Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns.
Geschrieben von Andreas am 05. März 2003 20:47:48:
http://www.zeit.de/2003/10/Schlossp_schule
10/2003
TATORT SCHULE
Dresche von Herzen
Wer an der Schlossparkschule in Stadthagen Geburtstag hatte, dem wurde ins Gesicht geschlagen oder in den Rücken getreten. 36 Schüler stehen nun vor Gericht, die meisten sind Türken. Die Geschichte einer misslungenen Integration
Von Roland Kirbach
Wie ein Tatort sieht die Schlossparkschule Stadthagen wirklich nicht aus. Sie macht, im Gegensatz zu vielen anderen Schulen, einen sauberen, gepflegten, fast spießigen Eindruck. Und sie vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Regelmäßig dreht hier ein älterer Streifenpolizist seine Runden, Herr Lichtblau mit Namen, von den Schülern Blaulicht genannt. Am Eingang der Haupt- und Realschule wacht ein Hausmeister in einer verglasten Pforte, von hier aus hat er alles im Blick – den Schulhof, die davon abgehenden Altstadtgassen und nach drinnen den langen Flur. Der an eine Toilettenwand gekritzelte Satz „Ich ficke alle Deutsche“ wirkt in dieser scheinbar friedlichen Umgebung nicht bedrohlich, nur geschmacklos.Der Schein einer heilen Welt trügt: In den Klassenzimmern der Haupt- und Realschule Stadthagen regierte das Faustrecht
Doch der Schein einer heilen Welt in der Schlossparkschule trügt. Über ein Jahr, vielleicht sogar über mehrere Jahre, so genau weiß das im niedersächsischen Stadthagen am Rande des Weserberglandes niemand zu sagen, bestimmten hier Prügel und Gewalt den Schulalltag. Weder der Hausmeister in seinem Glaskasten noch die gut 40 Lehrer wollen gesehen haben, welchen Terror Schüler ausübten, mit welcher Angst die meisten Schüler jeden Morgen zum Unterricht kamen.
Das Ausmaß der juristischen Nachforschungen zeigt, wie allgegenwärtig die Gewalt an der Schlossparkschule im Schaumburger Land war: Gegen 65 Kinder und Jugendliche, die meisten davon Hauptschüler, hat die Staatsanwaltschaft im benachbarten Bückeburg wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt – das heißt gegen jeden dritten männlichen Hauptschüler Stadthagens, einer Kreisstadt mit 23000 Einwohnern. Noch nie wurde so umfangreich an einer Schule in Deutschland ermittelt, noch nie landeten so viele Schüler vor Gericht. Gegen 10 wurde Anklage vor dem Jugendschöffengericht des Stadthagener Amtsgerichts erhoben, weitere 26 müssen sich vor dem Jugendrichter verantworten. Die übrigen Verfahren wurden eingestellt – gegen Auflagen oder mangels Tatverdachts oder weil die Betreffenden unter 14 Jahre alt und damit zur Tatzeit noch nicht strafmündig waren. Um der Masse der Verfahren Herr zu werden, bewilligte das Justizministerium in Hannover dem Amtsgericht Stadthagen vorübergehend eine zusätzliche halbe Richterstelle.
Fast alle Beteiligten „des Falles“ Schlossparkschule sind schweigsam oder inzwischen verstummt. Man redet nicht gern über den Skandal. Schulleiter Rudolf Krewer sagt, er wisse gar nicht, welche Schüler im Einzelnen betroffen seien, das herauszufinden sei jetzt Sache der Justiz. Er wolle es auch gar nicht wissen – „die Schüler sollen ja wieder integriert werden“.
Die Kommissarin, die die Ermittlungen führte, mag keine Auskunft geben. Die Direktorin des Amtsgerichts, wo nun Dutzende von Schülern angeklagt sind, darf es nicht; die Verfahren sind nichtöffentlich. Und der Bürgermeister sorgt sich um den Ruf seines beschaulichen Residenzstädtchens, der auf Dauer Schaden nehmen könnte.
Sie halten sich fast alle bedeckt in Stadthagen, weil es nicht mehr nur um die Prügelorgien geht, sondern um Fundamentaleres: um das Zusammenleben von Deutschen und Türken in der Stadt. Und dieses Verhältnis ist ziemlich belastet, seit sich die Prügelgeschichte als eine Integrations- oder, zutreffender: Desintegrationsgeschichte entpuppte. Denn die Mehrzahl der Schläger an der Schlossparkschule waren Türken oder türkischstämmige Jugendliche. Einheimische deutsche Schüler spielen nur als Opfer eine Rolle, nicht als Täter. Auch jene dritte Gruppe derjenigen, die sowohl Opfer als auch Täter waren, besteht nur aus Türken.
Die Opfer haben immer noch Angst, als Zeugen auszusagen
Er sei froh, dass endlich alles vorüber sei, sagt Yussuf*. Wie ein Zwang sei es für ihn am Ende ja nur noch gewesen, immerfort zu prügeln. Es war so oft, so viel, dass Yussuf sich an die einzelnen Taten gar nicht mehr erinnern kann. Und der 16-Jährige will auch seine Erinnerung nicht mehr bemühen. Yussuf sitzt in seinem Stammlokal, dem Bistro Markt 16, im ersten Stock eines alten Fachwerkhauses im Zentrum von Stadthagen, rührt wortlos in einem Cappuccino und beobachtet drei Mädchen, die soeben den mittelalterlichen Marktplatz überqueren und auf das Haus zusteuern.
