Re: Ursprungsbevölkerung

Geschrieben von JeFra am 29. Januar 2004 05:35:54:

Als Antwort auf: Ursprungsbevölkerung geschrieben von franke43 am 28. Januar 2004 14:08:24:


Da brauche ich vergleichende Statistik. Selber habe ich eher den Eindruck, in einem ruhigen Winkel der Erde zu leben.

Das kann schon sein, aber das hat Anna Lindh ja anscheinend auch geglaubt. Ich habe mittlerweile für einige der hier aufgestellten Behauptungen über die schwedische Psychiatrie unabhängige Bestätigungen gefunden, und auch sonst gibt es erstaunliche Meldungen, wonach gefährliche Verbrecher frei herumlaufen dürfen.

Man kann auch Tacitus zitieren, der neben den südschwedischen "Gotones" (Goten) und den mittelschwedischen Suiones (Svear, eigentliche Schweden) auch die "Fenni" erwähnt hat.

Das mag stimmen, aber es sagt nur, daß die Samen schon zur Zeit des Tacitus da waren, ebenso wie die Germanen. Das wollte ich ja gar nicht anzweifeln, es geht um die Frage nach der Urbevölkerung.

Das brauche ich nicht zu wissen, es reicht, dass das die Kulturgeographen und Archäologen festgestellt haben.

Mich interessiert gerade die Frage, mit wie guten Gründen sie das behaupten. Um noch eine weitere Frage anzuschliessen: In einem neuen Survival-Forum sind Sie bis zu der Behauptung gegangen, die Samen seien die Indianer Skandinaviens. Die Quelle müsste ich jetzt suchen, aber Sie erinnern sich vielleicht selbst. Wenn diese These richtig ist, müsste es ja archäologische Indizien für regelrechte Massaker germanischer Einwanderer an der samischen Urbevoelkerung Skandinaviens geben.


Meines Wissens wird eine derart dramatische Entwicklung nicht durch den archäologischen Befund nahegelegt. Ohnehin ist dessen Interpretation meist mehrdeutig, für Mitteleuropa 700-2000 n. Chr. würden Sie als Archäologe im 40. Jhdt vermutlich mehrere dramatische Veränderungen im Baustil oder bei den Begräbnisgepflogenheiten feststellen, denen keine Veränderung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung zugrundeliegt. Die Diskussionen über die Urheimat der Indogermanen scheinen ja seit Jahren (oder Jahrzehnten) hin und herzugehen, ohne daß man zu einem überzeugenden Ergebnis gelangt ist. Das ewige Hin und Her in dieser Frage verleitet mich zu einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber allen Behauptungen, die Arachäologie könne definitiv feststellen, wann die Samen und wann die Germanen nach Skandinavien gekommen sind.


Ich glaube, daß die Tendenz, mehr oder weniger überall die Indogermanen als Eindringlinge zu sehen, klar politisch motiviert ist. Beispielsweise besitze ich sowohl das praktische Langenscheidt-Lehrbuch Schwedisch und das praktische Langenscheidt-Lehrbuch Türkisch. Raten Sie mal, welches der beiden Lehrbücher sich lang und breit darüber ausläßt, daß die behandelte Sprachgemeinschaft nicht die Urbevölkerung des behandelten Landes ist. Ich glaube, es ist kein Zufall, daß diese Thematik in dem einen Fall an die große Glocke gehängt und in dem anderen Fall verschwiegen wird. Dabei dürften unsere Vorstellungen über die Geschichte Anatoliens im 2. Jahrtausend vor Christi Geburt sicher fundierter sein als über die gleichzeite Geschichte Skandinaviens.


Auch ganz absurde Behauptungen werden bisweilen vertreten, etwa sollen die Basken länger als jedes andere Volk Europas in ihrer jetzigen Heimat wohnen. Tatsächlich sprechen Vokabeln wie mendi - Berg und mendebalde - Westen ziemlich deutlich dafür, daß die Basken noch zu einer Zeit östlich der Pyrenäen lebten, als ihre Sprache bereits erheblich durch das Lateinische beeinflußt wurde. Meiner Meinung nach handelt es sich um rein politisch motivierte Mythen, die meist von Leuten in die Welt gesetzt werden, die kaum irgendein echtes Interesse an der Kultur oder der Sprache der betreffenden Völker haben. Wie weit verbreitet sind beispielsweise Kenntnisse des Samischen unter Linksintellektuellen, die auf der angeblich anti-samischen Politik Schwedens herumtrampeln?


Natürlich werden solche Mythen teilweise von Angehörigen kleinerer Völker in die Welt gesetzt, die damit ihre eigenen Interessen vertreten. Ein schönes Beispiel bietet der bekannte georgische Politiker S. Gamsachurdia. Mein Eindruck ist aber, daß es meist nicht um die Interessen diesr kleinen Völker geht, sondern um Bestrebungen sehr viel mächtigerer Interessengruppen, das Recht der indogermanischen Völker Europas auf Verteidigung ihrer Heimat gegen die Errichtung einer multikulturellen Gesellschaft zu bestreiten. Jedenfalls weist die auffallende Ungleichbehandlung von Schweden und Türken genau in diese Richtung.


In dieselbe Richtung paßt auch die manchmal anzutreffende Tendenz, praktisch alle toten europäischen Sprachen, über die wir wenig bis gar nichts wissen, als nicht-indogermanisch hinzustellen. Sowohl das Piktische, das Iberische, das Pelasgische, das Etruskische als auch das Minoische werden normalerweise als nicht-indogermanisch hingestellt, praktisch immer ohne zufriedenstellenden Beweis. Im Fall des Etruskischen steht anscheinend Meinung gegen Meinung. Die einen glauben, das Etruskische sei eine Ergativsprache gewesen und mit dem Georgischen verwandt. Die anderen behaupten, es sei eine indogermanische Sprache mit einem Nominativ-Akkusativsystem. Verfechter beider Thesen halten Lehrstühle an Universitäten, anscheinend reicht einfach das überlieferte Material nicht aus, um falsche Theorien über das Etruskische zu widerlegen. Im Fall des Minoischen habe ich mich auf dieser Seite schlau gemacht, die die Texte anscheinend vollständig in einer auf der Entschlüsselung von Linear B beruhenden Transkription bringt. Die meisten Texte sind offenbar Rechnungen und Listen. Mein Eindruck ist, daß man alle Linear A-Texte mit vermutlich finiten Verbformen an einem Nachmittag komplett auswendig lernen könnte. Wie man auf dieser schwachen Grundlage die oft kolportierte Behauptung belegen kann, die Sprache sei nicht indogermanisch gewesen, ist mir ein Rätsel. Der Göttername Asasara oder Jasasara soll angeblich eher auf eine Verwandtschaft zum Luwischen (oder wenigstens auf die Übernahme Luwischer Götter) hindeuten. Popularisiert wird aber eher die Behauptung, die Kreter seien Exoten gewesen. Im Fall des Piktischen, Iberischen und Pelasgischen scheinen unsere Kenntnisse noch dünner zu sein. Ich wäre nicht erstaunt (abgesehen von der Tatsache des Weiterlebens nach dem Tode), wenn mir der liebe Gott im Jenseits eröffnen würde, daß die meisten (wenn auch wahrscheinlich nicht alle) dieser Sprachen indogermanisch waren. In dieser Welt werden wir es wohl schwerlich herausfinden, und ich denke, dasselbe trifft auch für die Frage nach der Urbevölkerung Skandinaviens zu.


Gruss
JeFra


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