Sie sind mir ein Rätsel
Geschrieben von franke43 am 29. Januar 2004 09:10:15:
Als Antwort auf: Re: Ursprungsbevölkerung geschrieben von JeFra am 29. Januar 2004 05:35:54:
Herr JeFra
Woher nehmen SIe nur immer dieses Faktenwissen. Sie scheinen
Archäolioge, Ethnologe, Kulturhistoriker und Sprachwissen-
schaftler in einem zu sein. Dem bin ich einfach nicht gewachsen.>>Man kann auch Tacitus zitieren, der neben den südschwedischen "Gotones"
>>(Goten) und den mittelschwedischen Suiones (Svear, eigentliche Schweden) auch >>die "Fenni" erwähnt hat.>Das mag stimmen, aber es sagt nur, daß die Samen schon zur Zeit des Tacitus da >waren, ebenso wie die Germanen. Das wollte ich ja gar nicht anzweifeln, es >geht um die Frage nach der Urbevölkerung.
Das ist korrekt. Tacitus lässt keine Rückschlüsse zu, welches
Volk als erstes den skandinavischen Raum nach Verschwinden des
Eises betreten hat.>>Das brauche ich nicht zu wissen, es reicht, dass das die Kulturgeographen und >>Archäologen festgestellt haben.
>Mich interessiert gerade die Frage, mit wie guten Gründen sie das behaupten. >Um noch eine weitere Frage anzuschliessen: In einem neuen Survival-Forum sind >Sie bis zu der Behauptung gegangen, die Samen seien die Indianer >Skandinaviens.
Richtig. Zu dieser Behauptung würde jeder kommen, der mal
ein Samenzelt gesehen und einen samischen Jojk gehört hat.
Die kulturelle Ähnlichkeit mit den nordamerikanischen
Indianerkulturen ist unübersehbar.>Wenn diese These richtig ist, müsste es ja archäologische Indizien für >regelrechte Massaker germanischer Einwanderer an der samischen Urbevoelkerung >Skandinaviens geben.
Wir sprechen von der Bronzezeit. Da bleibt von nicht-
bestatteten Leichenhaufen nicht viel übrig. Ausserdem
wird die Bevölkerungsdichte nicht für Massaker ausgereicht
haben. Zudem werden die Samen wahrscheinlich das Feld
geräumt haben, als die germanischen Ackerbauern nachrückten,
weil sie als Rentierjäger ja damals noch in den Norden
ausweichen konnten. Irgendwann war dann auch der Norden
zu klein, und die Samen mussten ihre Lebensweise
intensivieren. Statt Rentiere zu jagen, gingen sie dazu
über, die Rentiere zu zähmen und in Herden regelrecht
zu züchten. Und diese Änderung fällt in historische
Zeit (etwa 17. Jahrhundert).Aber interessant: es gibt einen samischen Film, in dem
dargestellt wird, wie eine Bande germanischer Wikinger
(also frühes Mittelalter) sich aufgemacht hat, um die
samische Bevölkerung in ihrer Gegend auszurotten. Sie
überfallen das eine Zeltdorf nach dem anderen. Das
spielt sich in Nordnorwegen ab. Nur Phantasie ?>Meines Wissens wird eine derart dramatische Entwicklung nicht durch den >archäologischen Befund nahegelegt.
OK man kann zum Beispiel nicht mehr eruieren, welches
Volk die vielen spätsteinzeitlichen und bronzezeitlichen
Felsenzeichnungen (wir haben welche in Nyköping) oder die
Grabhügel und Steingräber (haben wir auch) geschaffen
haben. Bei den Runensteinen ist die Antwort eindeutig,
aber die meisten sind auch erst ca. 1000 Jahre alt.>Die Diskussionen über die Urheimat der Indogermanen scheinen ja seit Jahren
>(oder Jahrzehnten) hin und herzugehen, ohne daß man zu einem überzeugenden >Ergebnis gelangt ist. Das ewige Hin und Her in dieser Frage verleitet mich zu >einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber allen Behauptungen, die Arachäologie >könne definitiv feststellen, wann die Samen und wann die Germanen nach >Skandinavien gekommen sind.Was wir aber sehen können, ist die Kontinuität der
Lebensweise. Es ist wahrscheinlich, dass nach dem
Rückzug des Inlandseises Rentierjäger als erste
kamen, denn ausser Rentieren gab es nichts anderes
zu jagen, höchstens Schneehasen und Schneehühner.
