Geschichte und Sprachgeschichte

Geschrieben von Odin am 25. November 2004 10:25:

Als Antwort auf: Sind Baselbieter faschistisch und humorlos? geschrieben von Templar am 24. November 2004 12:08:

Hallo

>PS: Schweizerdeutsch mit dem Alemannisch gleichzusetzen ist echt lächerlich!

Das wollen wir mal geschichtlich beleuchten. In der Völkerwanderungszeit
wurde der deutschprachige Teil der Schweiz zusammen mit dem Schwarzwald,
dem Oberrheintal und dem Elsass von einem Stamm besiedelt, der sich selber
Alamannen nannte und ein Teil des suebischen (= schwäbischen) Stammes-
bundes war. Daraus erklärt sich auch die dialektale Verwandtschaft der
schweizerdeutschen, südbadischen und (leider ausgestorbenen) elsässischen
Dialekte mit der schwäbischen Dialektgruppe. den Begriff "Alemannisch" als
Sammelbezeichnung für ein Dialektgebiet hat der badische Gymnasial-
professor Peter Hebel geprägt, vor etwa 200 Jahren. Dabei hat er
einfach dem namenlosen Dialektgebiet den Namen des ursprünglichen
Volksstammes zurückgegeben, der den Anfang dieser Dialektentwicklung
eingeleitet hat.

>Mit ganz viel Goodwill kann man es als stehengebliebene, also ziemlich >veraltete Variante des Mittelhochdeutschen interpretieren.
>Zur Verdeutlichung:
>Mittelhochdeutsch - Schwyzertüütsch
>snîden / ich snîde / ich hân gesniten schnyde / ich schnyde / ich haa gschnitte
>lîden / ich lîde / ich hân geliten lyde / ich lyde / ich haa glitte
>mîden / ich mîde / ich hän gemiden myde / ich myde / ich haa gmide
>rîsen / ich rîse / ich hân gerisen rysse / ich rysse / ich haa grisse

Man kann die Geschichtsschreibung auch umdrehen. Ein wirklich
gesprochenes Mittelhochdeutsch als für alle Sprecher verbindliche
Hochsprache hat es im Mittelalter überhaupt nicht gegeben.
Mittelhochdeutsch war eine Sprache der literarischen Eliten, nämlich
des bildungsbeflissenen und poetisch aktiven Reichsritterstandes
("Minnesänger"). Und aus wohl nicht mehr genau eruierbaren Gründen hat
dieser Reichsritterstand die Sprachvariante des Südwestens innerhalb
des deutschsprachigen Raumes als Sprachstandard gewählt. Damals gehörte
ja die Schweiz noch zum deutschen Reich, genau wie Österreich.
Letzteres war sogar stärker unabhängig, denn die mittelalterlichen
Herzogtümer hatten ein hohes Mass an Teilautonomie.

>Neuhochdeutsch
>schneiden / ich schneide / ich habe geschnitten
>leiden / ich leide / ich habe gelitten
>meiden /ich meide / ich habe gemitten
>reissen / ich reisse / ich habe gerissen

Manchmal kann man schon die Frage aufwerfen, ob die sogenannte
oberdeutsche Lautverschiebung wirklich und geschichtlich statt-
gefunden hat, oder ob einfach nur für die Schriftsprache immer mal
wieder andere Dialektgebiete als Standard herangezogen wurden, in
denen die Diphtongierung schon vorher eben vorhanden oder auch nicht
vorhanden war.

Gruss

Odin



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