Re: Milosevic wurde ausgeliefert / Wer hat eigentlich das Sagen?
Geschrieben von stevengeorge am 02. Juli 2001 19:51:05:
Als Antwort auf: Re: Milosevic wurde ausgeliefert / Wer hat eigentlich das Sagen? geschrieben von Johannes am 02. Juli 2001 13:31:42:
Hallo Johannes,
>Hallo,
>war er wirklich DER Diktator und die Albaner die Unschuldslämmer?Die Albaner sind sicherlich keine reinen Unschuldslämmer, da gebe ich dir Recht, das Problem ist das der ganze Konflikt (betreffend das alte Gesamtjugoslawien) sehr alt ist, für uns Westdeutsche ist der komplette Konflikt nur sehr schwer nachvollziehbar, wir sind darauf angewiesen, das wir darüber informiert werden. Informationen können natürlich falsch sein, das kann ich nicht ausschließen.
> Begannen die massiven Angriffen der Serben (die, die ihnen jetzt besonders vorgeworfen werden) nicht erst nach den Nato-Angriffen?
das mag sein, aber die Information die ich in Erinnerung habe, war ein Ankündigen der Angriffe und der Westen hat daraufhin gehandelt.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt und generell halte ich militärische Konflikte, bzw. Krieg für falsch, aber unter den damals verfügbaren Informationen (gefälscht oder nicht ?), hielt ich den Angriff der NATO für gerechtfertigt.
Diese Rechtfertigung gilt jedoch nicht für alle Zeiten, die jetztige Diskussion um erneutes Eingreifen der NATO und Einbeziehung der Bundeswehr halte ich für falsch.
Wenn es darum geht, die Einsetzbarkeit der Bundeswehr hoffähig zu machen, muß ich ebenfalls sagen, das wäre falsch. Der Bundeswehreinsatz sollte eine Ausnahme bleiben.
>Ein Punkt, der mir z.B. in Erinnerung geblieben ist: Die OSZE-Beobachter wurden schlagartig zurückgezogen, was ganz klar Krieg signalisierte. Deren Dolmetscher wurden aber schutzlos zurückgelassen und daher die ersten Opfer der serbischen Wut. Dies war dann mit eine der Begründungen für die weiteren Aktionen. Sind nur die Serben schuld? Oder nicht auch die OSZE?
Ich denke, das war eine schwierige Situation und die Dolmetscher sind mit Sicherheit unschuldige Kriegsopfer. Ich betone nochmals, Krieg ist kein Mittel der Konfliktlösung, aber wenn es darum geht, größeren Schaden abzuwenden (und darum ging es IMHO !), dann wählt man das geringere Übel.
Ich möchte jedoch nicht den Eindruck erwecken, das ich das ganze Geschehen zu 100 % durchschaue, vielleicht hast du Recht und ich wurde das Opfer einer Täuschung, aber ich bin mir nicht sicher, das es wirklich so war.
>Ein anderer Punkt: Ein Interview über Satelitentelefon wurde nur ein einziges Mal gesendet und dann nie wiederholt (ich habe damals sehr viel Nachrichten gehört). Daraus ging hervor (ich kann es gern auch ausführlicher schildern), daß die UCK aus den Flüchtlingstrecks, die bereits in Albanien waren, alle jungen Männer herauszieht und sie zwangsrekrutiert für einen Einsatz in Albanien. Danach Funkstille über die verschwundenen jungen Männer bis zum nächsten Tag, an dem Scharping voller Entsetzen verkündet: "Schauen Sie sich doch einmal die Lager an, wie wenig junge Männer dort sind. Alle von der Serben niedergemetzelt". Deshalb sei es gerade für uns als Deutsche eine moralische Pflicht, einen neuen Holocaust auch mit Waffengewalt zu verhindern.
Wenn dem so ist, wie du sagst, kann ich nur sagen, das ich dafür kein Verständnis hätte. In diesem Fall müßte man feststellen, das Scharping und Co. ein bewußtes Täuschungsmanöver durchgeführt haben, was so nicht in Ordnung ist.
>Stichwort Hufeisenplan: Der war insbesondere dazu da, die Deutschen bei ihrem Holocaust-Gewissen zu packen, um so die allgemeine Zustimmung zu den Bundeswehreinsätzen zu erreichen. Nur - der Plan war eine Fälschung des Westens.
Von diesem Plan habe ich keine Kenntnis, daher kann ich mich nicht dazu äußern.
>Jetzt dürfen bewaffnete (!) Albaner unter dem Schutz der Amis aus Mazedonien abziehen, parallel dazu liefert die serbische Regionalregierung gegen den Willen der Bundesregierung, gegen den Spruch des Verfassungsgerichts und gegen die Verfassung Milosevic aus. Wenn gleichzeitig die bewaffneten Albaner vom Westen in Schutz genommen werden, ist dann nicht weitere Gewalt vorauszusehen?
Leider ja, das habe ich nie bezweifelt, mein Eindruck war bisher nur, das Milosevic in der Tat wie ein Diktator gewirkt hat, das Fehlen demokratischer Wahlen, die Unterdrückung der Pressefreiheit, gehen ja wohl eindeutig in diese Richtung.