Wegen 17facher Körperverletzung, die „gefährlich“ genannt wird, da sie gemeinschaftlich begangen wurde, sowie wegen räuberischer Erpressung stand Yussuf vor dem Jugendschöffengericht. Über fünf Stunden dauerte die Verhandlung. Und dennoch konnte nicht alles aufgeklärt werden, obwohl Yussuf „sehr einsichtig und kooperativ“ gewesen sei und „unbeschönigte Geständnisse abgelegt“ habe, wie ihm das Gericht bescheinigte. Von den 17 blieben 6 Fälle übrig, deren er für schuldig befunden wurde. Die Verhängung einer Jugendstrafe setzte das Gericht zur Bewährung aus – ein Vierteljahr lang muss er nun an einem sozialen Training teilnehmen. Dass Yussuf nicht in allen Fällen überführt werden konnte, liegt auch daran, dass die Opfer immer noch Angst haben, als Zeugen auszusagen.
Für das Gericht war erwiesen: In einer Fünfminutenpause trat Yussuf einen Mitschüler, zusammen mit weiteren Schülern, heftig gegen die Beine und, als der Schüler am Boden lag, auch noch gegen dessen Hinterkopf. Ein andermal hat er einen Mitschüler mit dem Knie in den Bauch getreten. Aber auch jene Taten, die ihm nicht nachgewiesen werden konnten, will Yussuf gar nicht bestreiten. Einem Mitschüler soll er mit solcher Wucht in den Rücken gesprungen sein, dass dieser heftig mit dem Kopf auf der Toilettentür aufschlug und mehrere Tage lang unter Rücken-, Bauch- und Kopfschmerzen litt. Einem anderen soll er so lange auf den Rücken und ins Gesicht geschlagen haben, bis das Opfer Blut spuckte; einem weiteren stieß er angeblich so heftig mit dem Knie ins Gesicht, dass die Zahnspange des Jungen verbog und sich ein Zahn lockerte.
Ja, wahrscheinlich habe er das alles getan, räumt Yussuf ein und schielt dabei verstohlen zu drei Mädchen am Nachbartisch des Bistros. „Richtig zugeschlagen haben wir ja nie. Wenn wir Ernst gemacht hätten, wäre keiner heil geblieben.“
Bei all ihren Prügeleien haben Yussuf und die anderenTäter noch „Herzlichen Glückwunsch!“ gebrüllt, denn „Geburtstagsprügel“ war der schaurige Name des Rituals. Mindestens ein Jahr lang terrorisierten Schüler der Schlossparkschule ihre Kameraden immer auf die gleiche Weise. Kein Junge konnte sich entziehen – wer Geburtstag hatte, wurde verdroschen. Mädchen blieben verschont. Und Yussuf, der Kleine, Schmächtige, der Mädchen gegenüber errötet, war der Gefürchtetste von allen. Yussuf und eine Reihe anderer türkischer Schüler versetzten den Rest der Schule derart in Angst und Schrecken, dass sich die Bedrohten noch heute fürchten. Die Prügel seien „doch ganz normal gewesen, alle haben zum Geburtstag Schläge bekommen“, meinen zwei von Yussufs Opfern in der nichtöffentlichen Verhandlung. Sie wollten offensichtlich nicht als Petzer dastehen und spielten die Prügel als „nicht so schlimm“ herunter. Yussuf selbst war derjenige, der klarstellte, dass die Schläge „härter“ waren, als von den beiden Opfern geschildert. Ist der Täter geläutert? Oder will er nur das Ausmaß seiner Taten richtig gewürdigt wissen?
Damals schreckte die Schüler vor allem der Gedanke, dass sie den Geburtstagsprügeln nicht entkommen konnten. Keiner hatte die Chance, seinen Geburtstag zu verheimlichen. „Wir haben’s irgendwie immer rausgefunden, in manchen Klassenzimmern hingen ja sogar Geburtstagslisten“, sagt der heute 15-jährige Cetin* aus der neunten Klasse, er grinst, wenn er daran denkt. Wegen zehnmaliger Körperverletzung war er angeklagt, in drei Fällen wurde er verurteilt. Für jedes Lebensjahr setzte es einen Schlag, das war die Regel. Wer 15 Jahre alt wurde, erhielt 15 Hiebe – nicht insgesamt, sondern von jedem Schläger. Mal beteiligten sich 6, mal 10, mal 16 Schüler. Wer aus Angst an seinem Geburtstag zu Hause blieb, wurde nachträglich um so heftiger malträtiert. Manche zogen an ihrem Geburtstag zwei gefütterte Jacken übereinander an, damit die Schläge nicht so schmerzten. Am meisten war das Ritual in den siebten und achten Klassen verbreitet.
Dresche bezog nicht nur, wer Geburtstag hatte, sondern auch, wer in einer Klassenarbeit eine gute Note erhielt oder mit einem neuen Fahrrad zur Schule kam. Der 15-jährige Marc* wurde wegen einer Zwei in der Deutscharbeit vermöbelt, später noch einmal an seinem Geburtstag. Jetzt sitzt er, schmal, blond, umringt von Mädchen, in der Cafeteria der Schule, er zuckt zusammen, wenn er auf die Prügel angesprochen wird. Nein, er möchte nicht darüber sprechen, auf keinen Fall.
Im Klassenzimmer wurde geprügelt, nie auf dem Schulhof
„Manchmal musste man Schlange stehen, bis man mit Schlagen drankam“, sagt Cetins Klassenkamerad, der 17-jährige Laris*. Dem Kosovo-Albaner, einem der wenigen nichttürkischen Angeklagten, war 13fache gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt worden; verurteilt wurde er in sieben Fällen. Er erhielt eine Verwarnung und wurde wie alle anderen Straftäter dazu verpflichtet, an einem sozialen Trainingskurs mit den Schwerpunkten „Konfliktbewältigung“ und „fehlgeleitetes Gruppenverhalten“ teilzunehmen. Laris, gegen den schon zweimal wegen Körperverletzung ermittelt worden war, hatte einen Mitschüler an dessen Geburtstag in Magen und Unterleib geboxt, einem anderen mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Besonders gefürchtet war eine brutale Variante namens „Hüst“ – ein abwertender türkischer Begriff, für den es keine deutsche Übersetzung gibt. Dabei hielten zwei Schüler ein Opfer von hinten an den Armen fest, während andere ihm in den Rücken traten oder stießen. Die Betreffenden stolperten nach vorn, manche fielen auch zu Boden. Diese Art der Prügel verursacht bei den Opfern starke Rückenschmerzen; oft standen den Achtklässlern Tränen in den Augen. Doch keiner der Geschlagenen vertraute sich Lehrern oder Eltern an. Das System der Gewalt konnte sich nur so lange erhalten, weil niemand darüber sprach. Geprügelt wurde nur in den Fünfminutenpausen im Klassenzimmer oder auf der Toilette, selten auf dem Sportplatz, nie auf dem Schulhof. Aufgeflogen ist der Terror schließlich, weil Yussuf und einige andere diese Gang-Regel durchbrachen.
