Analyse: Die Irakifada

Geschrieben von Swissman am 14. Dezember 2003 21:05:52:

Als Antwort auf: Frage ans Forum nach der Festnahme Saddams geschrieben von Gideon am 14. Dezember 2003 13:35:29:

Hallo Gideon,

welche Auswirkung wird die Festnahme Saddam Husseins auf den Irak und die Welt haben?

Grundsätzlich ist den USA heute ein propagandistisch und psychologisch bedeutender Schlag gelungen - die GI's werden momentan vor Selbstvertrauen und Zuversicht strotzen, vor allem aber wird die Unterstützung der US-Bevölkerung, die der eigentliche schwache Punkt der Amerikaner ist, deutlich steigen. Die Kritiker und Pazifisten werden es die nächsten Tage und Wochen erheblich schwerer haben.

Bezogen auf den Irak sollte man die Festnahme Saddams aber nicht überbewerten: Saddam war nur einer von mehreren Mitspielern. Natürlich wurde und wird ein Teil der Irakifada von Untergrundkämpfern der Ba'ath-Partei organisiert. Diese Leute haben sich während Saddams Herrschaft im Allgemeinen auf die eine oder andere Weise am irakischen Volk schuldig gemacht, d. h. sie könnten, selbst wenn sie es wollten, nicht mehr in ein bürgerliches Leben zurückkehren, sondern würden vor Gericht gestellt und ihrer gerechten Strafe zugeführt.

Ergo werden die Ba'ath-Kämpfer weiterkämpfen (müssen) - die bisherige Nummer Zwei in der Hierarchie, wer immer dies sein mag, wird die Führung übernehmen und den Kampf fortsetzen. Kurzfristig ist von dieser Seite sogar mit vermehrten Aktionen zu rechnen, um den USA vor Augen zu führen, dass sie noch lange nicht gewonnen haben. Die Durchführung von Anschlägen könnte in den nächsten Tagen durch nachlassende Wachsamkeit der UE-Truppen sogar noch erleichtert werden.

Mittelfristig werden aber die Ba'ath-Partei und die ihr unterstellten Organisationen zusehends an Einfluss verlieren: Die Untergrundkämpfer erleiden ihrerseits ja ebenfalls personelle Verluste. Ausserhalb der Ba'ath-Partei trauert aber kaum jemand Saddams Regime nach, sodass die Partei mit Sicherheit erhebliche Rekrutierungsprobleme hat - die Gegner der USA sind im Irak zwar zahlreich, schliessen sich aber lieber anderen Gruppen an (Für diese Kreise ist Saddams Verhaftung aber völlig irrelevant und wird an ihrem Kurs nicht das geringste ändern).

Dieser Trend dürfte sich durch Saddams unrühmliches, unehrenhaftes Ende sogar noch verstärken: Saddam hatte heute die Wahl, sich zu ergeben und sich vor Gericht zu verantworten, oder Widerstand zu leisten und mit der Waffe in der Hand zu sterben. Im zweiten Fall wäre er zum Mythos geworden, der in der gesamten arabischen Welt weit über den Tod hinaus verehrt worden wäre und den irakischen Untergrund inspiriert hätte. - Im Unterschied zu seinen Söhnen hat Saddam sich für ein (kurzes) Leben in Schande entschieden. Ich hätte Saddam eigentlich mehr Ehrgefühl und Mut zugetraut...

Als erstes werden die US-Geheimdienste sich um Saddam kümmern und versuchen, wertvolle Informationen aus ihm zu extrahieren, später wird man ihm den Prozess machen - wahrscheinlich vor einem irakischen Gericht. Dass das Gericht die Todesstrafe verhängen wird, ist unausweichlich, ebenso die anschliessende Urteilsvollstreckung. Die einzige Möglichkeit, wie er jetzt noch etwas gut machen kann, besteht darin, im Prozess eine gute Figur zu machen.

In dem Masse, in dem die Ba'ath-Partei endgültig erlischt, werden andere Gruppierungen an ihre Stelle treten: Osama bin Laden selbst hat in seinen Bändern wiederholt betont, dass er alles tun werde, um die Iraker gegen die USA zu unterstützen - man darf diese Aussagen ruhig glauben! Bereits jetzt konstatiert man das Einsickern von wahhabitischen Extremisten, deren Aktivität zusehends zunimmt.

Teilweise arbeiten dies Gruppierungen unabhängig, zum Teil tun sie sich mit einheimischen Untergrundgruppen zusammen, die die gleichen oder ähnliche Ziele verfolgen. Hier ist namentlich die Gruppe Ansar al-Islam zu nennen, die sich nach der Neutralisierung ihrer nordirakischen Stützpunkte reorganisiert hat und nunmehr landesweit aus dem Untergrund operiert.

Wenn die Besatzung allzulange dauert, wird irgendwann auch die Geduld der Schiiten erschöpft sein, und es wird auch von dieser Seite aus zu bewaffneten Aktionen kommen, was bislang überhaupt nicht der Fall ist. Wenn dies eintritt, dann beginnen die Probleme der Amerikaner überhaupt erst richtig! - In diesem Zusammenhang sollte man vor allem die Leute um den vergleichsweise radikalen Prediger al-Sadr im Auge behalten.

Nicht vergessen darf man auch die irakische Kommunistische Partei. Diese galt einst als stärkste KP im gesamten arabischen Raum. Es wird Saddams bleibendes Verdienst vor der Geschichte sein, dass er die Strukturen der KP im Irak weitgehend zerschlagen und deren Mitglieder mit der nötigen Strenge bestraft, bzw. ins Exil getrieben hat. Seit Saddams Entmachtung sind jedoch viele rote Exilanten in den Irak zurückgekehrt, wo sie ihr möglichstes tun, um die KP wiederaufzubauen - als angebliche "Freiheitskämpfer gegen Saddam" werden sie dabei durchaus einen gewissen Erfolg erzielen. Unglücklicherweise ist es der KP sogar gelungen, mit Hamid Majid mindestens einen Vertreter in die provisorische Regierung einzuschleusen.

Spätestens KyroxX' Spendenaufruf beweist überdies, dass die KP ebenfalls bewaffnete Aktionen durchführt, oder dies zumindest vorbereitet.

Dies sind in etwa die wichtigsten Gruppierungen im irakischen Untergrund, zweifellos gibt es neben diesen aber noch andere Gruppen und Grüppchen, deren militärische Potenz aber, zumindest im Moment, für grössere Aktionen kaum ausreichen dürfte. Ein gewisser Teil der Aktionen wird zudem auch auf bewaffnete Einzelpersonen zurückgehen: Es ist beispielsweise für eine Einzelperson durchaus möglich, aus dem Hinterhalt ein paar gezielte Schüsse abzugeben und dann unerkannt zu verschwinden. Insgesamt sind dies aber bloss Nadelstiche, die an der Gesamtsituation wenig bis gar nichts zu ändern vermögen.

mfG,

Swissman


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