Hirnforschung - keiner kann anders als er ist

Geschrieben von Erntemond am 10. Januar 2004 08:11:25:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (09.01.) (owT) geschrieben von Johannes am 09. Januar 2004 11:55:34:

Aber das heißt noch lange nicht, dass man nicht lernfähig ist. :-)

Hirnforschung
Keiner kann anders, als er ist

(Von Wolf Singer)

Entscheidungen sind das Ergebnis von Abwägungsprozessen, an denen jeweils eine Vielzahl unbewußter und bewußter Motive mitwirken. Diese legen gemeinsam das Ergebnis fest, sind jedoch in ihrer Gesamtheit kaum zu erfassen, weder vom entscheidenden Ich noch vom außenstehenden Beobachter. Hirnforscher behaupten, daß Entscheidungen vom Gehirn getroffen werden, also auf neuronalen Prozessen beruhen.....

.... Da die Evolution sehr konservativ mit Erfindungen umgeht, unterscheiden sich einfache und hochdifferenzierte Gehirne im wesentlichen nur durch die Zahl der Nervenzellen und die Komplexität der Vernetzung. Daraus folgt, daß auch die komplexen kognitiven Funktionen des Menschen auf neuronalen Prozessen beruhen müssen, die nach den gleichen Prinzipien organisiert sind wie wir sie von tierischen Gehirnen kennen....

.... Zur gleichen Schlußfolgerung zwingen entwicklungsbiologische Argumente: Die Ausdifferenzierung von Hirnstrukturen in der Individualentwicklung geht Hand in Hand mit der Ausbildung immer komplexerer kognitiver Fähigkeiten. Dies gilt auch für die mentalen Leistungen, die den Menschen auszeichnen....

...Alles Wissen über das ein Gehirn verfügt, residiert in seiner funktionellen Architektur, in der spezifischen Verschaltung der vielen Milliarden Nervenzellen. Zu diesem Wissen zählt nicht nur, was über die Bedingungen der Welt gewußt wird sondern auch das Regelwerk, nach dem dieses Wissen zur Strukturierung unserer Wahrnehmungen, Denkvorgänge, Entscheidungen und Handlungen verwertet wird. Dabei unterscheiden wir angeborenes und durch Erfahrung erworbenes Wissen. Ersteres wurde während der Evolution durch Versuch und Irrtum erworben, liegt in den Genen gespeichert und drückt sich jeweils erneut in der genetisch determinierten Grundverschaltung der Gehirne aus....

...Wichtig für die Beurteilung von Entscheidungsprozessen ist, daß genetisch vermitteltes Wissen impliziten Charakter hat, da wir uns an seinen Erwerb nicht bewußt erinnern können.. Das Gleiche gilt für früh Erlerntes, weil Hirnstrukturen, die für den Aufbau des deklarativen Gedächtnisses benötigt werden, erst spät ausreifen. „Deklaratives Gedächtnis“ bezeichnet die Fähigkeit, Erlerntes bewußt zu erinnern und den Kontext mit abzuspeichern, in den der Lernprozess eingebettet war. Kleine Kinder erwerben Wissen über die Welt, haben aber keine bewußte Erinnerung an den Lernvorgang. Wir sprechen von frühkindlicher Amnesie. Und so kommt es, daß nicht nur angeborenes Wissen sondern auch ein wesentlicher Anteil des durch Erziehung tradierten Kulturwissens den Charakter absoluter, unhinterfragbarer Vorgaben erhält, von Wahrheiten und unumstößlichen Überzeugungen, die keiner Relativierung unterworfen werden können....

Aus der FAZ





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