Eines Mittags im vergangenen Mai, die Schule war gerade zu Ende, wartet Giovanni*, ein italienischer Schüler der siebten Klasse, an der nahen Bushaltestelle. Irgendwer ruft von ferne: „Alles Gute zum Geburtstag, Giovanni!“ – für Yussuf, der sich wenige Tage zuvor heftig mit Giovanni gestritten hatte, das Signal, so richtig zuzuschlagen. Viele der Umstehenden, die ebenfalls auf den Bus warten, schließen sich an. Giovanni wird in ein Gebüsch gezerrt und zu Boden gerissen. Sie schlagen ihn mit Fäusten und treten mit Füßen – in den Magen, gegen den Rücken, auf die Schultern, ins Gesicht. Ein Lehrer kommt hinzu. Nur mit seiner Hilfe kommt Giovanni wieder auf die Beine, so übel ist er zugerichtet. Zwei Schläger bekommt der Lehrer zu fassen; einer von ihnen ist Yussuf. Yussuf habe sich, so befindet später das Gericht, „in besonderer Weise hervorgetan“ und „dem Lehrer gegenüber sehr ausfallend“ benommen.
Die Namen der anderen Täter, die in alle Richtungen davonrannten, sind aus dem verschüchterten Opfer nicht herauszuholen. Schulleiter Krewer aber setzt sich über die inständige Bitte Giovannis und seiner Eltern hinweg, den Vorfall auf sich beruhen zu lassen. Er schaltet die Polizei ein und erstattet Anzeige. Der Überfall auf Giovanni, der schlimmste von allen, ist Höhepunkt und Ende der Geburtstagsprügel zugleich; seither herrscht Ruhe an der Schule. Und eisernes Schweigen.
An dieser „Mauer des Schweigens und der Angst“ prallte auch die Staatsanwaltschaft Bückeburg ab. Die Ermittlungen wurden im Mai vergangenen Jahres aufgenommen, sie gestalteten sich schwer, weil die Rollenverteilung zwischen Opfern und Tätern keineswegs klar war. Viele Schüler waren beides zugleich, Täter wie Opfer. Die Geburtstagsprügel hatten etwas von einem Initiationsritus: Wer verprügelt wurde, hatte nicht nur ein Jahr lang Ruhe, er gehörte nun auch irgendwie dazu. Zahlreiche Opfer haben sich nach den eingesteckten Schlägen selbst an der Gewalt beteiligt, nicht gegen ihre Peiniger, sondern gegen unbeteiligte Dritte. Einige Schüler erklärten dies später bei der Polizei mit einem „Ehrenkodex“, den es zu erfüllen galt: Wenn man als Opfer dran war, ertrug man es klaglos; zum Ausgleich durfte man dann kräftig austeilen.
Wie und wann alles anfing, lässt sich nicht mehr sagen. Die Staatsanwaltschaft hat die Grenze bei Mai 2001 gezogen, ein Jahr vor dem Beginn ihrer Ermittlungen. Alles, was davor liegt, verfolgt sie nicht mehr. Mit einem freundschaftlich gemeinten Schulterklopfen habe alles angefangen, sagt etwa Laris. Wie es kam, dass die Handgreiflichkeiten in wilde Schlägereien ausartete, kann er nicht erklären. Yussuf und Cetin und noch einige der anderen Türken finden, es sei bis zum Schluss beim Spaß geblieben. „Mann, das haben die Deutschen nicht gecheckt!“, regt Yussuf sich auf.
Schulleiter Krewer konnte nicht ahnen, welche Lawine er mit seiner Anzeige ins Rollen bringen würde, in den Medien, bei der Justiz, in der Politik. Er habe damals nur gedacht: „Mit pädagogischen Mitteln kriegen wir das nicht mehr in den Griff.“ Bald beschäftigen die Geburtstagsprügel die ganze Stadt; doch die Diskussion dreht sich nicht mehr nur um Gewalt. Es geht um das Zusammenleben von Deutschen und Türken. Dass vor allem türkische und türkischstämmige Schüler angeklagt sind, aber keine einheimischen Deutschen, hat die Atmosphäre spürbar aufgeheizt.
Bisher war Krewer stolz darauf, jede Schwierigkeit mit pädagogischen Mitteln gemeistert zu haben. Als die Kinder russischer Aussiedler vor sechs, sieben Jahren zum Integrationsproblem wurden, habe er kurz entschlossen eine ABM-Kraft eingestellt, „eine Russisch-Lehrerin als Sozialarbeiterin, und nach vier Monaten war das Problem erledigt“. Für auffällige Schüler, die im Unterricht nicht still sitzen können, habe er eigens einen Handwerksmeister engagiert; in dessen Werkstatt können sie sich seither körperlich betätigen und abreagieren.
