@Torsten

Geschrieben von Neues Licht am 02. Dezember 2002 22:20:09:

>Liebes Neues Licht,
>Gemeinnutz ist ganz einfach zu erklären und ergibt sich aus der Lösung des Gefangenen-Dilemmas. Da ich das schon öfter ausführlich erläutert habe, möchte ich hier nur eine Verknüpfung nennen: http://www.celtic-corner.de/weltformel/texte/ZW.HTML .
>Wenn 4 Jahre 16 Stunden täglich die Gesamtsituation verschlechtern, sollte man sich vielleicht mal 5 Tage 8 Stunden Zeit nehmen, darüber nachzudenken, woran das wohl liegen mag und wieviel von dem Herumgerenne mehr Schaden als Nutzen verursacht hat. Als Arbeit kann man das kaum bezeichnen, da Arbeit eine zielgerichtete, planvolle Tätigkeit ist.
>Wenn nicht Besitz und Macht im Mittelpunkt stehen, was dann? Wären es Kompetenz und Integrität, dürfte bei Betrachtung des Ergebnisses seit Jahrzehnten keinem Politiker mehr gelingen, zu lächeln. Zur Droge Macht gehört das Schwelgen in der eigenen Wichtigkeit und dem persönlichen Erfolg. Eigenschaften, die bereits am Anfang politischer Karrieren ausgeprägt sind. Und wie bei anderen Drogen erfolgt ein Realitätsverlust, der durch Rückzug in eigene elitäre Kreise verstärkt wird - unter Menschen ähnlicher Denkweise und ähnlichen Sozialstatus'. Gewollt und/oder ungewollt werden Entscheidungen zunehmend auf die Interessen dieser Kreise ausgerichtet.
>Von moralischen Mängeln ganz zu schweigen. Selbst am üblichen gesellschaftlichen Maßstab gemessen, finden Vorteilsnahme und persönliche Bereicherung in einem unverschämten Maße statt. Ob dabei tatsächlich kein Unrechtsbewußtsein besteht oder das nur die Maske für die Öffentlichkeit ist, ist unwichtig. Spendenaffären, Aufsichtsratsposten, Beraterverträge, private Nutzung der Flugbereitschaft, private Bonusmeilenverwendung und was weiß ich noch.
>Weil Du das erwähnst: gerade Politiker, die an der Spitze des Staates stehen, die Spielregeln festlegen und durchsetzen und deren Verhalten von Vielen wahrgenommen wird, sollten die von Dir genannte "menschliche Stärke" in besonderem Maße aufweisen und nicht mit Charakterschwäche und moralischer Flexibilität als schlechtes Beispiel vorangehen.
>Natürlich ist diese Einschätzung undifferenziert, da ich nicht auf alle Regierungsmitglieder, Abgeordnete und nachgeordnete Stellen eingehen noch alle kennen kann. Aber da liefert Jesus einen guten Anhaltspunkt: An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen. Diese Früchte sind: Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, gigantische Verschuldung, Sozialdemontage, Konzeptionslosigkeit und eine immer stärkere Umverteilung zugunsten einer Schicht, der - oh Wunder - die genannten Personen, ihre Verwandten, Bekannten und Geschäftspartner angehören.
>Wir können natürlich weiterwarten, bis sich die verstärkenden Spannungen gewaltsam entladen - oder versuchen, auf Mißstände und inakzeptables Verhalten aufmerksam zu machen und die Kurve weich zu kriegen.
>Viele Grüße
>Torsten

Torsten,

das Gefangenendilemma ist zwar ein gutes Beispiel für optimale Handlungen, aber nicht wenn es um 82 Millionen Menschen geht. Wie soll denn da ein rationales Abwägen funktionieren? Das ist schon allein aufgrund der Größe des Alternativenraums nicht möglich, da jedes einzelne Individuum in diesem Land unterschiedliche Ziele hat (=Interessen verfolgt). Somit kann man da in keiner Weise nach dem Prinzip des Gefangenendilemmas einen Gemeinnutzen errechnen, höchstens erahnen, und da ist es mit der Präzision schon wieder dahin. Bei 2 Leuten sind die Alternativen ja klar. Es gibt nur 4 verschiedene und eine optimale. Bei 3 sind es dann schon 9 und auch nur eine optimale. Wie´s weiter geht ist wohl klar.

Damit fällt auch dein nächstes Argument, denn wenn das Ziel der Gemeinnutz wie von dir definiert ist, ist das wie oben beschrieben nicht realitätsnah.

"Wenn nicht Besitz und Macht im Mittelpunkt stehen, was dann?" fragst du. Nun, ist das nicht bei einer jeden führenden Persönlichkeit, selbst beim Papst der Fall. Und wieder das Realitätsargument: wer, wenn nicht diese Leute, soll denn das Land "leiten"? Glaubst du, die Masse, alle 82 Millionen Menschen bei jeder Entscheidung wären die bessere Alternative. Kaum praktikabel. Also: selektieren und Macht delegieren...und zack, da haben wirs schon wieder mit der Ungerechtigkeit.

Und wenn du die Bereicherung und die Vetternwirtschaft kritisierst...Hallo, so ist der Mensch, nicht nur der homo politicus. Mit einigen wenigen Ausnahmen, die sich nur in Spiritualität üben (und trotzdem: auch die müssen essen, trinken, atmen, sich ggfs. verteidigen etc). Alle anderen brauchen Materie, Material, Besitz, Status oder wie auch immer man es nennen will.

Es ist richtig, Missstände aufzuzeigen, wenn man damit etwas erreicht. Ich bin da leider Pessimist. Ich halte es da auch nicht mit Kant, sondern mit Sartre: die TAT ist entscheidend. Jedoch halte ich es für keine gute Tat, meinen guten Willen (Kant) durch eine von dir beschriebene Tat zu zeigen. Dafür sind mir die Argumente zu schwach. Die Erkenntnis, dass was passieren muss jeder für sich selbst erfahren. Jemanden darauf stoßen bringt wohl auch nichts. Das kann man doch tagtäglich an jeder Straßenecke aufschnappen. Es nützt nichts, seinen Willen mit dem Reimen von Weltverbesserungsfloskeln zu zeigen. Damit hilft man- wenn man Glück hat- nur seinem Gewissen. Vielleicht, aber wirklich nur vielleicht beeindruckt man damit auch noch 2 oder 3 weniger Selbstdenkende. Aber das wars. Der Beitrag zum "Gemeinnutzen" ist null.

Wir jammern übrigens -um mal einen bekannten Politiker zu zitieren - auf hohem Niveau. Die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft ist nicht mehr als normal und absolut natürlich. Das ist nicht erst seit dem Beginn der Dekadenz hierzulande und anderen Orts so. Das war schon immer so. Das Prinzip ist klar: sobald man Macht verteilt, wird es ungerecht. Macht man es nicht...funktioniert es dann? Ist also Anarchie demokratisch (und wenn man das final zu Ende denkt: am Gemeinnutzen orientiert?) oder führt sie nicht auch zu Ungerechtigkeit en masse?

i.d.S.


P.S.: "Menschliche Stärke" ist nicht menschlich.


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