"Gute alte Zeit ?"

Geschrieben von Odin am 01. November 2005 11:03:49:

Als Antwort auf: Re: zum minimalen, zum menschenwürdigen "Lebensstandard" geschrieben von Wüstenrufer am 30. Oktober 2005 12:05:38:

Hallo

Teilweise Zustimmung. Es gibt keine Wahrheit, und
die liegt irgendwo in der Mitte zwischen den
Zuständen von damals und denen von heute, aber
leider näher an denen von damals.

Ein Arbeitskollege aus Rumänien stellt das oft so
dar:

Glaubt nicht, dass Rumänien beim EU-Eintritt so
wird wie die EU. Es ist eher wahrscheinlich, dass
die EU dann so wird wie Rumänien.

>Hallo BB!
>Das sind schlimme Zustände, die Du da beschreibst.

BB beschreibt die Zustände, wie sie für die meisten
Menschen eben waren.

Aber man soll nicht idealisieren, auch nicht die
Einfachheit und Bescheidenheit. Von Hunger oder
einseitiger Mangelernährung mal völlig abgesehen:

Die hygienischen Verhältnisse und die Medizin von
damals sollten wir uns nicht zurückwünschen.

Z.B. war die TBC vor 100 Jahren eine Volkskrankheit
und eine der häufigsten Todesursachen.

Läuse und Flöhe hatten die allermeisten, vor allem
auf dem Land, wo der Grossteil der Menschen wohnte.

Kleidung war per Waschbrett und Zuber nie richtig
sauber zu kriegen, also nicht nur nicht flecken-
frei, sondern überhaupt nicht sauber im heutigen
Sinn.

Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sollten
wir uns nicht zurück wünschen, z.B. die starre
hierarchische Aufteilung in der damaligen Stände-
gesellschaft, noch mit den Restbeständen des
Feudalismus behaftet.

>Aber selbst wenn man den von dir beschriebenen niedrigen Lebensstandard als >seinerzeit allgemein voraussetzt, so frage ich mich: Was hat das mit unserem >heutigen Leben zu tun? Die Dinge entwickeln sich mit voranschreitender Zeit >nun mal weiter, und weil es vor 70 Jahren nicht üblich war, ein Auto zu >besitzen, so darf heute auch keiner mit dem Auto fahren, der nicht zur >Oberschicht gehört?

Das hat mit dem heutigen Leben folgendes zu tun:

Unser heutiger Lebensstandard ist nur möglich und
beruht lediglich auf Ausplünderung, nämlich

physisch gesehen:

- Der globalen Rohstoffressourcen (z.B. von Erdöl etc.)
innerhalb kürzester Zeit

- Der globalen Ausplünderung der "Armländer" durch
die (NOch-)"Reichländer (= uns).

- Der totalen Ausplünderung der nicht-anthropogenen
Biosphäre (Überfischung, Massentierhaltung etc.)

Und ökonomisch gesehen:

- Der totalen Verschuldung praktisch aller Volks-
wirtschaften bei - ja eigentlich bei unseren
Nachkommen, wenn man´s genau nimmt.

Und all das steht auf dem Prüfstand. Die sogenannte
Globalisierung z.B. ist nichts weiter als eine
starke Gegenkraft gegen die künstliche Einteilung
in Noch-Reichländer und Armländer. Die heutige
Anzahl der Weltbevölkerung lässt nämlich eigentlich
(leider) nur noch Armländer zu.

>Weil Menschen früher in unwürdigen Behausungen leben mußten, darf es heute >auch niemand besser haben?

Schon, aber rein energetisch (begrenzte Energieressourcen)
und auch aus der Sicht der globalen (nicht vorhandenen)
Verteilungsgerechtigkeit ist das nicht mehr lang auftrecht
zu erhalten.

>Und Arbeitslose haben dann >ohnehin kein Anrecht auf Fernsehen, Auto oder >Wohnung?