Auch gegen Lehrer der Schule wird ermittelt
Eine ausgesprochene Problemschule ist die Schlossparkschule am Rand der Altstadt nie gewesen; zwar kein Hort für Wohlstandskinder, aber auch kein sozialer Brennpunkt. Rund 150 der 620 Schüler sind Ausländer, die meisten davon Türken. Pädagogisch war das immer ein zu bewältigender Anteil gewesen. Immer wieder aber hatten einzelne Gewalttäter die ganze Schule terrorisiert. Mehrmals schrieb Krewer deswegen schon an das Kultusministerium, an die Schulbehörde. Antwort erhielt er nie. So war es, als die Geburtstagsprügel aufflogen, nicht nur Ratlosigkeit, die Krewer, den Reserveoffizier, nach der Staatsmacht rufen ließ – er hatte schlicht die Nase voll und wollte ein Exempel statuieren.
Eines Morgens – gut eine Woche nach dem Überfall auf Giovanni, die erste Unterrichtsstunde ist noch nicht halb herum – fliegt die Tür der Klasse 8b auf, und acht Polizisten in schusssicheren Westen und mit Helmen stürmen den Raum, als gelte es, Terroristen zu überwältigen. „Das Ganze war abgesprochen und sollte schon eine kleine Schockwirkung haben“, sagt Krewer. Acht Schüler, unter ihnen Yussuf, alle verdächtig, zu den Rädelsführern der Geburtstagsprügel zu gehören, werden zur Polizeiwache gebracht und über Stunden hinweg in zwei Gruppen vernommen. Während die einen verhört wurden, schmorten die anderen in ihren Zellen. „Da waren Pritschen, die mit Ketten an der Wand befestigt waren, aber ich hab da einfach gepennt“, sagt der 15-jährige Cetin cool.
Während sich die Gerichtsverfahren gegen die Schüler allmählich dem Ende zuneigen, hat die Staatsanwaltschaft Bückeburg ihre Ermittlungen ausgedehnt – gegen Lehrer der Schule. Gegen vier von ihnen hat sie Verfahren eingeleitet wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Sie sollen von den Prügeleien gewusst, aber nicht eingegriffen haben. Schon längst machten in Stadthagen Spekulationen die Runde: Was haben die Lehrer gewusst? Konnten Gewaltorgien solchen Ausmaßes über einen so langen Zeitraum hinweg an der Schule wirklich unbemerkt bleiben? Der aus dem Amt scheidende niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer war der Erste, der die Frage öffentlich aufwarf – und gleich selbst beantwortete. „Die Schulgewalt ist dort am höchsten, wo die Lehrer wegschauen“, meinte er in einem Zeitungsinterview. Das wisse er aus seiner langjährigen Forschungstätigkeit. Pfeiffer leitete, bevor er Minister wurde, viele Jahre das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. In Stadthagen kommt die Erkenntnis nicht gut an. Groß ist die Empörung über Pfeiffers Unterstellung. Eltern und Schüler nehmen die Lehrer öffentlich in Schutz, und Pfeiffer eilt nach Stadthagen, um sich dem Kollegium zu stellen.
Von Anfang an hat Pfeiffer die Nachrichten aus Stadthagen wie gebannt verfolgt, denn was sich an der Schlossparkschule zutrug, ist sein Forschungsthema: Gewalt von Jugendlichen, vor allem von jugendlichen Türken. Der Minister stellt zwei Mitarbeiterinnen seines Hauses ab, um die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft Bückeburg auszuwerten. Es sei den Schlägern „ersichtlich darum gegangen, der zahlenmäßig starken Gruppe der Deutschen zu zeigen, wer Herr im Hause ist“, so Pfeiffer. Er lässt es sich nicht nehmen, die Analysen an zwei Diskussionsabenden persönlich in der Aula der Schlossparkschule zu präsentieren. Weil beim ersten Mal fast nur deutsche Eltern erschienen sind, bei den Geburtstagsprügeln jedoch „ethnische Konflikte eine zentrale Rolle gespielt haben“, setzt Pfeiffer eine zweite Diskussionsveranstaltung an, zu der er diesmal nachdrücklich die türkischen Eltern bittet.
Eine der zentralen Thesen von Pfeiffers umfassenden Untersuchungen, die er vor einigen Jahren zum Thema durchgeführt hat, riefen seinerzeit heftigen Protest hervor: Türkische Jugendliche seien gewalttätiger als deutsche, und das liege nicht nur an ihrer schlechteren sozialen Lage, sondern vor allem auch an ihrer Kultur und Tradition, in der die Väter den Söhnen ein „problematisches Rollenvorbild“ böten. Bundesweit über 28000 Schüler aus neunten Klassen, darunter knapp 2000 türkische Jugendliche, hatten Pfeiffers Leute in den Jahren 1998 und 2000 befragt. In 16 Städten, großen wie kleinen, im Norden wie im Süden der Republik, im Osten wie im Westen, wurden Jugendliche in Klassenzimmern aufgesucht und gebeten, standardisierte Fragebögen auszufüllen.
Die Antworten offenbarten gravierende Unterschiede zwischen Türken und Deutschen, was das Erleben von Gewalt in der Familie betrifft. Fast jeder fünfte türkische Schüler war im Lauf des letzten Jahres zu Hause geschlagen worden, dagegen nur jeder achtzehnte Deutsche. Jeder dritte Türke gab an, er habe gesehen, wie seine Eltern sich schlugen; bei den Deutschen sagte dies nur jeder elfte. Um auszuschließen, dass die großen Differenzen womöglich nur auf sozialen Unterschieden beruhen, wurde die Befragung zwei Jahre später ein zweites Mal durchgeführt, mit Angehörigen der jeweils gleichen sozialen Gruppe. Das Ergebnis war nahezu das gleiche.
Kinder, die häufig geschlagen werden, „begehen drei- bis viermal so viel Gewalttaten wie gewaltfrei erzogene“, laute eine alte Erkenntnis, sagt Pfeiffer. Sie könnten mit Konflikten nicht konstruktiv umgehen, ihr Selbstbewusstsein sei angeschlagen; sie orientierten sich an autoritären Vorbildern – so wie die türkischen Jungen sich an ihren prügelnden Vätern orientierten. Sie bestätigten das in der Studie, als sie angaben, Machovorbildern nachzueifern und sich einer „Kultur der Männerehre“ verpflichtet zu fühlen.
