Gesetzmäßigkeit des Niedergangs

Geschrieben von Badland Warrior am 06. Januar 2005 17:41:08:

Als Antwort auf: Re: Von der Gesetzmäßigkeit des Ungesetzmäßigen geschrieben von Alceste am 05. Januar 2005 20:27:55:


Guten Abend, lieber Alceste!

A.: Bei den teils flegelhaften, teils hinterhältig mobbenden Verhaltensweisen, die wir mittlerweile auch in diversen Foren beobachten können, bekommt man nur selten ein Kompliment serviert. Und ich muß es jetzt leider zurückweisen. Toynbee habe ich nur auf gut Glück in die Debatte geworfen, weil irgendwo im hintersten Eck meiner Erinnerung etwas vor sich hin staubt, von dem ich mal gehört habe, daß....
B.: Dann werde ich deiner Allgemeinbildung und der anderer Foris, die mit dem Namen nichts verbinden, auf die Sprünge helfen: Arnold Toynbee war ein britischer Philosoph und der wichtigste Zivilisationskritiker neben Oswald Spengler und Norbert Elias. Er lebte von 1889-1975.
Arnold Toynbees ´Menschheit und Mutter Erde´ ist ein erzählendes Geschichtswerk, eine Weltgeschichte, wie es sie in unserem Zeitalter der Spezialisierung kaum noch einmal geben wird. Es ist wohl das letzte große Dokument dieser historischen Richtung, für die neben Toynbee vor allem Carl Jacob Burckhardt steht. ´Menscheit und Mutter Erde´ schildert den Aufstieg und Niedergang der großen Zivilisationen unter einem einigenden Gesichtspunkt: Arnold Toynbee sieht die gegenwärtige Bedrohung der Menschheit durch Selbstzerstörung und Rohstoffmangel als den Gipfelpunkt einer Jahrtausende währenden Entwicklung. Er beschreibt das uralte Auseinanderklaffen von technischem Fortschritt auf der einen und der moralischen, politischen Unreife des Menschen auf der anderen Seite. Wie auch Oswald Spengler, sowie Widowson und Beasley, vertrat er die Ansicht, dass die Entwicklung und der Niedergang der menschlichen Gesellschaften einer gaussschen Kurve folgte. Auf Entstehung kommt Entwicklung, Zenit und Niedergang mit Zerfall.
A.: Auch ich halte dieses Szenario für nicht unwahrscheinlich, um es mal sehr vorsichtig zu sagen. Anders als Du meine ich jedoch, daß wir die Ursache vielleicht weniger in quasi naturgesetzlich obwaltenden und von uns nicht beeinflußbaren Mechanismen suchen sollten, sondern woanders. Eher dort, wo sich Macht und Geld konzentrieren.
B.: Was meiner Ansicht nach keine Rolle spielt. Denn letztendlich ist die Zwangsläufigkeit der Geschichte wichtig. So, wie auch die Römer, Azteken, die Gesellschaft von Catal Hüyük oder die Khmer haben wir unseren Zenit längst überschritten. Im Niedergang unserer Gesellschaften – denen der Industrienationen – reißen wir alle anderen mit. Das wird einen Totalzusammenbruch zur Folge haben, sozusagen einen menschlichen Super-GAU.
A.: Meiner Ansicht nach besteht, oder bestand eine Möglichkeit, die Katastrophe aufzuhalten. Ob auch jetzt noch, darüber bin ich sehr im Zweifel. Wahrscheinlich nicht; der Point-of-no-Return dürfte längst überschritten sein.
B.: Eine Möglichkeit wäre nur theoretisch gegeben gewesen, als wir noch viel weniger waren, doch gab es damals einiges Wissen nicht, das wichtig gewesen wäre, umzusetzen, ökologische Belange z. B. Oder die Erkenntnis, dass man nicht aus endlich viel ein unendliches Wirtschaftswachstum erzeugen kann. Die Lehre vom ungebremsten und unendlichen Wirtschaftswachstum war bis in die Neunziger verbreitet und geistert wahrscheinlich immer noch in den Köpfen einiger umher, die es nicht gelernt haben.
Ich rechne ab etwa dem Entstehen der christlichen Kirche und ihrer „Gott und Natur sind getrennt“-Auffassung, und seitdem haben sich soviele Missstände ergeben, die ihrerseits wieder Gegenmissstände ergeben haben (das cartesianische Weltbild, das alles nur unbelebte und seelenlose Materie sei und rücksichtslos auszubeuten etwa, mit ihren Kindern Marxismus, Kapitalismus und Nihilismus). Sozusagen ergab sich durch viele winzige Effekte und Fehlentscheidungen, die schon katastrophal endeten, Schneeballeffekte, die inzwischen eine Lawine hervorgerufen haben, die wir zwar schon hören, und deren Nahen wir fühlen, deren Einschlag aber noch nicht stattgefunden hat. Da wird keine Hand vom Himmel kommen und mal eben alles zum Guten ändern. Wir haben 5 Milliarden Menschen zuviel, große Teile der Erde sind ruiniert, die Lebensumstände für viele sind eine Zumutung, in den Industrienationen sind die Leute völlig naturentfremdet, es finden Kriege um Rohstoffe statt, der Djihadismus versucht, den Westen in die Knie zu zwingen und auszuhöhlen, während sich die Supermächte wie geifernde Hyänen anknurren. Wer dann meint, man bräuchte nur oft genug der ansicht sein, man sei unendliche liebe, und die Menschheit sei eine spirituelle Einheit, und man bräuchte nur debil grinsend rumzumeditieren, um das zu ändern, der hat von geschichtlichen Mechanismen und sozialen und ökonomischen Strukturen und Sachzwängen keine Ahnung! Drauf gespuckt, verzeih den Ausdruck

