Re: Präventivschlag = Selbstverteidigung / Planspiel

Geschrieben von Swissman am 04. November 2002 00:44:44:

Als Antwort auf: Re: Präventivschlag = Selbstverteidigung / Planspiel geschrieben von IT Oma am 03. November 2002 10:37:47:

>Ich hatte über die Meldung keinerlei Wertung abgegeben.

Ich habe auch nichts derartiges hineininterpretiert - es war eher ein willkommener Anlass, meine Meinung bezüglich Präventivschlägen darzulegen. ;-)

>Ich fand sie interessant, denn soweit ich weiß, ist derartiges bislang nicht Teil der NATO-Doktrin (Kollektivverteidigung) gewesen - schon gar nicht gegen Terroristen.

Mir ist vor allem schleierhaft, gegen wen oder was sich ein Präventivschlag gegen Terroristen richten sollte. Insbesondere im Zusammenhang mit dem kommenden Irakkrieg ist dies lediglich ein Vorwand - ein durchsichtiger noch dazu (wobei die Amerikaner in ihrer Masse naiv genug sind, darauf reinzufallen).

>(Ich hab das in Anführungszeichen gesetzt, weil mir bis jetzt nicht ersichtlich ist, wo und wie der Irak sich anschickt, die NATO oder eins ihrer Mitglieder anzugreifen).

Dass Saddam Hussein ein Klosterschüler wäre, wird wohl niemand ernsthaft behaupten wollen - natürlich ist er, wie die meisten Herrscher in Nahost (einschliesslich enger Verbündeter der USA) ein brutaler Gewaltherrscher, der in erster Linie daran interessiert ist, seine Macht zu erhalten. Dafür geht er bedenkenlos über die Leichen seiner Untertanen, wie er bereits zur Genüge dokumentiert hat.

Dass er sich an den USA gerne rächen würde, ist zwar anzunehmen, Tatsache ist aber, dass er seit der vernichtenden Niederlage in "Desert Storm" die materiellen Mittel dazu nicht mehr besitzt: Die Armee wurde dezimiert, vorhandene Massenvernichtungsmittel weitgehend aufgespürt und vernichtet. Insbesondere ist der Irak nicht in der Lage, innert nützlicher Frist eine Atomwaffe zu bauen, es sei denn, jemand spielt ihm 5,4 kg (oder ein Vielfaches davon) zu.

Das wird durch die Blume selbst von den USA zugegeben: Da heisst es dann, der Irak könnte innert kurzer Zeit eine Atombombe bauen, WENN er an waffenfähiges Material gelangen würde. - Das entscheidende Wort ist WENN: Natürlich könnte er in diesem Fall eine Bombe bauen, so wie dies auch die meisten anderen Staaten der Welt tun könnten. Ohne zumindest eine kritische Masse aber bleibt auch noch so viel Wissen über die Funktionsweise von Nuklearwaffen nutzlos.

In den entsprechenden Berichten wird, im Wissen, dass die wenigsten Journalisten und Medienkonsumenten sich mit Atomwaffen auch nur halbwegs auskennen, ohne formal lügen zu müssen, eine Fehlinformation verbreitet. - Nur dass die Lüge erst im Kopf des Lesers entsteht.

Aber selbst wenn es Saddam gelänge, das spaltbare Material zu beschaffen und daraus eine Bombe zu bauen, würde deren Einsatz gegenwärtig mit grösster Wahrscheinlichkeit daran scheitern, dass keine geeigneten Trägersysteme (mehr) zur Verfügung stehen. Die Experten stimmen darin überein, dass der Irak im höchsten Fall noch ein Dutzend Scud-Raketen besitzt - eher weniger. Damit lässt sich, aus dem äussersten West-Irak gestartet, Israel knapp erreichen.

Nun ist Saddam Hussein kein Selbstmörder - trotz häufiger Reden, die das Gegenteil vermuten lassen, hängt er durchaus am Leben. Keinesfalls wird er Israel, unter normalen Umständen, mit Massenvernichtungsmitteln angreifen, da auch ihm bewusst sein muss, dass dieses Spiel auch zwei spielen können: Auch Israel besitzt die Bombe - der Einsatz einer irakischen Atombombe würde unweigerlich durch mehrere israelische Bomben vergolten.

Anders sieht es natürlich dann aus, wenn der Ami zwei Blocks weiter steht und Saddam sich ausrechnen kann, dass er den Sonnenuntergang so oder so nicht mehr erleben wird - in diesem Fall besteht durchaus die Gefahr, dass er, um die Türe mit einem lauten Knall hinter sich zu schliessen und seinen Namen unsterblich zu machen, den Einsatzbefehl erteilt (immer vorausgesetzt, dass es eine irakische Atomwaffe plus Trägersystem überhaupt gibt).

