Brave New World...

Geschrieben von Nerwen am 18. Januar 2004 16:13:42:

Und wer jetzt noch Fragen zu Überwachung, Durchleuchtung, Gläsernen Kunden, oder ähnlichem hat, soll bitte schön aufwachen... wozu noch Chips? Klappt doch auch so schon bestens, und der Rest der Welt schaut fassungslos zu oder macht mit... Irgendjemand auf den Barrikaden? Proteste? Demos? Bürgerinitiativen? Boykottaufrufe? Brave New World! Auch ja noch viel Spass beim prophezeiungsspekulieren...

In LVX
Nerwen

Rasterfahndung über den Wolken (aus SpiegelOnline)

Jeder Amerika-Reisende wird von den US-Behörden schon bei der Flugbuchung überprüft - ein staatliches Überwachungsprogramm von bisher unbekanntem Ausmaß.


Als der Berliner Strafverteidiger Laszlo Mozgay vier Tage vor Weihnachten zu einem privaten Kurztrip in Atlanta, USA, landete, fühlte er sich, "als sei ich ein Verbrecher". Mit militärischem Kommandoton kontrollierte der Immigration-Officer Mozgays Visum ("Was wollen Sie hier?"), beorderte ihn zum frisch installierten Fingerabdruck-Scanner und raunzte, als der nicht funktionierte: "Drücken Sie stärker!" Erst als der rechte Zeigefinger sauber abgetastet und ein Foto geschossen war, durfte der überraschte Tourist passieren.

Vielflieger Mozgay ist den Amerikanern nun ein guter Bekannter: Seine Daten lagern in einer der zahlreichen Datenbanken zur Terrorbekämpfung, jederzeit abrufbar für einen Check auf Herz und Nieren durch die amerikanischen Behörden.


Was der ansonsten bestens über die Praxis der Ermittler informierte Strafverteidiger nicht ahnte: Schon vor der erkennungsdienstlichen Behandlung auf dem Airport hatten die US-Behörden die Gelegenheit, den Touristen aus Berlin intensiv unter die Lupe zu nehmen, inklusive Zugang zu der Nummer seiner Kreditkarte.

Weit gehend unbemerkt haben die amerikanischen Behörden bei der EU ein gewaltiges Überwachungsprogramm durchgesetzt, gegen das sich die deutsche Rasterfahndung wie ein harmloser Feldversuch von Informatikstudenten ausnimmt. Im Zuge des Kampfs gegen den Terror werden den US-Behörden künftig nahezu alle Informationen über Amerika-Reisende aus Europa zur Verfügung gestellt, die während der Buchung im Reisebüro anfallen (siehe Grafik). Darunter sind hoch sensible Daten bis hin zu freiwilligen Angaben des Fluggastes, etwa der Führerscheinnummer, oder internen Notizen des Reiseveranstalters ("Kunde tritt wiederholt aggressiv auf"). Während einige Airlines wie Alitalia den Zugriff bislang verweigern, gewährt die Lufthansa den US-Ermittlern bereits seit vergangenem März Einblick.

Von der speziellen Form der Datenkollekte, die dem Slogan "Miles and More" eine ganz neue Bedeutung gibt, sind pro Jahr rund 3,4 Millionen USA-Besucher aus Deutschland und eine weit höhere Zahl aus anderen europäischen Ländern betroffen. Mindestens dreieinhalb Jahre bleiben die Informationen gespeichert. Über den Wolken, so viel ist klar, ist die Freiheit längst nicht mehr grenzenlos.

Die Vereinbarung, auf deren Eckpunkte sich die EU-Kommission mit der US-Regierung kurz vor Weihnachten geeinigt hat, illustriert, wie unkontrollierbar internationale Politik in Zeiten der Globalisierung werden kann - erst recht, wenn sie im Zeichen des "Kriegs gegen den Terror" steht. Zwar haben sich die Amerikaner, die das Projekt als "historische Anstrengung" bezeichnen, verpflichtet, die Daten nur zur Bekämpfung von Terrorismus zu verwenden. Gemeint ist aber auch die Vorfeldaufklärung "damit verbundener" und "anderer ernsthafter Straftaten transnationaler Natur einschließlich der Organisierten Kriminalität" - ein Passepartout.

Auf was sich Passagiere künftig einstellen müssen, ließ sich erstmals an Weihnachten beobachten. Nach Terrorwarnungen stoppten die USA sechs Flüge von Air France nach Los Angeles. Eine Überprüfung der Passagierlisten hatte eine ältere chinesische Dame genauso verdächtig erscheinen lassen wie ein Kind, das wie ein gesuchter tunesischer Extremist hieß.

"Was mit den Daten in Amerika passiert, kann bisher niemand genau sagen", warnt deshalb der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Ein Vorhaben, das darauf basiert, alles von allen zu wissen, führt zwangsläufig auch zu Fehlern." Und sein schleswig-holsteinischer Kollege Helmut Bäumler kritisiert: "Die USA verhalten sich datenschutzrechtlich wie ein Schurkenstaat, wollen aber First Class mit Daten bedient werden."

Das ganze Ausmaß der Rasterfahndung über den Wolken dämmert mittlerweile auch den deutschen Parlamentariern. "Das geht weit über das vertretbare Maß hinaus", moniert der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler, und verlangt von der Bundesregierung, "das nicht einfach zu akzeptieren". Den eher hilflosen Appell kontert das zuständige Bundesinnenministerium mit dem Verweis, man habe selbst ja gar "keine Verhandlungen" geführt. Empört debattierten die Volksvertreter im Innenausschuss des Bundestags vergangene Woche, wie das Schlimmste noch verhindert werden könnte. Ergebnis: wohl gar nicht.

Mehr als "Schadensbegrenzung" sei nicht möglich gewesen, klagt der sozialdemokratische Vizepräsident des EU-Parlaments, Gerhard Schmid. Die Amerikaner führten sich "auf wie die Römer". Die EU-Kommission hält den Deal sogar für "angemessen", weil die USA Zugeständnisse etwa bei der Speicherungsdauer gemacht hätten. Bereits im Februar will die Kommission die Übereinkunft deshalb ohne weitere Abstimmung durchwinken.

Andere Länder beobachten genau, wie leicht der Zugang zu der Daten-Bonanza zu haben ist. Kaum hatte die EU-Kommission Zustimmung signalisiert, meldeten sich schon die nächsten Interessenten. Künftig wollen auch Kanada, Australien und Großbritannien alles über die Europäer wissen.

HOLGER STARK


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