...in deutsch aus DIE WELT
Geschrieben von Andrei am 26. März 2003 18:28:26:
Als Antwort auf: bei mir schon, aber ich versteh mal wieder nix geschrieben von Cattya am 26. März 2003 13:39:27:
DIE WELT online
"Kein Wort davon, dass wir gerade angegriffen werden"
Er ist 29 Jahre, kommt aus Bagdad und schreibt ein Internet-Tagebuch. Niemand weiß, wer Salam Pax ist, doch seine Notizen haben ihn bereits berühmt gemacht. Auszügevon Übersetzt und editiert: C.Barnsteiner, S.Garbers, F.Müller
Dienstag, 11. Februar, 1.34 Uhr - Sehr schlechte Internetverbindung in den letzten beiden Tagen. Plötzlich geht es dann wieder für zehn Minuten. Erinnern Sie sich an die Zeit vor dem letzten Golfkrieg? All diese großen Reden? "Wir haben es auf diplomatischem Wege versucht, aber blablabla"? Genauso ist es jetzt. Es ist wie die "Wiederholung eines schlechten Films", von der Bush in einer seiner Reden sprach. Glauben Sie mir: Ich will das nicht noch mal durchmachen. Ich will nicht noch einmal dabei zusehen, wie ein Bush die Zauberflöte herausholt und die ganze Welt hinter sich schart. Morgen ist Adha Eid, das islamische Opferfest. Die Straßen sind überfüllt, die Menschen kaufen Leckereien für die Kinder. Meine Eltern feiern in ihren Familien auf unterschiedliche Weise. Ich muss mich noch entscheiden, wohin ich zum Mittagessen gehe, nach dem großen Gebet in der Moschee. Da werde ich aber nicht dabei sein. Ich brauche ein paar Extrastunden Schlaf.
Wahrscheinlich aber werde ich den ersten Festtag bei der Familie meiner Mutter verbringen. Das Essen ist einfach besser. Es gibt das gefüllte Lamm von Abu-Karam, unserem Lieblingslieferanten. Wie immer wird er vorbeischauen, weil er wissen will, ob sein Gericht gut bei den Gästen ankommt. Außerdem garantieren rund 30 Leute und vier Generationen eine gute Party. Wunderbar. Der Krieg wird einfach warten müssen. Sonntag, 16. Februar, 3.45 Uhr Es war diesmal einfach, die Sitzung des Sicherheitsrats im Fernsehen zu sehen. Man musste nur einen der 4000 Iraker kennen, die die 14 staatlich genehmigten Satellitenkanäle empfangen können. Das syrische Fernsehen übertrug die Sitzung live, mit Übersetzung. Die meisten hier verfolgten sie aber über Radio Monte Carlo. Wenn überhaupt. Ich half heute meiner Mutter beim Einpacken der Sachen. Eigentlich wollen wir Bagdad nicht verlassen, wenn "es" geschieht. Aber vielleicht geht es nicht anders. Wir sind sehr gute Einpacker. Die schlechtesten sind die gefühlvollen: Die Oh-wann-habe-ich-dieses-schöne-Ding-nochmal-gekauft-Einpacker. Wir dagegen packen kaltblütig. Wir haben das schon so oft gemacht. Freitag, 21. Februar, 19.17 Uhr Das Wetter spielt verrückt, sehr farbenfroh alles. Wir hatten regenwolkengrau, sonnengelb und wüstensandrot. Der Mond nimmt jetzt ab. Die meisten Leute denken, wenn bald etwas passiert, dann in den dunkelsten Nächten. Wir werden sehen Ein Leser fragte mich, warum ich die "Human Shields"-Leute so fertig mache. Nun, ich mag die Idee der ganzen Sache nicht. Eine der letzten Gruppen, die hier in Bagdad ankamen, wurden im Rasheed Hotel willkommen geheißen. Das exklusivste und teuerste Hotel der Stadt. Es gibt viel lustiges Arabisch dieser Tage wegen all der Human-Shields-Leute. Ein Lieferwagen war bedeckt mit "No War"-Schriftzügen, in tausend verschiedenen Sprachen. Der größte in Arabisch: "La Harba", was falsch ist. Es klingt wie ein Nachtclub. Aber was mich wirklich wahnsinnig machte war, als ich herausfand, dass sie Essensgutscheine kriegen, 15 000 Dinar pro Mahlzeit, drei am Tag. Wisst ihr, wie hoch die monatliche Essensration für eine vierköpfige Familie ist? Für einen ganzen Monat, nicht für eine Mahlzeit? 