Meiner Meinung nach gibt es keine zwingenden Gründe, den Irak anzugreifen, sehr wohl aber solche, die dagegen sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass der kommende Irakfeldzug (und dass er stattfindet, scheint mittlerweile ausser Zweifel zu stehen) ein immenser strategischer Fehler ist: Einmal mehr zersplittern die USA ihre ohnehin begrenzten Kräfte, gleichzeitig bringen sie damit die ganze islamische Welt (und auch in Rotchina und Russland wird man die Gelegenheit benutzen, um die Bevölkerung im Sinne des Regimes zu "informieren") gegen sich auf, anstatt auf ein Bündnis gegen den gemeinsamen Feind hinzuwirken. Eines Tages wird man den Fehler einsehen und ihn verurteilen.

Dass es diesmal keinen klinisch reinen "Nintendo-Krieg" geben wird, versteht sich von selbst - Saddam weiss mittlerweile, dass er im offenen Gelände angesichts der US-Luftherrschaft keine Chance hat. Also wird er diesmal seine Kräfte wohl in den Städten konzentrieren und die Amerikaner in blutige Häuserkämpfe zu verwickeln versuchen. Wie die US-Öffentlichkeit darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten.

>Auch steht diese Änderung offenbar im Zusammenhang mit der Aufnahme weiterer Miglieder in die NATO im November, darunter auch die baltischen Kandidaten. Das kann von Russland eigentlich nur als Herausforderung verstanden werden.

Man sollte hierbei zwischen dem russischen Volk und seiner Regierung unterscheiden: Der Regierung dürfte die Erweiterung, auch wenn man das offiziell natürlich niemals zugeben würde, durchaus gelegen kommen - gerade weil man sie propagandistisch in idealer Weise benutzen kann, um dem Volk eine "westliche Bedrohung" einzuimpfen, die es zu bekämpfen gelte.

>So durchschlagend der militärische Erfolg auch sein mag, so leicht und so verlockend ist es, eine solche Option zu mißbrauchen. G.W.Bush versucht das ja gerade beim Irak - wenn auch sehr plump. Da die Kommandostruktur in Deinem Szenario völlig an jeder öffentlichen Legitimation vorbeigeht, kann eine solche geheime Spezialtruppe zu allem möglichen verwendet werden, z.B. als Privattruppe eines oder mehrerer Leute mit hinreichend krimineller Energie.

Theoretisch liesse sich der gleiche Einwand auch gegen die Verwendung von Atom-U-Booten anführen: Die Abschuss-Codes befanden sich während des Kalten Krieges an Bord. Aus Sicherheitsgründen waren sie in einen Kunststoffbehälter eingeschweisst, der sich nur öffnen liess, indem man ihn zerbrach. Der Behälter war seinerseits stets in einem Tresor eingeschlossen. Um ihn zu öffnen brauchte man zwei Schlüssel sowie einen Code. Kapitän und erster Offizier verwahrten jeweils einen Schlüssel sowie den halben Code.

Die damalige Einsatzdoktrin gewährte dem Kapitän das Recht, unter gewissen Umständen selbstverantwortlich einen Abschuss anzuordnen. Die Absicht war, die Durchführung eines Gegenschlages auch für den Fall sicherzustellen, dass die komplette politische und militärische Führung den Erstschlag nicht überlebt hätten, oder die Befehlskette aus technischen Gründen unterbrochen worden wäre.

Für die Besatzungen der landgestützten Raketensilos galt eine analoge Regelung. Bis zu Clintons Amtsantritt galt die Doktrin "Abschuss bei Vorwarnung" - da die Vorwarnzeit lediglich 15 - 30 Minuten betrug (und immer noch beträgt) hatte NORAD, bzw. dessen ranghöchster Offizier, den ausdrücklichen Befehl, einen Nuklearschlag zu starten, sobald einfliegende Raketen geortet waren. Zwar sollte der Präsident darüber informiert werden, um den Befehl formal selbst zu erteilen, gleichzeitig hätte aber bereits das Abschussprotokoll eingeleitet werden, und das strategische Bomberkommando hätte seine Maschinen sofort starten lassen müssen. Wenn der Präsident bis zum Erreichen des eigenen Luftraumes nicht am Hörer gewesen wäre, oder sich nicht hätte entscheiden können, wären die Raketen trotzdem gestartet worden.

Aus naheliegenden Gründen wurden nur absolut vertrauenswürdige Soldaten dazu ausersehen, diesen verantwortungsvollen Dienst zu versehen. Augenscheinlich enttäuschte keiner von ihnen das in ihn gesetzte Vertrauen.