Ackerbau war noch gar nicht möglich. Es ist weiterhin
wahrscheinlich, dass es diese Rentierjäger waren, die
sich allmählich zu den rentierzüchtenden Samen
entwickelten. Der Umgang mit Rentieren war ihnen
eben schon seit langem vertraut, während ihnen die
intensive Landnutzung der Germanen durch Ackerbau
fremd war. Der Ackerbau setzte eine Aufteilung des
Landes und Sesshaftigkeit voraus, das Leben als
Rentierjäger und Rentierzüchter hingegen war
nomadisch. Noch heute gibt es Streit zwischen den
Waldbauern und den Samen in Nordschweden um die
Nutzungsrechte der Wälder als Winterweide für die
Rentierherden.>Ich glaube, daß die Tendenz, mehr oder weniger überall die Indogermanen als >Eindringlinge zu sehen, klar politisch motiviert ist.
Alle sind Eindringlinge, "Ursprungsvölker" kann man in
den wenigsten Fällen historisch irgendwie festmachen.>Beispielsweise besitze ich sowohl das praktische Langenscheidt-Lehrbuch >Schwedisch und das praktische Langenscheidt-Lehrbuch Türkisch. Raten Sie mal, >welches der beiden Lehrbücher sich lang und breit darüber ausläßt, daß die >behandelte Sprachgemeinschaft nicht die Urbevölkerung des behandelten Landes >ist. Ich glaube, es ist kein Zufall, daß diese Thematik in dem einen Fall an >die große Glocke gehängt und in dem anderen Fall verschwiegen wird. Dabei >dürften unsere Vorstellungen über die Geschichte Anatoliens im 2. Jahrtausend >vor Christi Geburt sicher fundierter sein als über die gleichzeite Geschichte >Skandinaviens.
Also mir ist bekannt, dass die Türken die heutige Türkei
erst im 11. und 12. Jahrhundert erobert haben, wobei sie
das byzantinische Kaiserreich praktisch vernichtet haben.
Mir fällt da die Schlacht von Mandzikert in Ostanatolien
im Jahr 1071 ein, die die Byzantiner gegen die Türken
verloren.>Auch ganz absurde Behauptungen werden bisweilen vertreten, etwa sollen die >Basken länger als jedes andere Volk Europas in ihrer jetzigen Heimat wohnen. >Tatsächlich sprechen Vokabeln wie mendi - Berg und mendebalde - Westen >ziemlich deutlich dafür, daß die Basken noch zu einer Zeit östlich der >Pyrenäen lebten, als ihre Sprache bereits erheblich durch das Lateinische >beeinflußt wurde.
Sonderlich weit scheinen die Basken aber nicht gewandert
zu sein. Noch heute leben sie zu beiden Seiten der
Pyrenäen. Und Caesar hat ja geschrieben, dass die Völker
in Aquitanien (Aquitani) eine andere Sprache hatten als die
anderen gallischen Völker. Ein Hinweis auf die Basken in
Südwestfrankreich ?>Meiner Meinung nach handelt es sich um rein politisch motivierte Mythen, die >meist von Leuten in die Welt gesetzt werden, die kaum irgendein echtes >Interesse an der Kultur oder der Sprache der betreffenden Völker haben. Wie >weit verbreitet sind beispielsweise Kenntnisse des Samischen unter >Linksintellektuellen, die auf der angeblich anti-samischen Politik Schwedens >herumtrampeln?
Die Kenntnisse des Samischen sind sogar unter den Samen
schlecht, weil das Erlernen ihrer eigenen Sprache nicht
gefördert wird. Nur - warum reiten Sie immer auf den
"Linksintellektuellen" herum ? Müssen Sie eigentlich
imemr auf Konfrontation machen und dabei hoffnungslos
veraltete politische Kategorien verwenden ?Antisamische Politik ist z.B., wenn das meiste Land in
Lappland, das früher mal selbstverständlich den Samen
gehört hat, im 17. Jahrhundert einfach zum "Land der
Krone" erklärt (= annektiert und enteignet) wurde und
noch heute als "Staatsland" gilt, nur weil die Samen
als Rentiernomaden som blöd waren, kein Grundbuch über
ihre Heimat zu führen. Die Samen haben daher in ihrem
eigenen angestammten Land nur ein Nutzungsrecht z.B.