30 000 Dinar. Ich werde aufhören, sie Touristen zu nennen, wenn sie aufhören, sich von der irakischen Regierung verhätscheln zu lassen. Sonntag, 9. März, 18.43 Uhr. Ein BBC-Reporter, der über den Büchermarkt ging, beendete seinen Bericht mit den Worten: "Die Iraker geben sich den Anschein von Normalität." Was wird denn von uns erwartet? Dass wir heulend durch die Straßen rennen? Ahhhhhh, der Krieg steht vor der Tür!? Aber um die BBC nicht zu enttäuschen, haben Raed, G. und ich unsere normalen Gesichter aufgesetzt und sind CDs kaufen gegangen. Raed versuchte, meine Normalität kaputtzumachen, indem er mich darauf hinwies, dass ich mein Geld verschwende, weil es keinen Strom für den CD-Player geben wird. Ich habe fünf CDs gekauft. Vielen Dank an dieser Stelle an die malaysischen Raubkopierer. Andere normale Dinge, die wir diese Woche getan haben: "Partikel-Masken" (so steht es auf der Schachtel) gekauft. Die sollen wir tragen, wenn die Gräben mit dem Öl brennen. Die Masken könnten möglicherweise verhindern, dass unsere Lungen Teergruben werden. Montag, 17. März, 8.48 Uhr. Die begehrtesten Artikel neben den "Partikel-Masken" sind Ohrstöpsel. Sie sind überall ausverkauft, man muss sie vorbestellen. Mittwoch, 19. März, 23.32 Uhr Vor ein paar Wochen haben sich einige Reporter aufgeregt, weil wir unser normales Leben weiter führen. Heute ist das anders. Sehr beunruhigend. Der Dinar ist auf einem neuen Tiefstand: 3100 Dinar für einen Dollar. Geschlossene Geschäfte überall. Nicht einfach geschlossen, sondern mit-Blechplatten-zugeschweißte-Türen-geschlossen oder Fenster-zugemauert-geschlossen. Raed, G und ich haben uns zu unserem letzten gemeinsamen Essen getroffen. Das Radio spielt pausenlos Kriegssongs aus den 80ern. Durch Bagdad zu fahren und Lieder wie "Wir werden bei dir sein bis wir sterben, Saddam" mitzusingen, ist plötzlich doch ein bisschen zu viel. Wir hatten uns nie viele Gedanken drüber gemacht, aber in diesen Tagen klingen diese Texte unheimlich. Es ist noch nicht viel Militär auf den Straßen, doch das wird sich nach Ablauf des Ultimatums wohl ändern. Die Preise steigen und steigen. Nicht nur wegen der Abwertung des Dinar, sondern weil es keinen Nachschub gibt. Nur die kleinen Läden sind noch offen.
Und wenn man nach Syrien abhauen will, kostet der Trip 60 Dollar, statt wie bisher 50. Es ist jetzt billiger, hier zu bleiben. Die Büros, die Reiseerlaubnisse erteilen, sind ohnehin verriegelt. Es riecht nach Sandsturm. Donnerstag, 20. März, 12.21 Uhr So habe ich Bagdad noch nie gesehen. Seit heute haben die Leute von der Baath-Partei ihre Plätze in den Gräben, an den großen Kreuzungen eingenommen. Komplett bewaffnet und frisch rasiert. Sie sehen viel zu sauber und gekämmt aus, um irgendetwas zu verteidigen. Das Schlimmste aber sind die Kinder unter ihnen. Sie können nicht älter als 20 sein, sitzen in Gräben, schlürfen ihre Miranda und essen Schokolade. Das Ultimatum endet um vier Uhr in der Nacht. Und die große Frage ist, wann der Angriff beginnt. Die syrische Grenze ist jetzt für Iraker geschlossen.
Heute im irakischen Fernsehen: Ein Interview mit dem Innenminister. Ich habe den Ton abgestellt. Ich will nichts hören.
5.46 Uhr Die Sirenen in Bagdad geben Luftalarm. Aber die einzigen Geräusche, die zu hören sind, stammen von der Luftabwehr.
6.40 Uhr Noch immer ist nichts passiert in Bagdad. In der Ferne hören wir Explosionen. Keine Entwarnung.
16.28 Uhr Das war jetzt wirklich unerwartet. Als die Sirenen weiter heulten, dachten wir, dass jetzt Tonnen von Bomben über unseren Köpfen abgeschmissen werden. Aber nichts passierte. Jedenfalls nicht dort, wo ich lebe. Am Morgen haben wir Saddams Rede im TV gesehen. Er hatte tatsächlich gedichtet!!!!!!!
