Re: @Torsten - das nationale Gefangenendilemma

Geschrieben von Torsten am 03. Dezember 2002 11:02:17:

Als Antwort auf: @Torsten geschrieben von Neues Licht am 02. Dezember 2002 22:20:09:

Liebes Neues Licht,

was Du machst, ist eine Bestandsaufnahme derzeitiger Zustände und Verhaltensweisen. Leider geht das weder im nationalen noch globalen Maßstab so weiter.

Vor und während der "Mensch"werdung beruhte der Gemeinnutz auf Instinkten. Die haben wir uns inzwischen abtrainiert und müssen sie im Interesse eines langfristigen Überlebens der Menschheit in ihrer Umwelt durch Vernunft ersetzen. Dabei ist das Gefangenendilemma ein guter Anhaltspunkt und liefert auch in beliebig großen Gruppen mit unbegrenzten Spielrunden dieselebe Lösung (was mit Hilfe von Computersimulationen ermittelt wurde).

Gerade das zeigt den fehlerhaften Ansatz unserer derzeitigen personenorientierten Hierarchie: Macht und Entscheidungsgewalt werden soweit konzentriert, bis der Entscheidende sein Entscheidungsfeld nicht mehr überblicken kann. Im Gegensatz dazu ist üblich geworden, Entscheidungen im persönlichen Handlungsraum zu delegieren. In den Medien heißt das "in die Pflicht nehmen". Im Ergebnis wird jede Entscheidung von einer Person getroffen, die sie weder überblickt noch selbst unmittelbar von ihr betroffen ist.

Ich rede hier nicht von einer grundlegenden Umstrukturierung des Staatsgefüges, sondern nur davon, daß Jeder nur das entscheidet, was er überblicken und verantworten kann (was man wohl Kompetenz nennt). Und in diesem überschaubaren Rahmen wird auch die Lösung des Gefangenendilemmas anwendbar, eben nicht auf 82 Millionen Menschen, sondern im eigenen überschaubaren Rahmen. Daraus ergibt sich die automatische Umsetzung dieser Lösung im nationalen und selbst globalen Maßstab. Auch das sagt das Gefangenen-Dilemma: das optimale Handeln ist unabhängig von der Kenntnis der Handlung des/der Anderen.

Nicht Anarchie ist die Lösung, sondern eine Hierarchie, die sachbezogen und nicht mehr personenbezogen ist. Und sie ist nicht nur sofort umsetzbar, sondern auch vom Einzelnen, der seine Stufe der Unfähigkeit (siehe Laurence J. Peter / Raymond Hull: "Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigkeit") verlassen möchte. Sogar unter Erhaltung der jetzigen Strukturen, die dann den neuen Erfordernissen angepaßt werden.

Ich halte nicht viel vom Ziel "Gerechtigkeit". In untauglichen Strukturen ist sie nicht umsetzbar und wird beim Versuch, sie zu schaffen, zur Vergrößerung von Ungerechtigkeiten führen. Ich sehe das Ziel in der Nützlichkeit und Langzeitstabilität durch Selbststabilisierung. "Gerechtigkeit" ist ein sich von selbst ergebendes Merkmal einer solchen Ordnung.

Wir können auch nicht so tun, als ob wir eine Wahl hätten. Jahrzehnte-, jahrhunderte- und jahrtausendelang haben wir versucht, die Entwicklung egoistisch, selbstherrlich und inkompetent zu organisieren. Das war lange kein großes Problem, weil die Menschheit noch nicht die Mittel hatte, ihre zukünftige Lebensgrundlage zu zerstören. Ab und an gehörte zu den als notwendig erachteten Entscheidungen, größere Mengen von Menschen zu erschlagen (aus verschiedensten vorgeschobenen Gründen, aber immer zur Anhäufung von Besitz und Macht). Inzwischen sind Anzahl und verfügbare Instrumente der Menschen so angewachsen, daß sie die Lebensgrundlage künftiger Generationen langfristig oder endgültig zerstören können. Im kleinen, harmlosen Maßstab wurden die Früchte der Arbeit von 2-3 kommenden Generationen im Voraus verpraßt (1,2 Billionen Staatsschulden). Im großen werden die Folgen der menschengemachten Klimakatastrophe und anderer ökologischer Zeitbomben sicher noch recht interessant.

Übrigens liegt mir Jammern fern (welches meist im Sinne von Selbstmitleid und Schuldzuweisung geschieht). Nicht die Symptome müssen beseitigt werden, sondern ihre Ursachen. Dazu muß man erst mal anerkennen, daß einfache Ursachen bestehen und welche. Ansonsten wird auch die hundertste Steuerreform, Zinserhöhung oder -senkung (erstaunlicherweise soll Beides immer denselben Effekt haben: die Wirtschaft zu beleben) und Hartz-Sklavenmarktordnung zu nichts Anderem führen, als einer Verschlechterung der Situation.

Mir ist klar, daß ich mit Worten wenig erreichen kann, sondern nur durch persönliches Vorbild. Dafür ist nützlich, erklären zu können, was ich gerade tue und warum - was unsere Berliner Nichtsnutze nicht vermögen. Zumindest nicht überzeugend. Das regelmäßige Verfehlen ihrer Ziele spricht auch dagegen, daß sie wissen, was sie tun.

Viele Grüße

Torsten



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