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Mausmilch und Brot aus Steinmehl - eine Odyssee (Freie Themen)

Fenrizwolf, Sonntag, 08.04.2018, 09:49 vor 2210 Tagen (1583 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 16.08.2018, 11:31

Liebe Genußspechte und Wahrheitsconnaisseure!

Ohne zweifelsfreien Instinkt oder gnadenvollen Fingerzeig ist alles Mühen ein Lernen durch Erfahrung, respektive Schmerz.
Intelligenz aber kann dazu verhelfen, die Einflußgröße Zeit zu begrenzen und sich selbst daran hindern, ewig fortwährend demselben Irrtum aufzusitzen.

Manchmal ist ein Mehr auch mehr, und das Zünglein an der Waage macht einem das Schicksal gewogen.
Doch gegen den Kater anzutrinken, läßt einen eher vor die Hunde gehen – es ist zum Mäusemelken.

Das Tückische an Heroin soll sein, daß die Freuden des ersten Rausches nie und nimmer wieder zu erreichen sind, die Sehnsucht nach diesem Zustand den nun Süchtigen aber endlos verzehrt.
Die aus dem bergischen Wuppertal stammende Droge soll hier nur sinnbildliche Verwendung finden, denn auch ihr Zweck war nicht so moralisch tief ersinnt, wie später allgemein vollzogen.

In früher Prägung erfuhr ich den Genuß vorzüglichen mediterranen Fladenbrotes, heute im allgemeinen Sprachgebraucht Pizza geheißen, und vermochte die glückseligmachende Wirkung dieser Speise in dieser Form nicht zu wiederholen.

In Tiefkühlbrunnen tonangebender Lebensmittelhandelsgesellschaften fand ich facettenreiche Ware von erfolgsorientierten Lebensmittelkonzernen.
In nahezu jedem rechtsrheinischen Dorf fand ich Fladenbackende Nachgesandte Roms, und noch zahlreicher jene, die sich dafür ausgaben, solche zu sein.
Der variierende Bräunungsgrad von Speise und Teint verriet sie doch zumeist.
Aber so sehr sie sich entschlossen und verausgabten, später meißt schlossen und davontrabten – das von ihnen Kredenzte erinnerte mich selten an mein erstes Mahl.

Überseeisch buk man sie bereits in Gesetzesbuchdicke und in der Größe von Feldern für Ballspiele – so vernahm ich tagträumerisch.
Ich war süchtig nach der Essenz, der vorrangigen Eigenschaft, aber ich fand überall nur Perversionen, mannigfaltige Abarten und seelenlose Zitate, die in ihrem Schall kein Wort mehr übrig hielten.
So faßte ich einen einsamen Entschluß und faste darum fast bis heute:
Ich selbst wollte nun erkunden, wie man dieses Gebäck in der von mir favorisierten Art und Weise behände verfertigt.

Zu meinem Erstaunen gibt es zwar eine sakrosankte und erzkonservative neapolitanische Lehre, die allerdings schon Züge religiösen Wahns aufweist, indem sie ein Höllenfeuer und magische Handlungen verlangt, von denen keinesfalls abgewichen werden darf.
Der freie Markt der Fladenbäcker allerdings zeigt ein Panoptikum selbstbewußter Irrlehren.
Nahezu jeder verkündet stolz von sich, über der Weisheit letztem Stuß zu belügen, und gibt ungehemmt Diktat bezüglich Ingredienzien, ritueller Abläufe und Maßstäbe.
Entsetzlich ist für mich auf dieser Irrfahrt, daß letztlich fast alle Apostel so marktschreierisch zu Werke gehen, daß kaum mehr ein Maß für Authentizität vorhanden ist, da es bis auf die
Inquisizione de la santo perfetto Pizza de Napoli (frei erfunden)
keine sinnstiftende Institution oder Autorität gibt, die auch nur für mittelmäßiges Gelingen einsteht.

Darüber sorgte das Backen von flachen Broten schon seit der Präantike im Mittelmeerraum für dicke Backen und volle Mägen.
Wer aber das erste flache Brot gebacken, wer als erstes mit welchem Getreide buk, oder wer es wo wie und warum mit welchen Zutaten belegte, bleibt wohl im Dunkel der Geschichte verborgen.
Die Wandersage der perfekten Pizza in 10 Minuten geht nun um, und wird so schnell auch mit allen Mühen der Aufklärung nicht einzudämmen sein.

Selbst ansonsten nicht auf den Kopf gefallene bröseln 42 Gramm neuzeitliche Industriehefe in ein Pfund Mehl, und behaupten, es sei das Originalrezept.
Extra ausgewiesene Fertigmischungen sind mit ihrem Hefeteig für Keksböden auch nicht ferner vom Erwünschten.
Die Alchemie obsiegt hierbei über die Industrie sogar in Sachen Glaubwürdigkeit, doch wer weiß letztendlich, welche wilden Hefen und Milchsäurebakterien aus welchem Millieu stammen, und welche Wunder sie unter welchen Umständen wirken?

Die tumbe Masse der Hungrigen wird sich um Feinheiten nicht scheren und den Koch mit dem besten Leumund lobpreisen – da ex nihil zur Referenz erhoben.

Und auch wenn die Beschaffenheit von Getreide, der Metabolismus von Mikroorganismen und die mikroprozessorgesteuerte Temperierung des Backraumes bestens erforscht sind, und quasi zum Rüstzeug jedes provinziellen Bäckergesellen geworden sind, so folgere ich aus eigener Erfahrung kühn:
daß kein Menschenkind beherrscht, einen kreisrunden Teigfladen samt Belag so auszubacken, daß es meinem prädisponiertem Gaumen schmeicheln könnte.

