"Inwiefern die Fürsten ihr Wort halten sollen"
Geschrieben von Swissman am 26. Oktober 2003 01:17:30:
Als Antwort auf: Neue Spionage-Angriffswelle rollt geschrieben von King Henry am 25. Oktober 2003 19:35:35:
Hallo Henry,
>Dabei hatten die Russen versprochen, keine Spione mehr nach Deutschland zu schicken. Nun ist die deutsche Abwehr beunruhigt. Sie registriert eine neue "Spionage-Angriffswelle" aus dem Osten.
Offensichtlich hat man in der Abwehr noch nie Nicolò Machiavelli's "Il principe" gelesen. Im Kapitel XVIII, das er mit "Inwiefern die Fürsten ihr Wort halten sollen" betitelt, liest man nämlich:
"Ein kluger Herrscher kann und soll sein Wort daher nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereicht und die Gründe, aus denen er es gab, hinfällig geworden sind. Wären alle Menschen gut, so wäre dieser Rat nichts wert; da sie aber nicht viel taugen und ihr Wort gegen Dich brechen, so brauchst Du es ihnen auch nicht zu halten."
Auch wenn es niemand zugeben mag: So gut wie jeder Staat handelte und handelt, bewusst oder auch rein instinktiv, nach Machiavelli's Lehre. Daher ist es sinnvoll, stets davon auszugehen, dass die Gegenseite Machiavelli gelesen (und verstanden!) hat, und sein Handeln entsprechend auszurichten. - Wenn man in der Führung der Abwehr dem russischen Versprechen tatsächlich auch nur eine Sekunde lang Glauben geschenkt haben sollte, dann wäre dies der Beweis, dass die Verantwortlichen ihren Beruf verfehlt hätten und ersetzt werden müssen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass (wieder einmal) die Politiker den Profis ins Handwerk gepfuscht haben, in der irrigen Meinung, selbst mehr davon zu verstehen.
Solche Versprechen zu geben, ist vom russischen Standpunkt aus durchaus richtig und daher völlig normal - was natürlich nicht heissen soll, dass man sich auch tatsächlich daran hält: Das Versprechen kostet ja nichts und man kann dadurch nichts verlieren. Hingegen kann an einiges gewinnen, wenn der "Vertragspartner" dumm genug ist, darauf hereinzufallen.
Sinnvollerweise hätte man von deutscher Seite her vorgegeben, dem Versprechen Glauben zu schenken und selbstverständlich eine gleichlautende Zusage gegeben, die natürlich nicht das Papier wert wäre, auf das es geschrieben wurde. Hingegen hätte man das russische Versprechen zum Anlass nehmen sollen, die Aktivitäten der Spionageabwehr zu vervielfachen.
mfG,
Swissman