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Tagebucheintrag VN 234.37875.35 (Freie Themen)

Fenrizwolf, Sonntag, 31.07.2022, 09:36 (vor 635 Tagen) (689 Aufrufe)

Lieber Tagebruch!

Offensichtlich wurde der Schlaf zu anstrengend oder korrumpiert, ich stehe auf – wieder einmal, ohne je erwacht zu sein. Es ist dreiviertel spät.

Mein schwarzmalerisches Talent vermag mich nicht vor Hellseherei zu schützen: Der Alltag ist mir schon bekannt.

Wieder und wieder werde ich dasselbe erfahren, in dieselben ausdruckslosen Gesichter schauen und im Rahmen meiner diplomatischen Möglichkeiten die besten Tips der Welt dankbar annehmen.

Das Haustürschloß klemmt, neben dem linken Vorderrad meines Autos liegt eine rohe Kartoffel, wesentliche Dinge sind am Mann (Abtastritual) – auf geht’s!

Am Straßenrand winken mir die Murmeltiere zu – voller Häme; denn sie wissen, wenn ich endlich voller Bosheit einen von ihnen überfahre, wird jener am nächsten Tag durch zwei ersetzt.

So stehen sie da, diese pelznasigen Zausel, mit Schirmmütze und Maschinenpistole, und signalisieren mir freie Fahrt zum Rande der Welt.
Auf dem Weg zur Arbeit trete ich das Auto wie einen sterbenden Ackergaul, um – einem Rennfahrer gleich – noch die letzten hundertstel Sekunden zu relativieren, die ich obligatorisch zu spät sein werde.

Doch weder mit einem Großaufgebot der Müllabfuhr habe ich gerechnet, noch mit bunt leuchtenden Lichtinstallationen wegen eines Aushubes von ½ m³ Erdreich.

Der Blick ist starr, die Schulkinder in Polonäse über die Straße und das Lenkrad nun – amorph vom festen Griff.
Obwohl ich zehn Minuten früher losgefahren bin, bin ich wieder einmal: der Letzte.

Ich wundere mich kurz darüber, wie es möglich sein kann, daß der Chef, von zu Hause aus mit drei Mitarbeitern gleichzeitig telefonieren kann, um ihnen Einsatzbefehle zu geben, doch dann hebe ich schon den virtuellen Hörer ab und höre im Hintergrund die Kanarienvögel:
Planänderung… alles ist anders, aber doch irgendwie derselbe Scheiß, nur muß es unbedingt besser sein als letztes Mal, denn das ist ja nicht tragbar.

Tetris 3D in einem Lieferwagen entzückt mich jeden Tag aufs Neue. In der Gewissheit irgendetwas vergessen zu haben, schließe ich die Schiebetür und fahre an die Front.

Eigentlich wäre das doch gar keine so üble Arbeit, wenn doch entweder die Zeit oder die Bezahlung miteinander in einem sinnvollen Verhältnis stünden.

Wer würde für 2/3 eines Tariflohnes allein seine 40 kg schwere Werkzeugkiste in jedweden Stock schleppen?
Zum Glück bin ich allein! Die Walze von 60 kg und den Schleifer von fast demselben Gewicht packe ich mir als frischgeborener Profi juvenil fast gleichzeitig auf die Schultern.

Am Ende ging dann doch alles glatt, aber geschleppt zu haben wie ein Umzugsunternehmer, termingestresst zu sein wie ein Bürohengst und sozial gefordert zu sein wie ein Kindergärtner, ist halt schon etwas anderes, als Pornos zu drehen und Prophezeiungen abzusondern.

Im nächsten Leben nötige oder verurteile ich notleidende Menschen im Namen des Volkes, baue Bobbycars in Zelten, schieße Perlenketten von Satelliten in den Orbit, oder jammere einfach um Almosen während ich parasitär meinen Mitmenschen immer dickere Löcher in die immer dünner werdende Haut nage.

Immerhin darf ich mich dafür, daß ich zum dritten Mal mein Pausenbrot unangetastet wieder mit nach Hause bringe, wieder einmal als einer der Mit(t)arbeiter des Monats fühlen, wenn auch als den Geringsten.

Gut, daß ich die Hochzeiten des Messebaus im Sündenpfuhl Frankfurt nicht miterleben mußte; ich hätte mich vermutlich reichlich irritiert gezeigt (und als nicht team-fähig) nach einer Geldspende gefragt zu werden, während ich eine Dirne begatte, während es mein Kollege direkt daneben tut.

In diesen prosperierenden Zeiten, als Arbeiter noch so gut bezahlt wurden wie die Nutten, und betrunkene Bürger in jedem Haus noch Obdach fanden, hätte schlicht jeder erfolgreich sein können.

Ach, hätte ich nur eine etwas leichtere Werkzeugkiste und einen etwas größeren Penis…

Einsatz abgeschlossen, alle zufrieden, außer mir.

Prognose: Bullenmarkt für Spielzeughersteller - Regierung wird Schnullerpflicht für Erwachsene einführen.

19:00 Uhr: Der Kaffee wirkt! Ich weiß nun nur nicht, ob ich in der verbliebenen Zeit den notwendigen Schlaf nachholen soll, oder jetzt schon pinkeln gehen soll.
20:30 Uhr rzr chrzz
22:30 Uhr Was war das denn jetzt?
22:40 Uhr Berge an böser Post?
22:45 Wo bin ich?
06.00 haha!

Man sollte sich die blonden Haare blau färben, einen klaren Scheitel pflegen und den Dienst quittieren, bis endlich alle geköpft sind, die man bei Tageslicht nicht umnieten darf.

Es wird die Zeit kommen, in der die Haustiere ihre Herren verzehren.

Es grüßt eigentlich ein Wolf, aber… hört nicht auf die Gerüchte von Zuchtpudel und so…

Man sieht sich, gell?

Fenrizwolf

Postskrotum:

„Ich kann Ihnen schon sagen, ich bin sehr leidenschaftlich zu dieser Zeit und weiß gar nicht, woher alle das Zeug, das mir durch den Kopf geht, in mich hineinkommt. Sie sind das allererste Mädchen, dem ich meine Liebe erkläre, obgleich mir schon mehrere eingeleuchtet haben.“ (Gottfried Keller)


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