Überraschenderweise ist die Gewaltrate um so höher, je länger die Türken in Deutschland leben. In ihren Köpfen wachsen mit der Aufenthaltsdauer die „deutschen“ Ansprüche, ohne dass „deutsche“ Chancen wachsen. Das ruft Frust hervor, auf den manche mit Gewalt reagieren. Hinzu kommt, dass traditionelle Werte und Strukturen ins Wanken geraten, je länger türkische Familien in Deutschland leben. Ein Drittel der betroffenen Väter versucht, die traditionelle Ordnung und die eigene Autorität unter Einsatz von körperlicher Gewalt aufrechtzuerhalten. „Die besonders hohe Gewaltrate türkischer Jugendlicher erscheint damit auch als Ausdruck eines Männlichkeitskonzeptes, das unter den sozialen Bedingungen unseres Landes mit wachsender Aufenthaltsdauer in eine Legitimationskrise gerät“, heißt es in der letzten von Pfeiffers Untersuchungen.
So ausführlich trägt der Minister seine Erkenntnisse an der Schlossparkschule in Stadthagen nicht vor. Er beschränkt sich darauf, die „importierte Machokultur“ der Türken anzugreifen. Es sei, so Pfeiffer weiter, nicht akzeptabel, wenn türkische Väter und dann auch die Söhne Lehrerinnen als Autoritätspersonen ablehnten und sich manchmal sogar weigerten, ihnen die Hand zu geben. Frauen und Schwestern förderten solches Verhalten noch, indem sie die Jungmachos „verwöhnen und manchmal wie Prinzen behandeln“.
All das erklärt die Aggressionen der jungen Türken in Stadthagen aber nicht vollständig. Vielmehr, sagt Pfeiffer dann an die Adresse der versammelten Honoratioren gerichtet, sei die Gewalt auch „Folge der schlechten örtlichen Bildungsintegration junger Türken“. Er habe sich kundig gemacht und erfahren, dass „nur ein einziger türkischer Junge ans Gymnasium geht. Das kann unmöglich der eigentlichen Begabungsstruktur entsprechen!“, ruft Pfeiffer aus. Statistisch bedeutet dies: Nur 1,5 Prozent aller türkischen Jungen besuchen das Gymnasium. Damit liege Stadthagen „erheblich“ unter den Quoten aller 16 Städte aus seinen beiden Untersuchungen. Die Studie zeige: Je mehr die türkischen Familien sich von ihrer Umwelt akzeptiert fühlen, je besser sie Deutsch sprechen und je weniger sie von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind, desto höher ist der Anteil der Kinder, die weiterführende Schulen besuchen – und desto geringer die Zahl der Jugendlichen, die zu Gewalttaten neigen. Pfeiffer: „Gymnasial- und Gesamtschulquoten sind verlässliche Indikatoren dafür, wie es um die soziale Integration der Zuwanderer in einer Stadt bestellt ist.“
Der Stadtrat ist verärgert wegen der negativen Schlagzeilen
In Stadthagen schaffen es rund 60 Prozent der türkischen Jungen nur auf die Hauptschule, fast 9 Prozent landen gar auf der Sonderschule. Offenbar hätten es ausländische Jugendliche hier besonders schwer, „den ihrer Begabung entsprechenden Schultyp zu erreichen“, schließt Pfeiffer und kann sich eine Bemerkung nicht verkneifen: Eine solche Benachteiligung in der Bildung „habe ich bisher bei meinen vielen Untersuchungen in Deutschland noch nirgends erlebt“.
Wieder erhob sich ein Proteststurm in der Stadt, wie zuvor schon bei seiner Bemerkung über die Kultur des Wegschauens. „Ja, das war ein strategischer Fehler“, ärgert sich Pfeiffer im Nachhinein selbst. So hatte die Stadt nun einen Anlass, von der unbequemen Analyse abzulenken und sich stattdessen bitter über die Verunglimpfung als Deutschlands integrationsfeindlichste Stadt zu beklagen. „Mit tiefer Enttäuschung“, heißt es in einer Resolution, habe der Stadtrat Pfeiffers „eindeutige Formulierungen“ zur Kenntnis genommen, die „unserer Stadt durch negative Schlagzeilen in ganz Deutschland hohen Schaden eingebracht“ hätten.
Auch sonst setzen Pfeiffers Diskussionsabende in Stadthagen eine Menge Emotionen frei. Viele Tränen fließen, zumal bei den Türken, die zum ersten Mal die Chance sehen, sich mit ihren Klagen über vielfältige Diskriminierungen im Alltag Gehör zu verschaffen. Nie werde ihre Tochter von ihren deutschen Klassenkameraden zu Geburtstagsfeiern eingeladen, klagt eine Mutter; die meisten Türken wollen sich ja gar nicht integrieren, schallt es zurück. Einige Deutsche verlassen wutentbrannt die Aula. Alles, was Türken und Deutsche in 40 Jahren Zusammenleben verdrängt oder aufgestaut haben, bricht mit Macht hervor.
Doch der Dialog, der den Emotionen hätte folgen müssen, blieb aus. Stattdessen schwelt ein Streit über Integrationswilligkeit und Integrationsfähigkeit, der sich vor allem an einer Frage festmacht: Sind die Kindergärten schuld, dass die türkischen Schüler so schlecht Deutsch sprechen und deshalb in der Schule nicht mitkommen? Nur noch 12 Prozent der türkischen Schulanfänger sprechen ausreichend Deutsch, teilten die Stadthagener Grundschulen Pfeiffer auf Anfrage mit. Viele Türken behaupten dagegen, ihre Kinder würden in die Nachmittagsgruppen abgeschoben, wo sie unter sich blieben und kein Deutsch lernen könnten. Semih Ayaz, der Vorsitzende eines schulübergreifenden Elternvereins, sagt, er habe mehrere Jahre warten müssen, bis sein Sohn überhaupt in den Kindergarten aufgenommen worden sei; und dann habe er ein zweites Mal darum kämpfen müssen, dass der Junge in die Vormittagsgruppe kam.
