Baram: 'Die Eile der USA ist richtig'

Geschrieben von Hubert am 16. September 2002 13:02:36:

Hallo zusammen,

nachstehendes Interview findet sich im aktuellen FOCUS, Seite 212:

Irak-Experte Amatzia Baram über die Psyche von Saddam Hussein und die Stimmung in der irakischen Armee und Bevölkerung

FOCUS: Wie wird sich Saddam Hussein verhalten angesichts des Drucks, den die USA ausüben?

Baram: Saddam ist immer dann vollkommen unberechenbar geworden, wenn er sich von außen bedroht fühlte und gleichzeitig meinte, politisch und militärisch sehr stark zu sein.

FOCUS: Ist das aktuell der Fall?

Baram: Nein. Er ist militärisch nicht am Ziel, weil er die Atombombe nicht hat. In dem Moment, in dem die nuklearen Forschungen des Irak Früchte tragen, wird es einen Quantensprung geben, Saddams Verhalten in die Aggression und Selbstüberschätzung umschlagen, die wir von zwei Kriegen am Golf kennen.

FOCUS: Wie sieht sein Waffenarsenal aus?

Baram: Ich schätze, dass er von der Atombombe ein bis fünf Jahre entfernt ist. Je nachdem, ob es ihm gelingt, spaltbares Material auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, oder ob er es selbst herstellen muß, was Jahre dauert. Mit Sicherheit verfügt er über ein Arsenal an chemischen und biologischen Kampfstoffen. Wie ausgereift die dazugehörige Waffentechnik ist und wie weit die Trägersysteme reichen, weiß zurzeit niemand.

FOCUS: George Bush erweckt den Eindruck, der Irak könne die USA morgen angreifen.

Baram: Es ist richtig, schnell zu handeln. Wenn jetzt erneut geduldig über UN-Waffeninspektionen verhandelt wird, geht das alte Spiel von vorn los: hinhalten, verschleppen, Behinderung der Inspekteure vor Ort. Bis dahin vergeht leicht ein halbes Jahr. Und der Juni ist eine Zeitschranke: Sie können zwischen Juni und September wegen der Hitze keinen Krieg führen am Golf.

FOCUS: Mit welcher Truppenmoral werden die US-Soldaten konfrontiert sein, wenn es zu einer Bodenoffensive kommt?

Baram: Die Elitetruppe der Republikanischen Garden kämpft bis zum letzten Blutstropfen. Das sind rund 27.000 Mann. Die Offiziere werden ihre Saddam-Treue so lange aufrecht erhalten, wie sie Zweifel an dessen Sturz haben. Und die einfachen Soldaten gehorchen den Soldaten.

FOCUS: Das irakische Volk hat zwei Kriege, eine militärische Niederlage, härteste Sanktionen und den wirtschaftlichen Niedergang erlebt. Überwiegt die Enttäuschung über Saddam oder der Hass auf Amerika?

Baram: Im Irak herrscht ein Spitzelsystem, das es äußerst schwer macht, ein realistisches Stimmungsbild einzuholen. Meine langjährig gepflegten Quallen sagen mir, dass sieben bis acht von zehn Irakern mit dem System unzufrieden sind und sich von Saddam nichts mehr erwarten. Sie wollen einen Wechsel. Die Mehrheit wünscht freilich einen eigenen arabischen Weg und keine amerikanischen Truppen im Land.


Prof. Amatzia Baram ist Direktor des Middle-East-Instituts der Uni Haifa. Als Wissenschaftler diente er der israelischen Regierung und der US-Administration.




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