für die Rentierbeweidung. Aber sobald der Staat etwas
von diesem Staatsland an Privat verkauft, ist dieses
uralte Nutzungsrecht sofort durch die neuen "Eigentümer"
gefährdet.>Mein Eindruck ist aber, daß es meist nicht um die Interessen diesr kleinen >Völker geht, sondern um Bestrebungen sehr viel mächtigerer Interessengruppen, >das Recht der indogermanischen Völker Europas auf Verteidigung ihrer Heimat >gegen die Errichtung einer multikulturellen Gesellschaft zu bestreiten. >Jedenfalls weist die auffallende Ungleichbehandlung von Schweden und Türken >genau in diese Richtung.
Halten Sie den Langenscheidt-Verlag für eine Propaganda-
einrichtung ? Dann müsste ja im Langenscheidt-Wörterbuch
Norwegisch dasselbe über die Norweger stehen. Tut es das ?>In dieselbe Richtung paßt auch die manchmal anzutreffende Tendenz, praktisch >alle toten europäischen Sprachen, über die wir wenig bis gar nichts wissen, >als nicht-indogermanisch hinzustellen. Sowohl das Piktische, das Iberische, >das Pelasgische, das Etruskische als auch das Minoische werden normalerweise >als nicht-indogermanisch hingestellt, praktisch immer ohne zufriedenstellenden >Beweis. Im Fall des Etruskischen steht anscheinend Meinung gegen Meinung. Die >einen glauben, das Etruskische sei eine Ergativsprache gewesen und mit dem >Georgischen verwandt. Die anderen behaupten, es sei eine indogermanische >Sprache mit einem Nominativ-Akkusativsystem.
Dann wenden wir uns mal einer lebenden Sprache zu. Das
Vorhandensein von strikten Beugungsformen und Beugungs-
regeln (Kasussystem) ist kein Beweis für die indogermanische
Herkunft einer Sprache. Sonst wäre nämlich Finnisch mit
seinen 16 Fällen die indogermanischste Sprache von allen.>Im Fall des Minoischen habe ich mich auf href="http://www.people.ku.edu/~jyounger/LinearA/religioustexts.html">dieser >Seite schlau gemacht, die die Texte anscheinend vollständig in einer auf >der Entschlüsselung von Linear B beruhenden Transkription bringt. Die meisten >Texte sind offenbar Rechnungen und Listen. Mein Eindruck ist, daß man alle >Linear A-Texte mit vermutlich finiten Verbformen an einem Nachmittag komplett >auswendig lernen könnte.
Also irgendwo glaube ich gelesen zu haben, das Minoische
sei als eine frühe Form des Griechischen identifiziert
und damit eindeutig indogermanisch.>Wie man auf dieser schwachen Grundlage die oft kolportierte Behauptung belegen >kann, die Sprache sei nicht indogermanisch gewesen, ist mir ein Rätsel. Der >Göttername Asasara oder Jasasara soll angeblich eher auf eine Verwandtschaft >zum Luwischen (oder wenigstens auf die Übernahme Luwischer Götter) hindeuten. >Popularisiert wird aber eher die Behauptung, die Kreter seien Exoten gewesen.
All diese Deutungen waren mir unbekannt.
>Im Fall des Piktischen, Iberischen und Pelasgischen scheinen unsere Kenntnisse >noch dünner zu sein. Ich wäre nicht erstaunt (abgesehen von der Tatsache des >Weiterlebens nach dem Tode), wenn mir der liebe Gott im Jenseits eröffnen >würde, daß die meisten (wenn auch wahrscheinlich nicht alle) dieser Sprachen >indogermanisch waren. In dieser Welt werden wir es wohl schwerlich >herausfinden, und ich denke, dasselbe trifft auch für die Frage nach der >Urbevölkerung Skandinaviens zu.
Historisch festmachen kann man, dass die Samen bis in
historisch gut dokumentierte Zeit die Kontrolle über
die Nordhälfte der skandinavischen Halbinsel hatten,
aber auch dort immer mehr zurückgedrängt und im
17. Jahrhundert endgültig unter germanische Fremd-
herrschaft gestellt wurden. In der Wikingerzeit
verlief der Handel mit den "skreifinnar" noch halbwegs
auf gleicher Augenhöhe, ab dem Spätmittelalter dann
nicht mehr.Gruss
Franke