Oder ist alles ganz anders? Nicht die Kindergärten sind schuld, wie die stellvertretende Bürgermeisterin Angela Strathmann, von Beruf Leiterin des Ratsgymnasiums, sagt, sondern die Kultur der Türken in Deutschland. Türkische Kinder, so die Sozialdemokratin Strathmann, sehe man im Sommer „ja noch abends um halb zehn auf der Straße rumlaufen“, die ließen sich nicht schon morgens um halb sieben wecken, damit sie rechtzeitig in den Kindergarten kommen.
Im städtischen Kindergarten Herminenstift, einem von vieren in der Stadt, sind nachmittags 36 von 55 Nachmittagskindern ausländischer, davon 16 türkischer Herkunft. Vormittags sind von 67 nur 22 Ausländerkinder, davon 9 türkische. Aber, sagt die Leiterin Renate Neumann, die Eltern hätten das doch so gewollt. Ein türkischer Junge, der zunächst vormittags kam, habe sogar nachträglich noch in die Nachmittagsgruppe gewechselt. „Wir reden hier über nichts anderes als über Integration“, sagt Renate Neumann, die Leiterin. Sie hält die Vorwürfe der türkischen Eltern für ungerecht. Eine Deutsch-Türkin hat sie vor einiger Zeit eingestellt, um die türkischen Kinder in den Nachmittagsgruppen zu fördern und den Kontakt zu den türkischen Eltern zu verbessern. Leider zeigten die „null Interesse“, sagt Ilgnur Bijiklioglu, die deutsch-türkische Erzieherin. Während sich die deutschen Eltern Zeit ließen, wenn sie ihre Kinder abholen, auch mal mit den Erzieherinnen plauderten, müsse es bei den Türken „immer schnell, schnell gehen. Manche Väter pfeifen nur von der Tür her, und dann müssen die Kinder springen.“
Die schlimmsten Schläger waren schlechte Schüler
„Die türkischen Kinder sprechen ja weder richtig Deutsch noch richtig Türkisch“, meint Bijiklioglu. Die Mütter redeten selbst mit fünfjährigen Kindern oft noch in der Babysprache; bei den Söhnen seien die Sprachdefizite noch größer als bei den Töchtern – „weil die ja wie Paschas behandelt werden. Wenn die Jungs ein Glas Wasser wollen, brauchen sie nur mit dem Finger darauf zu zeigen.“ Bijiklioglu versucht, den Kindern zunächst Türkisch beizubringen: „Wer nicht richtig Türkisch kann, kann auch nicht richtig Deutsch lernen.“ Man spürt, wie weh es ihr tut, dass die nachwachsende Generation türkischer Deutscher in der Schule so viel schlechter und so viel weniger integriert ist als ihre eigene Generation. „Wir haben damals alle Realschulabschlüsse mit guten Noten gemacht“, sagt die 27-Jährige. Sie hat eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, holt jetzt nebenher das Abitur nach und möchte dann Pädagogik studieren. Immer wieder versucht sie den Eltern klarzumachen, wie wichtig Bildung sei. Als sie einen Elternabend für die 33 türkischen Eltern veranstaltete, sind nur fünf Mütter erschienen.
Doch die Bildungsinstitutionen sind weder willens noch in der Lage, all die Defizite auszugleichen. Zwar wird an allen Stadthagener Schulen Förderunterricht Deutsch erteilt, je nach Schule betrage der Umfang bis zu zehn Prozent des gesamten Unterrichts, sagt Jürgen Landfester, der Schulrat bei der Bezirksregierung Hannover und einst selbst Schulleiter in Stadthagen, stolz. Aber der Unterricht geht an den Bedürfnissen der jungen Türken vorbei. Er ist nicht auf Dauer angelegt, sondern für maximal drei Jahre, konzipiert als Teil eines Eingliederungsprozesses. Aber die jungen Türken sind ja weder neu ins Land gekommen, noch wird der Förderunterricht für sie unentbehrlich. Er ist so lange erforderlich, wie die jungen Türken zu Hause weiter Türkisch sprechen.
Für noch verhängnisvoller hält Jürgen Lingner, der stellvertretende Leiter der Stadthagener Volkshochschule (VHS), dass Mitte der neunziger Jahre die damalige Regierung unter Ministerpräsident Gerhard Schröder die Landesmittel für die Hausaufgabenhilfen drastisch zusammengestrichen hat. Über 30 solcher Nachhilfegruppen gab es in der Stadt, an allen Schulen, betreut von Hausfrauen, älteren Schülern, arbeitslosen Lehrern, VHS-Dozenten. „Das war sehr integrationsfördernd“, sagt Lingner. Die Türken behielten so nicht nur leichter den Anschluss im Unterricht – da auch deutsche Kinder betreut wurden, kamen Deutsche und Türken einander auch näher. Als es kein Geld mehr gab, lösten sich auch die Gruppen auf.
Die Entfremdung zwischen Deutschen und Türken, die in Stadthagen sichtbar wurde, hat mit solchen Versäumnissen zu tun. Dass die Türken vermehrt türkische Fernsehsender einschalten, dass immer mehr von ihnen ihre Ehepartner in der Türkei suchen, dass sie sich dem Islam zuwenden – all das kennzeichnet einen Rückzug aus Frust und Enttäuschung, der in den neunziger Jahren einsetzte. Die jungen Türken messen sich, anders als ihre Eltern und Großeltern vor 40 Jahren, mit gleichaltrigen Deutschen. Sie fordern die gleichen Rechte und Chancen wie sie. Und der Vergleich fällt fast immer zu ihren Ungunsten aus. Der Preis für den Rückzug ist hoch: Die Zahl der so genannten Bildungsverlierer steigt, ein Drittel der jungen Türken zwischen 20 und 29 Jahren hat keinen Berufsabschluss.
