Re: Pest und Hygiene

Geschrieben von Swissman am 20. Januar 2004 01:55:51:

Als Antwort auf: Re: Pest und Hygiene geschrieben von IT Oma am 19. Januar 2004 10:59:30:

Hallo IT Oma,

Die Hygiene wurde erst miserabel, als die Kirche aus sittlichen Erwägungen die Badehäuser verbot.

Wie so vieles, was man gemeinhin über das "dunkle Mittelalter" zu wissen glaubt, ist auch das angebliche Verbot der Badehäuser nichts weiter als ein populäres Vorurteil: Es ist zwar anzunehmen, dass im Mittelalter eher weniger oft gebadet wurde als in der Römischen Antike, dies dürfte aber primär daranliegen, dass der Bäderbesuch vom Römischen Staat (für die Städter) massiv subventioniert wurde und in der Regel kostenlos war, während man im Mittelalter für gewöhnlich Eintritt bezahlen musste.

Wer es sich leisten konnte, verbrachte aber auch im Mittelalter recht viel Zeit im Badehaus - was sicherlich auch daran lag, dass es in den mittelalterlichen Badehäusern keine Geschlechtertrennung gab, und man selbstverständlich nackt badete. - *g*

Adel und vermögende Bürger verlegten ihre Festivitäten nicht selten ins Badehaus... Dies ging soweit, dass die Eidgenössische Tagsatzung ihre Sitzungen bis weit in die Neuzeit in Baden abhielt - Baden verfügte als einzige Stadt in der Eidgenossenschaft über Badehäuser, die gross genug waren, um darin alle Tagsatzungsteilnehmer unterzubringen und in entspannter Atmosphäre zu tagen.

Ohnehin waren die Sitten damals im allgemeinen erheblich lockerer, als man dies heute im Allgemeinen annimmt. - Das Baden kam erst in der frühen Neuzeit aus der Mode, und zwar in erster Linie, weil die damaligen Mediziner überwiegend der Ansicht waren, (zuviel) Wasser schade der Gesundheit... In der Aufklärung hat man die Schuld daran, wie so oft, der "bösen" Kirche zugeschoben (Es hat, um ein anderes Beispiel zu nennen, im gesamten Mittelalter auch nie ein ernsthafter Gelehrter behauptet, dass die Erde eine Scheibe wäre).

Bedauerlicherweise sind solche populären Irrtümer, obwohl längst widerlegt, bis heute sogar noch in Schulbüchern anzutreffen...

Es gibt übrigens inzwischen Zweifel daran, daß die verschiedenen Pestformen ausschließlich über den Rattenfloh übertragen wird.

Das stimmt insofern, als ein gewisser Prozentsatz der Pestinfizierten die Lungenpest entwickelt - wenn Yersinia Pestis sich in der Lunge eingenistet hat, kann der Erreger sich zusätzlich auch durch Tröpcheninfektion verbreiten.

Bricht die Pest im Anschluß an eine Naturkatastrophe aus, so werden die Folgen heutzutage womöglich noch schlimmer sein als damals, da die Menschenmassen viel größer sind, und bereits infizierte Rattenflöhe eben auch von Mensch zu Mensch überspringen.

Dem stimme ich zu: Vor drei oder vier Jahren gab es in den USA eine Bioterror-Übung. In der Übung ging man davon aus, dass Terroristen in einem Supermarkt Pesterreger in Aerosolform über die Klimaanlage freigesetzt hätten. Die Opfer würden in diesem Fall die Lungenpest entwickeln, womit die Seuche von Mensch zu Mensch übertragbar wäre. Den Supermarkt hatte man optimistischerweise in Texas lokalisiert, wo der Erreger unter wildlebenden Nagetieren endemisch ist. Daher infizieren sich dort pro Jahr im Schnitt zwei bis drei Menschen mit der Pest - die Symptome sind den dortigen Ärzten daher nicht ganz unbekannt, und die Spitäler halten geeignete Medikamente vorrätig.

Nun simulierte man im Computer die voraussichtliche Verbreitung der Seuche, wobei man stets von den optimistischsten Annahmen ausging. Nach rund drei Wochen brach man die Übung ab: Man hatte sämtliche in den USA vorrätigen Antibiotika verbraucht, und der Zähler stand bei ca 500'000 Infizierten in einem guten Dutzend US-Bundesstaaten, London und Tokyo. - Medizinisch hätte man im Ernstfall man von nun an faktisch nichts mehr tun können, um die Seuche einzudämmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man den Verkehr grossflächig unterbrechen und betroffene Gebiete unter strikte Quarantäne stellen müssen, um die Verbreitung der Seuche zumindest zu verlangsamen...

mfG,

Swissman


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