A.: Nur würde ich bei der Frage, welche Ursachen das heraufziehende Unglück hat, sehr viel stärker als Du davon ausgehen, daß es im engeren und weiteren Sinn "hausgemacht" ist.
B.: Auch die Verursacher stecken im gleichen Boot. Der Nachbar, der bedenkenlos seine Heizung auf Anschlag stellt, und den Müll über den Zaun schüttet, genauso wie der Großindustrielle, der mal flugs 1000 Arbeitsplätze abbaut und nebenbei Atommüll in den Mariannengraben kippt. Es gibt nach meinem Dafürtun keine Clique von 12 Bösewichtern oder 7 Zwergen, die an allem schuld sind. Es gibt da zuviele Faktoren. Es sind Milliarden von kleinen Problemen, alle Folgen von mehr als tausend Jahren Fehlentwicklungen, die alle zu der Lawine werden oder zu dem Antrieb, der die Achterbahn mit einem furiosen „WUMM“ unten aufknallen lässt.
>B.: Die fernste Zukunft, lieber Alceste, ist mir zu hypothetisch. Was im Jahre 3000 sein wird, im Jahre 3.500 oder im Jahre 7000, darüber spekuliere ich nicht, das ist höchstens ein schöner Aufhänger für Science Fiction oder Fantasy,meiner Meinung nach, wobei ich beide Literaturgattungen sehr schätze.
A.: Da habe ich mich ungenau ausgedrückt. Unter "ferner Zukunft" meinte ich die nächsten 10, 20, 30 Jahre.
B.: Oh, ich sehe, da habe ich dich wohl missverstanden.

Alceste: Die Aussage halte ich für in sich widersprüchlich. Wenn wir mal annehmen, daß der Verlauf der Geschichte in erheblichem Maße von neuen Erkenntnissen und deren Anwendung bestimmt wird, diese aber - wie auch? - nicht vorherseh- und -sagbar sind, ist folglich auch die Geschichte nicht prognostizierbar.
B.: Ich glaube, ich habe den Knackpunkt gefunden. Sie ist nicht mehr abänderbar, da sie Eigendynamik entwickelt hat. So, wie das Reich der Maya untergene musste und tat, so geht auch unsere Gesellschaft jetzt koppheister. Daran lassen auch keine neuen Geräte oder die Entdeckung, ob es den Yeti denn nun gibt, etwas ändern. Es bleben immer noch viel zuviele Menschen. Selbst StarGates würden die Probleme nur auf andere Welten verschieben und dann auch noch multiplizieren. Ich bleibe dabei, wir sind zu weit gegangen, und das rächt sich jetzt. Wir sehen überall die Symptome von Auflösung, Dekadenz, Elend, Torschlusspanik um Geld und Rohstoffe, Auflösung und Zerfall Daran lässt sich nichts mehr ändern. Das ist ein Naturgesetz. Wir befinden unds in Abwaärtsfahrt, und da kann auch keine technologische Träumerei, Wissenschaftsgläubigkeit, Meditiererei, oder Schuldzuweisung an irgendwelche Gruppen etwas ändern. Die fallen genauso auf die Nase, wie alle. Ende Gelände.