Für den Exjustizminister Christian Pfeiffer ist es daher keineswegs Zufall, dass es die siebten und achten Klassen an der Schlossparkschule waren, in denen am meisten geprügelt wurde. Mit 15, 16 Jahren, nach der Orientierungsstufe, dämmere den jungen Türken allmählich, dass sie sich „in unserer Winner-Loser-Kultur auf der Verliererstraße“ befinden. Dass sie ihre deutschen Mitschüler ausgerechnet an deren Geburtstagen verprügelten, an Freudentagen, an denen die meisten mit Geschenken und Zuwendung überhäuft werden, zeige, dass sie „Neid in Gewalt umgesetzt“ hätten. Die schlimmsten Schläger wie Yussuf waren schlechte Schüler und haben die achte Klasse wiederholt.
Die reflexhafte Abwehrhaltung der Beteiligten in Stadthagen erschwert eine offene Diskussion über die als Vorwurf formulierte Frage Christian Pfeiffers, inwiefern vor allem die Lehrer an den skandalösen Ereignissen in der Schlossparkschule mitschuldig geworden sind, weil sie nicht eingegriffen haben. „Viele Kollegen machen Unterricht nach der Vogel-Strauß-Methode, um zu überleben. Aber man kann nicht mehr wie früher einfach den Stoff durchziehen und sich um nichts kümmern.“ Das sagt Ingrid Hintz, eine ehemalige Lehrerin, die heute Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Hildesheim lehrt. Sie schreibt auch selbst, zum Beispiel über Zivilcourage. Ingrid Hintz war es, die die Geschichte Herzlichen Glückwunsch, Isabell! verfasste. Eine Geschichte aufgrund einer wahren Begebenheit in Hildesheim, in der Schulmädchen an ihren Geburtstagen einander allerhand Übles antun. Diese Geschichte steht im 1998 erschienenen Deutsch-Lesebuch Wortstark für die Realschule, neuntes Schuljahr. Und mit dem Buch wurde und wird an der Schlossparkschule gearbeitet.
Geburtstagsprügel waren also schon seit Jahren Unterrichtsstoff. Und doch kein Thema für die Schule? Schulleiter Krewer beteuert, erst durch den Angriff auf Giovanni von den Gewaltexzessen erfahren zu haben. Auch der Sozialarbeiter der Schule – einer von jenen, gegen den die Staatsanwaltschaft derzeit ermittelt – will nichts mitbekommen haben. Es heißt, einige Schüler hätten in den Pausen bei ihm Zuflucht gesucht, um Prügeln aus dem Weg zu gehen. Und die Schüler, die Herzlichen Glückwunsch, Isabell! im Unterricht besprachen? Haben die sich nicht einmal verraten, ist denen nie etwas herausgerutscht? „Die Schüler sagen etwas, weil sie glauben, dass die Lehrer es hören wollen“, sagt die Deutschlehrerin Gisela Lutter, die Ingrid Hintz’ Erzählung schon mehrfach durchgenommen hat. „Schüler sind clever!“, fügt sie an, und natürlich sei Gewalt der Schule nicht fremd. Doch selbst als Vertrauenslehrerin habe sie es stets nur mit Einzelfällen zu tun gehabt, etwa wenn sich Schüler hilfesuchend an sie wandten, weil sie erpresst oder bedroht wurden. Und dass Kollegen etwas von den Geburtstagsprügeln bemerkt haben könnten – „nein, das halte ich für undenkbar“, sagt Frau Lutter. „Wir haben das ja auch gar nicht gelernt: Konfliktbewältigung. Als ich meine Ausbildung gemacht habe, da hatte man als Lehrer Autorität, und damit hatte es sich.“
Dass all dies im beschaulichen Schaumburger Land hervorbrach und nicht in Berlin-Kreuzberg oder Duisburg-Bruckhausen – das ist letztlich Zufall. Der für eine Provinzstadt wie Stadthagen hohe Ausländeranteil von 13 Prozent, bei einer einheimischen provinziellen Bevölkerung, die sich Fremden gegenüber besonders ignorant gibt, mag stärkere Spannungen als anderswo erzeugt haben. Vielleicht wäre alles auch gar nicht ans Licht gekommen, hätte Schulleiter Krewer nicht die Polizei gerufen und wäre da nicht ein Justizminister gewesen, der laut und öffentlich erklärt hätte, was das alles zu bedeuten habe. Der Diskussionsprozess jedenfalls ist zäh. Auf deutscher Seite wurde eine Privatinitiative ins Leben gerufen: Das alternative Kulturzentrum Alte Polizei bietet Deutschkurse für türkische Frauen und Hausaufgabenhilfen für türkische Kinder an.
Schulleiter Rudolf Krewer institutionalisiert derweil seine Beziehungen zur Polizei. Feierlich haben er und der örtliche Polizeichef einen „Patenschaftsvertrag“ unterzeichnet. Die Kommissarin, die einst gegen die Schüler ermittelte, soll nun ab und zu vorbeikommen und mit den Jugendlichen plaudern, auf dass es der Prävention nütze. Stolz verweist Krewer auf die vielen Gelder, die sein neuer Duzfreund Pfeiffer noch vor seinem Ausscheiden aus dem Amt des Justizministers kürzlich lockergemacht hat; damit werden derzeit zwei Lehrer zu Konfliktlotsen ausgebildet, später kommen auch Schüler dran.
