N: "Ende der Schonzeit" (Teil2)

Geschrieben von Fred Feuerstein am 15. Dezember 2002 19:09:35:

Als Antwort auf: N: USA wollen Januar Kriegsentscheidung erzwingen geschrieben von Fred Feuerstein am 15. Dezember 2002 18:59:28:

Ende der Schonzeit (2)

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Dass Washington neben dem Irak auch andere Länder, die Bush zu seiner "Achse des Bösen" rechnet, im Visier behält, machte die Kaperfahrt deutlich, auf die vorige Woche die spanische Fregatte "Navarra" vom US-Flottenbefehlshaber geschickt wurde.

Zunächst vergebens, mit Schüssen vor den Bug, versuchten die Spanier, den ohne Flagge fahrenden nordkoreanischen Frachter "So San" in internationalen Gewässern des Arabischen Meeres zu stoppen. Dann seilten sich spanische Kommandos halsbrecherisch von einem Hubschrauber aufs Schiffsdeck ab und zwangen den protestierenden Kapitän zum "full stop".

Begleitet von inzwischen eingetroffenen US-Spezialisten, fanden die Spanier, was vermutet worden war: 15 Scud-Raketen tief versteckt unter 40 000 Säcken Zement.

Peinlich nur: Die Waffen hatte, völlig legal, der Jemen in Pjöngjang gekauft. Um diesen wichtigen arabischen Verbündeten im Krieg gegen den Terror, der sofort scharfen Protest gegen den Piratenakt eingelegt hatte, nicht zu verprellen, mussten die Scharfmacher in Washington ihren Übereifer eingestehen und die verdächtige Ladung freigeben.

Nahezu zeitgleich beunruhigte ein weiterer amerikanischer Husarenstreich die Welt. Gebieterisch legten die Vereinigten Staaten am vorletzten Wochenende die Hand auf das 12 000-seitige Elaborat aus Bagdad. Eigentlich hatte der Uno-Sicherheitsrat, unter Zustimmung des US-Botschafters John Negroponte, noch am Freitag einstimmig beschlossen, dass der Blix-Inspektorenmannschaft das Recht auf Erstlektüre vorbehalten bleiben sollte. Erst danach würden sämtliche 15 Mitglieder dieses Gremiums eine bearbeitete Fassung erhalten.

Tags darauf sah Washington die Dinge ganz anders. Das Weiße Haus legte plötzlich größten Wert auf sofortige Übergabe - zuerst an Washington. Dort sollten Kopien für die vier anderen Ständigen Vertreter im Sicherheitsrat gezogen werden.

Der unfreundliche Coup, der den Sicherheitsrat spaltete, wäre allerdings ohne Erfolg geblieben, hätten Russland, England, Frankreich und China Widerstand geleistet. Das taten sie aber nicht; in der Ausübung des Privilegs, permanent und mit Vetomacht dem Sicherheitsrat anzugehören, sind sich die fünf Ständigen gegen die anderen rotierenden Mitglieder oft einig.

Das Einfallstor für das erstaunliche Spektakel bildete der kolumbianische Uno-Botschafter Alfonso Valdivieso, der derzeit den Vorsitz im Sicherheitsrat führt. Kolumbien bezieht gewaltige Summen an Wirtschafts- und Militärhilfe aus den USA. US-Außenminister Colin Powell räumte ein, dass er - kurz zuvor auf Staatsbesuch in Bogotá - auch über das "Verhalten im Sicherheitsrat" gesprochen habe. Nach anderen Berichten haben die Vereinigten Staaten schlicht mit Kürzung der Hilfsgelder gedroht für den Fall, dass die Kolumbianer sich den amerikanischen Wünschen verweigern.

Am Ende erteilte Valdivieso, in Gegenwart eines Washingtoner Delegierten, Blix die förmliche Weisung, das Bagdader Konvolut herauszurücken. Dafür gab es zwar keine rechtliche Grundlage, denn nur ein Beschluss des Sicherheitsrates hätte den Freitags-Beschluss umstürzen können. Doch darauf kam es jetzt nicht mehr an.

Bagdads Vorwurf, die USA wollten den Text ändern, um einen Vorwand für ihre Kriegsabsichten zu schaffen, leuchtet indes nicht ein. Denn eine weitere Kopie liegt bei Unmovic, und die Iraker selbst könnten jede Fälschung zu ihrem Vorteil propagandistisch ausnutzen.

Das Vorgehen der Amerikaner schuf böses Blut. Syrien und Norwegen legten förmlich Beschwerde gegen das überfallartige Verfahren ein. Generalsekretär Kofi Annan, sonst eher zurückhaltend, übte unmissverständlich Kritik an den Vereinigten Staaten: "Das war unglücklich, und ich hoffe, es wird sich nicht wiederholen."