Bill Clinton setzte diese Doktrin mittels der Präsidentenweisung PDD-60 ausser Kraft und ersetzte sie durch "Abschuss bei Bestätigung". Robert Bell, ehemaliger Direktor für Verteidigungspolitik und Abrüstung im nationalen Sicherheitsrat, der die Anweisung mitverfasste enthüllte in einem Interview schier Unglaubliches: "In dieser PDD werden unsere Streitkräfte angewiesen, sich darauf vorzubereiten, nicht länger auf „Abschuss bei Vorwarnung“ angewiesen zu sein – sie sollen in der Lage sein, einen Nuklearschlag einzustecken, und genügend verbleibende Schlagkraft zu besitzen, um auch dann noch eine glaubwürdige Abschreckung darzustellen... Unsere Taktik sieht vor, zuerst zu überprüfen, ob wir wirklich mit Atomwaffen angegriffen werden, indem wir die ersten Detonationen abwarten, bevor wir zurückschlagen."

Faktisch hat dies zur Folge, dass ein Erstschlag, bei Befolgung dieser Weisung, sämtliche Interkontinentalraketen und Langstreckenbomber, sowie das Drittel der Nuklear-U-Boote, dass sich jeweils im Hafen befindet, vernichten kann, bevor den verbleibenden U-Booten ein Gegenschlag befohlen wird (vorausgesetzt, die Führung überlebt).

Wenn ich zum Schluss komme, die zu schaffende Einheit ohne Wissen der "öffentlich legitimierten Stellen" zu schaffen und betreiben, dann hat dies zwei Gründe: Zum einen ist die Geheimhaltung hierbei von entscheidender Wichtigkeit - je weniger Leute davon wissen, desto geringer ist das Risiko, dass die Geheimhaltung durchbrochen wird (wenn man bedenkt, dass es dem KGB sogar gelang, die Leiter der Spionageabwehrabteilungen von CIA und FBI anzuwerben, dann braucht es keine grosse Phantasie, um zum Schluss zu kommen, dass es noch etliche andere Judasse geben muss, die man bislang nur noch nicht entdeckt hat. Die etablierten und daher der Gegenseite bekannten Stellen sollte man daher tunlichst umgehen). Andererseits verstehen die meisten Politiker unter "langfristigem Denken" die Vorbereitung ihrer Wiederwahl - sie können oder wollen nicht gar nicht weiter in die Zukunft blicken. - Wozu sie also unnötig belasten *g*

Hinzukommt natürlich, dass meine Idee bei Bekanntwerden durchaus als "Vorbereitung eines Angriffskrieges" ausgelegt werden könnte, denn rein technisch handelt es sich natürlich um eine Erstschlagswaffe, auch wenn damit lediglich einem Angriff des Gegners zuvorgekommen werden soll.

>(Um sowas zu verhindern, haben wir im GG schließlich Gewaltenteilung!)

Die Gewaltenteilung spielt hier formal keine Rolle - der eigentliche Knackpunkt wäre vielmehr das Verbot der "Vorbereitung eines Angriffskrieges" (woebi ich entschieden bestreite, dass ein Präventivschlag mit einem Angrifskrieg gleichzusetzen ist).

Allerdings hatte ich auch weniger an Deutschland, als vielmehr an die USA, evtl. auch Grossbrittannien und Frankreich, gedacht, da diese bereits über die technischen Voraussetzungen zu deren Realisierung verfügen (an dieser Stelle sollte man auch Israel nicht vergessen - die technischen Voraussetzungen (mit der möglichen Ausnahme der gewünschten Stealth-Technologie) dürften mit Sicherheit vorhanden sein. Ich wäre nicht wirklich überrascht, wenn Israel bereits etwas in dieser Art besitzen würde).

>Angesichts der Folgen, die ein Angriff mit A- und C-Waffen hätte, insbesondere wenn der Feind nicht sofort völlig "enthauptet" wird, (die würden über "Ressentiments" wohl doch hinausgehen!), kann ich Deine Idee nicht unterstützen

Die Folgen wären in jedem Fall nicht schlimmer, aller Wahrscheinlichkeit nach sogar deutlich geringer, als wenn man dem Iwan gestattet, den Aufmarsch abzuschliessen und die Initiative an sich zu reissen. Solange die Kommunisten in Russland an der Macht sind, egal wie sie sich gegenüber der Öffentlichkeit bezeichnen mögen, ist eine gewaltsame Auseinandersetzung unausweichlich, da der Kommunismus die Erringung der Weltherrschaft als wesentliches Ziel postuliert.

Der viel zu frühe Unfalltod General George S. Pattons war insofern ein besonders tragischer Verlust, als er sich dieser Tatsache voll bewusst war. Hätte er einige Jahre länger gelebt, dann könnten wir bereits im Goldenen Zeitalter leben.

>(aber das ist Dir vermutlich sowieso egal).

Egal nicht, aber ich kann damit leben, dass meine Idee nicht auf ungeteilte Zustimmung stösst. ;-)

Letztlich handelt es sich dabei ja doch lediglich um das geringere von zwei Übeln.


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