Denn schließlich lehrte mich meine eigene Erfahrung und selektive Bildung, daß es nicht möglich ist.
Der Diskusbrotbäcker meiner Kindheit muß demnach ein heiliger, von Gott erwählter Privilegierter gewesen sein, dem die Macht schlicht gegeben ward.

Nachfolgend mein eigenes Rezept – mit Erfolgsgarantie in nur 5 Minuten:

- Ein sich im Sonnenschein wiegendes Weizenfeld
- Ein kristallklarer Gebirgsbach
- Salz aus dem eigenen Salzbergwerk
- Hefe aus eigener Wildhefezucht und -selektion
- Etwas Erfahrung und Glück
- Pomodoro delizioso di balcone

Im Sinne Darwinscher Evolution müßte sich diese Konstellation alsbald von selbst ausentwickeln; und wenn ich den Kreatonisten glauben darf, wird es gar zur perfekten Pizza, denn dazu war es schließlich bestimmt.

Ich habe die letzten 25 Jahre Pizza gegessen, deshalb soll es heute mal westfälische Potthucke geben.
Das Rezept werde ich aber sorgfältig auswählen, um nicht später tagelang auf dem Pott hocken zu müssen.
Alternativ bietet die hiesige Küche noch 'Pfefferpotthast' diätbegleitend an.

Mit kulinarischen Grüßen

Fenrizwolf

Meine Erfahrung...

Harald Kiri, Montag, 09.04.2018, 21:08 vor 2209 Tagen @ Fenrizwolf (1366 Aufrufe)

Hallo Wolf,

vielen Dank für Deine kulinarische Erlebnisreise. Sie hat mich sehr amüsiert.

Nach meiner Erfahrung liegt viel in der richtigen Auswahl und (nicht zu sparsamen) Dosierung des verwendeten Salzes und sonstiger geeigneter Gewürze. Wenn dann der genaue Bräunungsgrad im Zusammenspiel mit der Konsistenz und Feuchtigkeit, zum Einen des Teiges, zum Anderen der gewählten Auflagen, seinen sehr kurzen, optimalen Zeitpunkt erreicht hat, lässt sich die Geschmacksexplosion meines ersten Pizzaerlebnisses der Kindheit (beinahe) wiederholen.

Viele Grüße
Harald

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Kristiane Backer is ba(c)kin' bread

Fenrizwolf, Donnerstag, 19.04.2018, 06:27 vor 2200 Tagen @ Harald Kiri (1300 Aufrufe)
bearbeitet von Fenrizwolf, Donnerstag, 19.04.2018, 06:45

Hallo, lieber Harald!

Herzlichen Dank für Deine Aufmerksamkeit und Zuwendung zu diesem gewichtigen Thema.
Der Lehrberuf des Bäckers ist hierzulande ja nicht umsonst eine sehr ehrbare Sache.
Aus den immergleichen Zutaten in geringer Varianz das Beste herzustellen, ist nicht so leicht, wie es scheint.
Ansonsten wärest Du als Physiker dem Herrgott schon ziemlich nah. :-P

Es gibt freilich verschiedene Schulen, die Unterschiedliches verlangen.
Und es gibt verschiedene Geschmäcker, die jeweils unterschiedlich erzogen sind.
Daneben gibt es noch Schmu von Fachleuten gleicher und unterschiedlicher Fakultät.

Backen ist wohl eher etwas für Leute mit naturwissenschaftlicher Begabung und Sinn für das Rechte Maß, als für wilde Ungeheuer wie mich.

Aber es stimmt, der „genaue“ Bräunungsgrad bei „gewisser“ Konsistenz des Teiges auf einer bestimmten Oberfläche mit bestimmter Temperatur im rechten Wasser-Mehl-Verhältnis macht das Aroma.

Das ausgewogene Verhältnis zwischen göttlicher Höhensonne und des Deibels Unterhitze aus geeignetem Winkel, macht ja erst das Backen.

Daß die Theorie so schwer ist, überrascht mich nicht, und ich mach‘ immer neue Erfahrungen, die mich simpelste Umstände lehren, falls ich sie überhaupt erkenne.

Nicht zuletzt wollte ich mit dieser irren Reise aufzeigen, wie mühsam das Einfachste doch ist.
Kinder gedeihen nicht einfach auf Kuhmist, und ohne Fundament steht die schönste Kathedrale nicht.

Daß auch gute Zutaten nicht immer Gutes ergeben, beweist Kristiane Backer.
„Baker Man“ is bakin‘ bread, hat sie vermutlich nicht mehr anmoderiert, aber wie konnte sich eine solch hübsche Frau ein Kopftuch überziehen?
Waren es zu viele Köche, die in ihrer Einfalt mit ihrem Pinsel sie schließlich dazu nötigten?

Mit freundlichen Grüßen aus der ehemals preußischen Provinz,
Fenrizwolf

Einst

Nun

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Kleine Korrektur vonnöten

Fenrizwolf, Donnerstag, 19.04.2018, 07:04 vor 2200 Tagen @ Fenrizwolf (1212 Aufrufe)
bearbeitet von Fenrizwolf, Donnerstag, 19.04.2018, 07:17

Anstatt "baking breads" muß es lauten: "backing beards" ;-(


Wobei immer vernachlässigt wird, daß auch Germanen lange Haare trugen, auch im Gesicht.

Ich persönlich empfinde jegliche Verweise und Kommentare zu meiner Bartfrisur als unerträglich.

Langbärte sind heute in jedem Orchesterhirn so eng mit Islamismus verknüpft, daß ich mir jeden Hinweis auf Herkunft und Erbe verwahre.

Immerhin darf der Mensch noch bei der Intimfrisur er selbst sein.

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