Diese Mahnung kann in Washington nicht unbeachtet bleiben. Denn dort drängen die Hardliner auch deswegen aufs Zuschlagen, weil durchs Zuwarten ihre oft beschworene Unabhängigkeit von der Weltorganisation immer fragwürdiger wird. Das 12 000-Seiten-Konvolut aus Bagdad bringt Washington in eine Zwangslage: Zwar weisen die Amerikaner wie auch Uno-Experten darauf hin, dass große Teile des irakischen Dokuments aus Berichten bestehen, die schon für die vorherige Kontrolltruppe Unscom angefertigt worden waren. So fehle noch immer jeder Nachweis über den Verbleib von Hunderten B- und C-Waffen, nach denen schon Unscom vergebens gefahndet hatte. Die Lücken seien "groß genug, um mit einem Panzer durchzufahren", zitierte die "New York Times" einen Regierungsbeamten.

Doch ohne dass die Inspektoren die etwa 3000 Seiten umfassenden neuen Angaben genau (und zeitraubend) überprüft haben, können die USA Saddam schlecht weiter Täuschung vorwerfen - es sei denn, die US-Geheimdienste legten eigene Erkenntnisse auf den Tisch.

Doch seit die Forderungen nach Offenheit auch in Washington lauter werden, mehren sich die Stimmen, die behaupten, echte Beweise fänden sich auch nicht in den Panzerschränken der Briten und Amerikaner.

Mit alarmistischen Warnungen versuchte deswegen Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, allzu große Wissbegier in die Schranken zu weisen: "Angesichts der ungeheuren Gefahr können wir nicht auf den letzten Beweis - den Rauch aus dem Colt - warten, der in Form eines Atompilzes aufsteigen würde."

Ohnedies liefern vor allem Kronzeugen aus der irakischen Nomenklatura die Voraussetzung für die gezielte Suche nach verborgenen Massenvernichtungswaffen. Nach dem Golfkrieg von 1991 kam der Durchbruch zu neuen Erkenntnissen durch Überläufer wie den Saddam-Schwiegersohn Hussein Kamil Hassan, die den Weg zu Fundorten wiesen. Auf amerikanischen Druck gibt Uno-Resolution 1441 den Inspektoren deshalb jetzt sogar das Recht, Wissenschaftler oder Techniker mitsamt ihren Familien ins Ausland zu fliegen zur unbehelligten Einvernahme.

Allerdings greifen solche Kronzeugen, wie Uno-Experten immer wieder auffiel, bisweilen zur Fabel, um ihre Wichtigkeit für West-Geheimdienste zu erhöhen. So habe Washingtons Top-Zeuge für Saddams Atomprogramm, Khidhir Hamza, nur "anfangs gute Informationen" geliefert, berichtete der ehemalige Uno-Inspektor David Albright. Später habe er offensichtlich durchweg aus Unterlagen zitiert, die ihm zwischenzeitlich zur Prüfung ihrer Echtheit vorgelegt worden waren.

Der Schwede Blix zögert daher, von seinen Rechten vollen Gebrauch zu machen: "Wir werden niemanden entführen, und wir dienen nicht als Agentur zur Produktion von Überläufern." Deshalb ist sein zunächst passables Verhältnis zur Regierung Bush unterdessen mächtig abgekühlt.

Die versprochenen CIA-Dossiers zur Erleichterung der Detektivarbeit von Unmovic hat Washington nicht geliefert. Stattdessen reiste Bush-Beraterin Rice mehrmals nach New York, um Blix die Vorzüge der Verhöre außer Landes nahe zu bringen.

Irakische Wissenschaftler sind offenbar Washingtons letzte Hoffnung auf Belege für das immer wieder behauptete Fehlverhalten der Iraker. Ohne solche Zeugnisse fehlt nicht nur ein überzeugender Kriegsgrund. Auch die Uno-Zustimmung zu einem Waffengang wäre äußerst fraglich.

Deutschland, ab Januar Mitglied im Sicherheitsrat und wenige Wochen später dort mit dem Vorsitz betraut, scheint jedenfalls fest entschlossen, dem amerikanischen Drängen nicht nachzugeben. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering schlägt bereits kräftige Orientierungspfähle ein: Berlin werde sich bei einem Votum über einen Irak-Angriffskrieg entweder enthalten oder gar mit Nein stimmen.

Wenigstens einen prominenten Amerikaner werden Schröder & Co. dabei auf ihrer Seite wissen: Altpräsident Jimmy Carter las bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises vorige Woche in Oslo seinem Ururenkel im Amt die Leviten: "Wenn mächtige Staaten Präventivkriege zum Prinzip erheben, geben sie ein Beispiel mit möglicherweise katastrophalen Konsequenzen."




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