22.33 Uhr Die Bombardierung kommt und geht in Wellen. Nicht allzu schlimm und nichts im Vergleich zu 1991. Alle Radio- und TV-Stationen senden noch. Während der Luftangriff begann, sendete das irakische TV patriotische Lieder. Kein Wort davon, dass wir gerade angegriffen werden. Jetzt wiederholen sie das Interview mit dem Innenminister. Wir haben zwei sichere Räume. In einem laufen internationale Programme, in dem anderen ist irakisches Fernsehen an. Alle wartenwartenwarten. Wir haben gerade einen Rundruf bei unseren Freunden gemacht. Sie brauchen Informationen. Irakisches Fernsehen sagt nichts, zeigt nichts. Wozu sind patriotische Songs gut, wenn die Bomben fallen? Freitag, 21. März, 15.13 Uhr Die verstörende Nachricht heute kam von Al Dschasira. Sie sagten, dass neun B52-Bomber Großbritannien verlassen haben und "voraussichtlich" Richtung Irak fliegen würden. Als ob es um eine Runde mal kurz um den Block ginge. Sie brauchen sechs Stunden, um hierher zu kommen.
Letzte Nacht war es sehr ruhig in Bagdad. Heute morgen ging ich raus, um Brot und Gemüse zu kaufen. Die Straßen sind leer, nur Bäckereien und Gemüseläden sind geöffnet - und verlangen den vierfachen Preis. Der Bäcker erzählte mir, dass sie ihre Läden öffnen müssen und jeden Tag Mehl gebracht bekommen. Fleisch zu kaufen ist nicht sicher, weil man nicht weiß, wo es her kommt. Egal, wir haben frische Tomaten gekauft und Zucchini für 1000 Dinare das Kilo. Normalerweise würde es 250 kosten. Und was am verwunderlichsten war: Das Müllauto kam heute.
Wir haben Irak-TV gesehen und den erschreckenden Auftritt des Innenministers, mit seinen Gewehren. Freaks. Die Welt zu beschimpfen, das ist das einzige, was ihnen noch geblieben ist. Auf BBC sahen wir, wie Iraker sich ergaben. Mein jüngster Cousin murmelte "was für eine Schande". Es ist besser für sie, aber zu sehen, wie sie diese weiße Flagge tragen, lässt etwas tief in dir erschauern.
18.05 Uhr Noch zwei Stunden, bevor die B52-Bomber den Irak erreichen. 22. März, 16.30 Uhr.
Vor einer halben Stunde wurden die Ölgräben in Brand gesteckt. Auf "Al Dschasira" sagten sie, dort seien bei der letzten Attacke Bomben eingeschlagen, aber meine Cousine meinte, sie hätte Polizisten beim Legen der Brände gesehen. Wir haben im Fernsehen schreckliche Bilder gesehen. Es sah aus, als würde die ganze Stadt brennen. "Warum geschieht das mit Bagdad?", konnte ich nur denken. Als eines meiner Lieblingsgebäude explodierte, war ich den Tränen nahe. Heute sind mein Vater und mein Bruder hinausgegangen, um sich in der Stadt umzusehen. Sie sagten, dass die Ziele sehr genau getroffen werden. Aber die Bomben und Raketen richten auch in der Nachbarschaft Verwüstung an. Die Häuser neben dem Al-Salam-Palast hatten kaputte Fensterscheiben, ein Dach war eingestürzt. Ich denke, das nennt man Kollateralschaden. Ist es deshalb in Ordnung? Wir machen uns Sorgen um die nächsten Angriffe. Und über die Rauchschwaden an unserem Himmel. 23. März, 20.30 Uhr Nachdem wir vom Start der B52-Bomber gehört hatten, begannen wir die Stunden zu zählen. Am ersten Tag der Bombardements waren sie pünktlich. Gestern waren wir ein bisschen überrascht, dass nach sechs Stunden nichts geschah. Heute sind die B-52-Bomber um 15 Uhr abgehoben. In einer halben Stunde werden wir wissen, ob es heute wieder Bagdad trifft.
Heute Vormittag bin ich mit meinem Cousin in der Stadt gewesen. Es ist viel los auf den Straßen. Der Laden in der Nähe unseres Hauses ist jetzt fast leer. Die Gemüseverkäuferin sagte, wenn schon Umm Qasr so schwierig zu kontrollieren ist, was passiert dann in Bagdad? Der Krieg wird noch hässlicher werden. Die Rauchsäulen haben Bagdad eingekreist. Wir werden einige sehr dunkle Tage erleben. Wir haben immer noch Strom, andere Bezirke nicht mehr. Die Wasserleitungen und die Telefone funktionieren. Noch.
Artikel erschienen am 26. Mär 2003
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- Re: Und hier noch 'ne Email aus Bagdad XI 26.3.2003 18:40 (1)
- Interessant! Andrei 26.3.2003 20:09 (0)