Re: Beobachtungen zum Weltgeschehen Januar 2003

Geschrieben von Hubert am 31. Januar 2003 16:00:52:

Als Antwort auf: Beobachtungen zum Weltgeschehen Januar 2003 geschrieben von Danan am 31. Januar 2003 15:49:18:

Hallo Danan,

nachstehend vielleicht noch ein paar erläuternde Worte zur neuen Rolle der NATO:

Oberstleutnant Jürgen Rose: Gründe für den Angriff der Nato

Oberstleutnant Jürgen Rose, Mitarbeiter im Luftwaffenamt der Bundeswehr, verfasste am 24.11.99 einen bemerkenswerten Beitrag in der "Berliner Zeitung", in dem er unter der Überschrift "Warum die Nato angriff" die Hintergründe des Spannungsverhältnisses zwischen den USA und Europa herausarbeitete:

"Die Wirtschaftsmacht Europa dürfte zu einer ernsthaften Herausforderung für die Hegemonialansprüche der Supermacht USA werden. Zudem treibt die EU seit geraumer Zeit unter dem Rubrum der "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität" den Aufbau eigenständiger militärischer Kapazitäten voran. Forderungen nach der Gründung einer europäischen Rüstungsagentur werden immer nachdrücklicher erhoben, und gelegentlich werden auch schon Rufe nach einer gemeinsamen europäischen Armee laut.

In einer solchen Situation geoökonomischer Konkurrenz gepaart mit der potenziellen Ablösung des Exklusivitätsstatus´ der Nato, bot und bietet sich für die amerikanische Administration zwingend die Instrumentalisierung der Konfliktlagen im südosteuropäischen Raum als effektive Option an: Der unliebsame Konkurrent, der ein vitales Interesse an der Stabilität seines "Hinterhofes" haben muss, soll langfristig in dieser Region gebunden werden. Nicht unerhebliche diplomatische, finanzielle und militärische Ressourcen der EU sollen dort absorbiert werden, wo dies für die USA erstens kontrollierbar geschieht und zweitens ihren Interessen nicht direkt zuwiderläuft. Auf längere Sicht gilt es, der europäischen Wirtschaft neue Märkte zu erschließen, die Region für die Integration in die EU vorzubereiten und nicht zuletzt den Migrationsdruck in die hoch entwickelten Regionen Europas abzumildern.

Mit dem Interventionskrieg im Kosovo gelang es den USA in hervorragender Weise, die EU intensiv und auf lange Zeit in die Konfliktlagen auf dem Balkan zu verstricken. Indem die USA die Kompetenz für die operationelle Durchführung dieses Krieges reklamierten, schoben sie zugleich den Europäern die Verantwortung für den Wiederaufbau und die zukünftige Entwicklung der Region zu. Im Vergleich zu den damit verbundenen Kosten - Schätzungen schwanken zwischen 35 und 100 Milliarden Dollar - stellen die seitens der USA in diesen Krieg investierten Aufwendungen - man spricht von vier Milliarden Dollar - in der Tat "Peanuts" dar. (....)

Fazit: Der Interventionskrieg der Nato gegen Jugoslawien war mitnichten jener rein humanitäre "Kreuzzug für die Menschenrechte", als der er der Weltöffentlichkeit verkauft wurde. Er war durchaus von harten realpolitischen Interessenkalkülen determiniert. Letztere wurden allerdings von den beteiligten Akteuren systematisch hinter den Argumentationswolken universeller Moral verschleiert. Es zeigt sich zum wiederholten Male, dass es unter den Bedingungen medialer Omnipräsenz stets die `Schlacht der Lügen´ ist, die einen Krieg entscheidend prägt" (BZ, 24.11.99).

Die französische Regierung warf im November 1999 "Washington vor, bei der Auswahl der Ziele und dem Einsatz von modernen Waffen im Kosovo-Krieg die Nato-Partner wiederholt nicht informiert und einen `eigenen Krieg´ neben den Einsätzen der Allianz geführt zu haben" (FR, 12.11.99).

Der ehemalige Berater von Ex-Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, meint in seinem vielbeachteten Buch "Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft" (Weinheim/Berlin 1997, S. 92): "Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern". Wenig schmeichelhaft für Europa ist auch die Aussage von Jesse Helms, Vorsitzender des Außenpolitischen Senatsausschusses des US-Kongresses: "Bei allem Respekt ... Die Europäische Union könnte sich noch nicht einmal aus einer nassen Papiertüte freikämpfen" (in: Die Zeit, 4.6.98).

Da die Nato-Europa-Staaten und die USA sowohl in der Einwohnerzahl (USA: ca. 270 Mio., Nato-Europa ca. 300 Mio.) wie auch in der Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukte bei je ca. 8 Billionen US-Dollar) nicht sehr differieren, dürften die beiden letzten Aussagen eher Wunschdenken denn Realität sein. Die europäische Union bräuchte nicht zwangsläufig den derzeit eingeschlagenen Weg zur eigenständigen militärischen Festung nehmen, sondern könnte allein auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stärke ein enormes ziviles Potenzial in den internationalen Beziehungen entfalten.

Der in den USA sehr bekannte Schriftsteller Gore Vidal sieht Europa vor einer grundlegenden Herausforderung: "Für die Europäer ist jetzt die Zeit gekommen, sich von ihren amerikanischen Herren zu befreien. Es gibt Momente, wo Imperien ihre Energien verlieren und symbolisch werden" (in: Die Woche, 17.7.98).

Ein solcher historischer Moment war möglicherweise der 11./12.6.99, die überraschende Besetzung des Flughafens von Pristina durch 200 russische Soldaten, als der britische General Michael Jackson dem alliierten Oberbefehlshaber General Wesley Clark entgegnete, er sei nicht bereit den Dritten Weltkrieg durch die Eroberung des Flugplatzes und das Werfen der russischen Truppen zu beginnen. Auch nach Billigung des Plans durch das Pentagon teilte er kurz und bündig mit, seine Ansicht würde sich nur ändern, wenn man bereit sei `ganze Haufen toter Russen in Kauf zu nehmen´. Trotz dieser beharrlichen Befehlsverweigerung hat Jackson sein Kommando immer noch inne, während Clark von der Position des Oberkommandierenden früher als eigentlich geplant angeliftet wurde", berichtete das internationale Militärmagazin "Barett" Nr. 4/99, S.18.

Für das euro-atlantische Verhältnis bleibt weiterhin maßgebend, daß die USA mit ihrem ca. 5/8-Anteil an den Militärausgaben aller Nato-Staaten noch auf längere Zeit ein erdrückendes Übergewicht gegenüber den Europäern mit insgesamt zusammen ca. 3/8-Anteil behalten - und militärtechnologisch weiter davonziehen werden.

Von den 50 größten Unternehmen weltweit befanden sich 1999 immerhin 33 in den USA, die zusammen 71,8% der Börsenkapitalisierung der Top-50 hielten. Von den 200 größten multinationalen Konzernen weltweit lagen 1998 74 in den USA, in denen 52,7% aller Gewinne der Top-200 erlöst wurden (Angaben nach "Le Monde Diplomatique", Dez. 1999).


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