Naja das ist die Frage, wie weit man gehen will, und
z.B. Wohnung ist in unseren Klimazonen schlicht eine
Notwendigkeit fürs nackte Überleben. Z.B. Strassenkinder
in Rio leben zwar im Elend, aber wenigstens in der Wärme,
also deren Risiko im Winter zu erfrieren ist eher
gering.

>Wie soll ein Arbeitsloser jemals wieder Arbeit finden ohne z.B. ein Auto?

In Zeiten, in denen Personen- und Warentransporte
aufgrund des PeakOil-Effekts wieder ein echter
Kostenfaktor werden (so wie früher), werden sowohl
Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber da gewisse Dinge
umprioritieren müssen.

>In vielen >Vorstellungsgesprächen lautet die erste Frage "Haben Sie ein >Auto?".

Ich sehe Zeiten kommen, in denen eine solche Frage
mit einem gezielten kinnorientierten Fausthieb
beantwortet werden wird. Schlicht weil diese Frage
dann als unanständig empfunden werden wird - und
als unrealistisch.

>Sind nur Menschen etwas wert, die körperlich belastbar, hart, durchtrainiert >etc. sind?

Wir wissen alle, dass das in fre4ier Wildbahn so wäre.
Aber keiner von uns wünscht sich wohl die Rückkehr
zu Darwin pur, oder ?

>Was ist mit Menschen, die zwar geistig entsprechend hochstehend sind, aber >körperlich sehr krankheitsanfällig oder behindert sind?

Auch in früheren Gesellschaften wurde die geistige
Elite (selbst bei körperlichen Gebrechen) hochgehalten,
vielleicht sogar mehr als heute. Weil die politischen
und wirtschaftlichen Eliten diese Leute brauchten.

>Ich weiß, daß bei Teilen hier im Forum die Meinung herrscht, Pflegefälle >müßten der Euthanasie zugeführt werden, Arbeitslose sollten unter der Brücke >wohnen und der Lebensstandard sei ohnehin viel zu hoch, ein Auto brauchen nur >Tatü-tatas und vielleicht noch Millionäre usw. usf.

Ich gehöre garantiert nicht zu denen, die so denken.

>Gerade in der heutigen Zeit aber trifft es immer mehr Unschuldige. Normale >Menschen, keine Säufer, Fixer, Penner und dergleichen. Menschen, deren >Arbeitgeber Insolvenz anmelden, die entlassen werden und aufgrund ihres Alters >keine neue Anstellung mehr finden.

Dieser Auffassung bin ich auch. Je grösser die
Arbeitslosigkeit ist, desto wahrscheinlicher wird es,
dass die meisten Arbeitslosen unschuldige Opfer einer
Entwicklung sind, die weit über ihren Köpfen statt-
findet. Schon aus diesem Grund sollten wir alle den
billigen Pauschalredensarten entgegentreten, die noch
aus der Zeit der Vollbeschäftigung stammen. Hier
können wir zur gesellschaftlichen Debatte noch was
beitragen.

>Hat ein solcher Mensch von sagen wir ca. 50 Jahren denn kein Recht mehr auf >ein menschenwürdiges Leben, bis er in Rente geht? Darf er die nächsten 15 >Jahre nur zu Hause vor dem Fernseher hocken und sich totlangweilen? Oder soll >der arbeitslose Rechtsanwalt, Arzt, Lehrer, Programmierer vielleicht als >Hilfsarbeiter im Eisenbahnschienenbau eingesetzt werden?

Das ist ja noch grotesker:

Diese Leute NIMMT ja nicht mal jemand als Hilfsarbeiter
für Eisenbahnschienen. Gründe:

Zu alt und zu schwach, "überqualifiziert" usw.

Das Wort "überqualifiziert" sollte unter Strafe gestellt
werden (ich meine: der Begriff an sich), weil Dieses
Wort und das damit verbundene Denken vielen Gutwilligen
zur Falle wird.

>Gruß
>vom
>Wüstenrufer

Tja auch ich fühle mich wie ein einsamer Prediger
in der Wüste. Nur welchem Herrn sollen wir den
Weg bereiten ?

Gruss

Odin


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