Ut unum sint (mal wieder)
Geschrieben von franke43 am 05. November 2003 09:29:27:
Als Antwort auf: Putin besucht Papst am Mittwoch geschrieben von Hubert am 05. November 2003 08:49:53:
Hallo Hubbi
Mal abgesehen vom Vorzeichencharakter, den ein Papstbesuch in
Russland hätte, sollte Putin die Einladung doch noch aussprechen:Das Kirchenschisma 1054 war eigentlich nur die letzte amtliche
Bestätigung eienr Trennung, die damals bereits jahrhundertelang
existiert hat. Die Trennung war schon zu der Zeit vorgezeichnet,
in der das Römische Reich noch existierte:Von Anfang an war das römische Reich in ein Ostreich und ein
Westreich geteilt. Beide Reichsteile wuchsen durch die
ständigen Eroberungen parallell und dann auch zusammen und
standen unter der gleichen weltlichen Herrschaft. Aber da
war ein wichtiger Unterschied.Zwar waren die Römer überall die "Herren im Stall", aber in
den östlichen Eroberungen herrschte der Hellenismus und die
griechische Sprache vor, in den westlichen Eroberungen
breitete man sich auf Kosten von "Naturvölkern" aus, die
nur unvollständig lesen und schreiben konnten. Es war ein
Unterschied, ob man seine militärischen Erfolge gegen
keltische Iberer, Gallier oder Briten errang oder gegen
hellenisierte und der griechischen Sprache und Schrift
mächtige Epirioten, Makedonen, Griechen oder Syrer.Die westliche Reichshälfte wurde "latinisiert", die östliche
nicht. Die lateinische westliche Reichshälfte zerfiel unter
dem Germanenansturm ab 376 zusehends, und hundert Jahre
später setzte der Skire Odoakar unter den Zusammenbruch
der weltlichen Macht "Westrom" einen symbolischen Schluss-
strich. Der besser organisierte griechische Osten konnte
sich als weltliche Macht trotz Misserfolgen gegen die Hunnen
als politisch handlungsfähige Einheit retten und nach dem
Zusammenbruch der Ostgotenherrschaft in Italien für kurze
Zeit sogar das Mutterland zurückerobern.Hier fand eine wichtige Weichenstellung statt:
Der oströmische Kaiser Justinian teilte nach der Rückeroberung
von Italien mit, dass ein Westimperator nicht mehr eingesetzt
würde und dass das alte Mutterland in Zukunft als Provinz
("Exarchat Ravenna") unter anderen Provinzen vom zweiten
Rom (Konstantinopel = Istanbul) aus regiert werden würde.
Eventueller Widerstand des alten Mutterlandes kam nicht
mehr zum Tragen, da die Oströmer kurz danach Italien wieder
an die Germanen verloren, nämlich an die Langobarden.Das alles hatte in Summe dazu geführt, dass die weltliche
Macht im Westreich nicht mehr zu eigener Grösse fand, und
nach dem neuerlichen Verlust von Italien an die Langobarden
wurden im verbliebenen Ostreich wichtige innenpolitische
Weichen gestellt:Man ging endlich und endgültig vom römisch-lateinischen
Erbe ab und besann sich auf die griechische Vergangenheit:
Aus "Ostrom" wurde "Byzanz". Lateinisch wurde auch als
Amtssprache kaum mehr verwendet, allerdings war das
Griechisch des byzantinischen Reichs stark mit lateinischen
Lehnwörtern für den juristischenn, den staatlichen und den
militärischen Bereich (die Stärken der alten Römer)
durchsetzt.Derselbe Justinian, der dies anordnete, versuchte aber
auch die letzten Reste "lateinischer" Gesinnung in Byzanz
zu retten, indem er die römische Rechtslehre sammeln liess
(Corpus Iuris Justinianum).Was hat das alles mit dem Kirchenschisma und mit heute zu tun ?
Ganz einfach:
Im Westen war die weltlich-politische Macht in Rom verwaist.
Der Bischof von Rom, zugleich Nachfolger von Petrus, erhielt
dadurch den Freiraum, auf dem Boden des lateinischen West-
reichs den Augustinischen "Civitas Dei" als Ersatz für die
verlorene weltliche Staatsmacht auszurufen. Die alles
zusammenhaltende Klammer wurde die Westkirche, die zur
lateinischen Sprache übergegangen war und keiner weltlichen
Aufsicht unterstand. Durch die geistliche Herrschaft über
die christianisierten Völkerwanderungsgermanen sollte mit
anderen Mitteln die Oberhoheit Roms - jetzt als Gottesstaat
verstanden - wiedererrichtet werden.Im griechischen Osten war die Kirche bei der Sprache der
Evangelien und der Gemeindebriefe geblieben. Die weltliche
Macht des Kaisers blieb erhalten. Da auch der Kaiser
orthodox war, und da sich kein Metropolit auf die Nachfolge
Petri und auf Augustinus berufen konnte, wurde in Anlehnung
an die römische Kaisertradition der weltliche Herrscher
zugleich "Beherrscher der Gläubigen" (Pontifex maximus),
also Oberhaupt auch der Kirche.Russland wurde von Byzanz aus missioniert, und als Byzanz
(= Konstantinopel = Istanbul) 1453 an die Türken fiel,
wurde Moskau zum "Dritten Rom" ausgerufen. Der russische
Zar wurde damit in den Ostkirchen der neue "Beherrscher
der Gläubigen" und "Amtsnachfolger" des byzantinischen
Kaisertums, da der muslimische türkische Kaiser als
solcher nicht in Frage kam. Der war ja schon der Beherrscher
der Gläubigen im Islam.Eigentlich war es erst die neue vakante Rolle des
byzantinischen Kaisertums, die die Einigung Russlands
unter einem einzigen Zaren vorantrieb, denn nun konnte
einer der russischen Grossfürsten diesen vakanten Titel
usurpieren und für sich beanspruchen und sich damit
über die anderen Grossfürsten erheben. Es ergab sich
(wie genau weiss ich nicht), dass die neue politische
Führungsrolle der russisch-orthodoxen Welt nicht dem
Grossfürstentum Nowgorod zufiel, das der Mongolen-
herrschaft getrotzt hatte, sondern dem Grossfürsten-
tum Moskau. So wurde erst der hier schon öfters
erwähnte Iwan "der Schreckliche" zum ersten Zaren
über ganz Russland (damals noch ohne Sibirien).Wir sehen:
Die heutigen Konflikte reichen indirekt bis in die Zeit
der Entstehung des römischen Reichs zurück, nicht etwa
erst in dessen Zusammenbruchsphase oder gar erst bis
1054.Gruss
Franke
- Sehr schön zusammengefasst, Danke ! (o.T.) Nexus 05.11.2003 12:23 (0)