>Ich kann Milosevic also nicht so eindeutig als DEN Diktator sehen. Zumal, wenn man das so sieht, noch ein weiteres Problem hinzukommt. Dann war es nicht nur eine Art Polizeiaktion (übrigens klar ohne UNO-Auftrag!), sondern ein Krieg (nach einer Polizeiaktion würde man die dortige Verfassung beachten, als Sieger in einem Krieg stehen die eigenen Wünsche naürlich über der Verfassung der Verlierer). Da uns Serbien nicht angegriffen hat, war es ein Angriffskrieg. Und was sagt unser Grundgesetz zu diesem Thema? Was soll passieren, wenn jemand versucht, einen Angriffskrieg vorzubereiten?
Das sind natürlich interessante Gedanken, zwischen Angriffskrieg und "Polizeiaktion" zu unterscheiden, diese Unterscheidung habe ich bislang noch gar nicht berücksichtigt. So gesehen ist die Auslieferung Milosevics natürlich nicht eindeutig gerechtfertigt.
>Übrigens, unser Bundeskanzler ist deswegen von einem jugoslawischen Gericht verurteilt worden (in Abwesenheit), die Vorwürfe beziehen sich u.a. auf einen Angriffskrieg, der mit gefälschten Beweisen begründet wurde.
Aber wohl doch noch unter Milosevic, nicht die jetzige (bzw. ehemalige Regierung, da diese ja wohl zerbrochen ist) ?
>Wird Schröder ausgeliefert? Oder wird nur der Kriegsverlierer ausgeliefert?...
>...Ich denke, Du siehst, wo ich meine Probleme habe...
ja ich sehe deine Einwände, zum Teil gebe ich dir sogar Recht, meiner Meinung ändert das nichts an der Tatsache, das Milosevic ein Diktator war, der abgeurteilt werden muß, ob von jugoslawischer Seite, oder von westlicher Seite, bleibt eine zweite Frage, über die man streiten kann.
> Insgesamt bin ich der Meinung, daß dieser Krieg nicht möglich gewesen wäre, wenn die Grünen nicht in der Regierung gewesen wären (die hätten dann lieber den Bundestag in Schutt und Asche gelegt, als einen deutschen Angriffskrieg zuzulassen).
Die Grünen haben sicherlich einen Teil ihrer Identität aufgegeben, ich fürchte aber unter CDU / FDP wäre es genauso gelaufen und der kleine Partner FDP hätte klein beigeben müssen. Ich denke der Druck der NATO war sehr groß, (zu groß ?) aber was bliebe Deutschland übrig, die NATO verlassen ?
Wenn deutlicher geworden wäre, das hier ein "ungerechter" Krieg geführt werden soll, dann würde ich sagen, sagt ein klares NEIN, das Problem war aber eben, das ein überwältigender Teil der Bevölkerung dem Vorhaben zustimmte und so hätte die Regierung nicht nur die NATO (bzw. USA),gegen sich gehabt, sondern auch die eigene Bevölkerung.
> So waren sie in der Regierung, Deutschland kann "endlich" wieder Krieg führen, und natürlich sind wir auf der guten Seite und kämpfen für das Richtige. Da darf es dann nicht stören, wenn Verfassungen mißachtet werden.das sehe ich als etwas überspitzt dargestellt, mit Freuden wurde dieser Einsatz IMHO nicht durchgeführt.
>Aber wo führt das hin? Die Nato-Doktrin wurde fundamental geändert. Die Mitgliedsstaaten verteidigen nicht mehr ihre Gebiete auf Gegenseitigkeit (was zu Frieden im Natobereich geführt hat), sondern jetzt werden "Interessen" verteidigt. Was ist z.B., wenn ein Öl-Land den Westen boykottiert und unsere Wirtschaft in Gefahr bringt? Dann sind doch unsere Interessen gefährdet, oder? Und außerdem, wer uns der Ölhahn zudreht, der geht doch bestimmt auch mit seiner Bevölkerung nicht gut um. Ob man also nicht auch gleichzeitig der Bevölkerung hilft, wenn man dort eine neue Regierung einsetzt?
Diese Änderung der NATO Doktrin sehe ich auch insgesamt Problematisch, die NATO spielt Weltpolizei.
>Ich sehe die Problematik schon, wir können nicht einfach zusehen, wie ein Land Teile der Bevölkerung ausrottet. Aber wohin führt das, wenn wir Grenzen nicht mehr beachten? WER definiert denn in Zukunft, wessen Grenzen oder Rechte noch mißachtet werden dürfen? Nein, nicht um jemand zu überfallen, das ist klar, aber eine Begründung wird sich doch noch finden lassen?
>Ich kann meine Frage auch anders stellen: Waren der Angriffskrieg (gegen das Grundgesetz, mit gefälschten Beweisen) und die nachfolgende Änderung der Nato-Doktrin im deutschen Interesse? Oder wer hat letztendlich die Entscheidung getroffen, daß Deutschland mitmachen muß? Nur Lafontaine hat sich kurz zuvor mit einer sehr fadenscheinigen Begründung aus der Regierungsverantwortung entzogen. Auch wenn ich ihn politisch nie mochte, nachträglich hat er dafür meinen Respekt.Es bleiben viele Fragen offen, ich bin weit davon entfernt, deine Meinung abzuschmettern, mein Gesamtfazit lautet:
Beide Seiten haben ihre Schuld, mir ging es aber vor allem darum, das Milosevic ein gerechtes Urteil bekommt, da er IMHO tatsächlich ein Diktator war, der dem jugoslawischen Volk geschadet hat.
Viele Grüße
stevengeorge
- Re: Milosevic wurde ausgeliefert / Wer hat eigentlich das Sagen? Johannes 03.7.2001 16:27 (0)