A.: Es sein denn, Du würdest die "Gesetzmäßigkeit des Ungesetzmäßigen" postulieren.
B.: Ich denke, dass das der falsche Ansatz ist. Die Geschichte ist unabänderlich nach hinten, und sie unterliegt den Spenglerschen oder Toynbeeschen Regeln. Ob nun ein Asteroid, ein Supervulkan oder ein Angriff von Aliens das verursacht, ist letztendlich, überspitzt gesagt, egal. Wir sind eh im Abwärtstrend. Wer sich der Lawine entgegenstellt wird zermatscht. Wer sie nicht wahrhaben oder wegträumen will, auch.
A.: Selbst wenn Du recht hättest, würde ich Deine Ansicht nicht unbedingt übernehmen wollen, weil sie zu fatalistisch ist, und dazu verführen kann, Dinge zu akzeptieren, die man gar nicht akzeptieren müßte. Zum Beispiel den alles niederwalzenden, niederbombenden, perversen und kulturlosen Amerikanismus. Vielleicht würde Spengler darin sogar die Vitalität einer jungen, aufstrebenden Zivilisation erkennen, die sich wie viele andere zuvor ihren Platz an der Sonne erkämpft, auch wenn der Weg dorthin über einen Ozean von Leichen führt?
B.: Die USA sind a auch nur ein Faktor bei unserem Niedergang, und außerdem schwimmen ihnen auch die Felle weg. Du kannst sie bewerten, wie du willst, es ändert nichts an den Regeln, nach denen sie genauso wie alle anderen an die Wand fahren. Und Widowson und Beasley beschreiben das auch sehr ausführlich.
>B.: Ich dagegen behaupte etwas anderes: Beide Positionen sind nicht starr. Die Geschichte ist nicht absolut und bis ins allerkleinste Detail vorhersehbar. Das habe ich auch nie behauptet. Sie ist aber auch nicht absolut und völlig unberechenbar. Ich behaupte, dass die Variablen lediglich zum Zeitablauf beitragen und zur Zwangsläufigkeit der Ereignisse. Ein Rind, das auf dem Weg zum Schlachthof ausbüxt, kann das Pech haben, überfahren zu werden. Sterben wird es sowieso. Dass sie sterben wird, liegt in der Natur der Sache. Sowohl der Sterblichkeit an sich, als auch darin, dass die Kuh nunmal den menschlichen Gegebenheiten unterworfen ist. Sie wird nicht morgen zum Papst ernannt werden (obwohl das meines Erachtens auch nicht viel ändern würde, humoriger Einwurf am Rande).
A.: Sind diese Variablen mehr als Allgemeinsätze in der Art, "es vergeht, was besteht"? Ich bin skeptisch, was die Möglichkeiten betrifft, daraus halbwegs präzise Vorhersagen abzuleiten, lasse mich aber gerne eines besseren belehren - vielleicht werden wir noch erleben, wer von uns beiden recht gehabt hat?
B.: Ich bin der Meinung, dass man nur soviele Infos, wie man selbst verarbeiten kann, heranziehen muss, abgleichen und ausfiltern, dann sieht man, an welchem Teil der Abwärtskurve wir sind. An der Sache ist nichts zu ändern. Wie der Japaner sagen würde: „Shikata ga-nai“, einer der wenigen japanischen Sätze, die ich kann, „Kann man nichts machen“. Ich denke, wenn du meinst, es sei doch noch etwas zu retten, dass dann wohl eher ich recht behalten werde. Wenn du es denn so gemeint hast.

Baddy


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