Weissagung 1897, 23; Otto Wolff Die berühmte Lehninsche Weissagung 1850, 3 ff.
  3. Ebd. 44 ff.