Re: @HotelNoir: Freier Wille

Geschrieben von JeFra am 21. September 2003 21:59:05:

Als Antwort auf: Re: @HotelNoir: Freier Wille geschrieben von HotelNoir am 21. September 2003 08:13:39:


Assymetrien kann man als den freien Willen der Natur definieren. Sie sind überall vorhanden und folgen keiner Gesetzmässigkeit. Sie können mit einer krummen Nase geboren worden sein, obwohl alle ihre Vorfahren flache Nasen hatten.

Sie scheinen unter `Assymetrie' so etwas wie eine spontane Mutation zu verstehen. Ich habe erhebliche Zweifel daran, ob man die Evolution durch spontane Mutationen nach dem Zufallsprinzip erklären kann, wie der Neodarwinismus das versucht. Mutationen mit selektionspositiver Wirkung könnten einfach zu selten sein. Aber das ist schon ein anderes Thema.


Als Einwand gegen den freien Willen taugen spontane Mutationen natürlich nicht. Natürlich schränkt mein Genotyp meine Fähigkeiten in gewisser Weise ein. Daß ich ein hundsmiserabler Sportler bin und nicht zeichnen kann (abgesehen vielleicht von Kunstwerken wie `Quadrat auf blauem Grund'), hat vermutlich wenigstens teilweise mit meinem Genotyp zu tun. Unter `freiem Willen' scheint man aber nicht zu verstehen, daß man alles schafft, was man sich vornimmt. Als Einwand gegen unsere Verantwortlichkeit für unser Tun und Lassen taugen derartige Einschränkungen unseres Handlungsspielraumes natürlich nur begrenzt, nämlich nur in Situationen, wo es nicht in unseren Kräften steht, das Richtige zu tun.


Mein Bewusstsein ist mehr durch Mystik geprägt

Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich habe mal Meister Ekkehart gelesen, aber der scheint sich zur Evolution nicht zu äußern. Einige seiner Predigten sind sicher sehr eindrucksvoll, aber mir ist diese Sichtweise nun mal nicht in die Wiege gelegt.

... Gang und Gäbe, zwischen Gehirnimpuls und Bewegung zu unterscheiden.

Das ist natürlich richtig. Aber es ging mir um die Äußerung: "Wir sind die letzten, die erfahren, was unser Gehirn vorhat." (so wörtlich in Ihrem Beitrag, die Übersetzung aus dem Amerikanischen hat wohl irgendein Wissenschaftsjournalist besorgt). Da ging es nicht um Gehirnimpuls und Bewegung, sondern um `Ich' (als Singular zu `Wir') und `mein Gehirn'. Ich finde, wenn man das `Ich' mit dem Gehirn identifiziert (und das scheinen die meisten der auf diesem Gebiet tätigen Neurobiologen zu tun), so sollte man sich nicht einer derartigen Terminologie bedienen.


Es ist ohnehin klar, daß die Bewegung in vielen Fällen nicht durch das Bewußtsein gesteuert wird. Wenn ich diese Zeilen tippe, erfolgt beispielsweise die Bewegung meiner Finger weitgehend automatisch. Selbst das Rückenmark scheint einen hohen Grad an Autonomie zu besitzen. In Frankreich soll es (anscheinend relativ gut beglaubigt) Fälle gegeben haben, in denen der Rumpf eines Guillotinierten versucht hat, aus dem Korb zu klettern. Wenn Sie jemandem sagen `Krümme deinen Finger in den nächsten 10 Sekunden', so mag auch das einen unbewußten Mechanismus auslösen. Aber all das spricht natürlich nicht dagegen, daß das Bewußtsein im Normalfall eine grobe Kontrolle über die unbewußte Steuerung der Motorik durch das Gehirns und das Rückenmarkes hat. Ich würde für mich persönlich sagen, bevor ich reißerischen Formulierungen wie "Neurobiologisch gesehen gibt es keinen Raum für Freiheit" glaube, sollen mir die Wissenschaftler genauer erklären, was sie da überhaupt gemessen haben.


Für das Argument, das BBouvier gebraucht, ist ohnehin die in diesem Sinne verstandene Frage der Willensfreiheit nicht sehr relevant. Auf die Warnung `Ändere dich, oder ...' reagieren eben die meisten Menschen mit Versuchen, sich zu ändern, sofern das im Weigerungsfall Angedrohte schlimm genug und die Drohung glaubwürdig ist. Allerdings können menschliche Schwächen derartige Abwendungsversuche vereiteln, man denke nur an das Problem der Gewichtsreduktion oder der Entwöhnung vom Rauchen. Was die Neurobiologen meinen, ist wohl, daß sie das physikalisch erklären können (und auch da habe ich meine Zweifel), aber nicht, daß es diese menschliche Verhaltensweise nicht gibt. Wenn man Prophezeiungen über Dinge ausklammert, die ihrer Natur nach (Asteroideneinschlag) oder auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit (Stop des sittlichen Verfalls des Westens, bevor es knallt) unabwendbar sind, können diese biologischen Untersuchungen keine Gegenargumente gegen BBouviers These liefern. Natürlich bleibt immer noch das Gegenargument von franke43 (die Prophezeiung kann sich gerade durch die Vermeidungsversuche erfüllen).


MfG
JeFra


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