Yussuf hat unterdessen viel Zeit. Nach der Attacke gegen Giovanni, mit der alles ein Ende fand, flog er von der Schule. Jetzt hockt er auf dem schwarzen Teppichboden im elterlichen Wohnzimmer in der Hüttenstraße, Weststadt, die sie in Stadthagen auch Bronx nennen. Er hockt zu Füßen des Vaters, der im Sessel über ihm thront. In der schwarz gemusterten Polstergarnitur sitzen dicht gedrängt Yussufs Mutter, sein Freund Jamal*, dessen Eltern und eine Nachbarin. Sie alle helfen mit bei der Heimarbeit, ziehen im Akkordtempo schmale Metallringe auf lange Metallstäbe. In drei Stunden müssen sie fertig sein. Dann kommt ein Fahrer der Firma Faurecia, eines Herstellers von Autositzen, um die Stäbe abzuholen; sie werden für die Nachtschicht gebraucht. Viele Türken, auch Yussufs Mutter, arbeiten bei Faurecia, dem größten Arbeitgeber der Region.
Yussufs Vater spricht von einer Verschwörung
Der Vater macht Yussuf keine Vorwürfe – jedenfalls nicht vor einem fremden Deutschen. Er sieht in den Gerichtsverfahren eine große Verschwörung gegen die Türken. „Nur Schwarzköpfe angeklagt!“, sagt er empört. „Sind unsere Kinder denn schlechter als die deutschen?“ Besonders erbost ist er über Schulleiter Krewer; dem habe er seine Handy-Nummer gegeben, damit er ihn immer anrufen könne, wenn etwas mit Yussuf sei. Wenn der die Schule schwänzte, habe Krewer ihn auch jedes Mal informiert. Warum nicht, als er Yussuf von der Schule warf?
Mit dem Rausschmiss haben sich Yussufs Perspektiven erheblich verdüstert. Er hat nun keinen Schulabschluss. Zur Überbrückung absolviert er gerade ein Berufsvorbereitungsjahr an der Berufsschule und hofft, im Herbst eine Lehre in der Gastronomie beginnen zu können. Der Rauswurf, das Gerichtsverfahren, die ganze Publicity – all das sei ihm eine Lehre gewesen, versichert er. „Ich werde mich nie mehr prügeln!“
Und warum hat er früher zugeschlagen? Er grinst. Es habe ihm und seinen türkischen Freunden schon Spaß gemacht, den „Kartoffeln“, wie er die Deutschen nennt, Angst einzujagen und sich überlegen zu fühlen.
Christian Pfeiffer hat eine Zusammenfassung seiner Vorträge auf Türkisch übersetzen und an alle türkischen Familien Stadthagens schicken lassen. Neben vielem anderen steht da auch: „Sollten Sie bisher körperliche Züchtigungen in der Erziehung einsetzen, muss ich Sie zunächst darauf hinweisen, dass dies seit dem 1. Januar 2000 in Deutschland untersagt ist.“ Er solle den Brief „aufmerksam lesen und in der Moschee verteilen“, habe ihm Schulleiter Krewer aufgetragen, sagt der Elternvereinsvorsitzende Ayaz. Den meisten Türken sei der 10 Seiten umfassende Brief aber zu lang gewesen, fügt er lächelnd hinzu. Sie hätten ihn ungelesen weggeworfen.
* Alle Namen der Schüler wurden von der Redaktion geändert
- Das Problem sind die deutschen Politiker Tashi Lhunpo 06.3.2003 14:02 (6)
- Re: Immer die Politiker, die wir wählen. Guerrero 06.3.2003 21:41 (0)
- Re: Das Problem sind die deutschen Politiker ahlfi 06.3.2003 14:11 (4)
- Re: Das Problem sind die deutschen Politiker Tashi Lhunpo 06.3.2003 14:20 (3)
- Re: Das Problem sind die deutschen Politiker Bern 06.3.2003 14:46 (1)
- Re: Das Problem sind die deutschen Politiker BBouvier 06.3.2003 18:23 (0)
- Re: Stimmt, du hast recht!:-( ahlfi 06.3.2003 14:27 (0)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Andreas 05.3.2003 21:00 (25)
- Re: Sozialschwach Kober 06.3.2003 08:58 (8)
- Re: Sozialschwach BBouvier 06.3.2003 12:49 (0)
- Re: Sozialschwach ahlfi 06.3.2003 09:08 (6)
- Re: Sozialschwach - Schwachsinn Bern 06.3.2003 09:56 (3)
- Re: Sozialschwach - Schwachsinn Kober 06.3.2003 12:33 (2)
- Re: Sozialschwach - Schwachsinn Zwobbel 06.3.2003 12:42 (1)
- Re: Richtig, aber das ist ein anderes Thema (o.T.) Kober 06.3.2003 13:03 (0)
- Re: Sozialschwach Kober 06.3.2003 09:37 (1)
- Re: Sozialschwach ahlfi 06.3.2003 10:31 (0)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. BBouvier 05.3.2003 21:29 (13)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Andreas 05.3.2003 22:32 (0)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Andreas 05.3.2003 22:21 (2)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Badland Warrior 06.3.2003 05:38 (1)
- Re: interessant (o.T.) franz_liszt 06.3.2003 11:38 (0)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Badland Warrior 05.3.2003 22:19 (8)
- Re: Die 'Barbaren' weilen bereits unter uns. Zwobbel 06.3.2003 10:45 (0)
- Re: Gutmenschenjagd franz_liszt 06.3.2003 00:54 (6)
- Re: Gutmenschenjagd another 06.3.2003 01:04 (5)
- Re: Gutmenschenjagd franz_liszt 06.3.2003 01:13 (4)
- Moment mal? another 06.3.2003 01:30 (0)
- Re: Gutmenschenjagd another 06.3.2003 01:25 (2)
- passt schon Mat72 05.3.2003 21:17 (1)
- Dazu passende Auszüge aus Beesley und Widdowson Andreas 05.3.2003 21:30 (0)