Re: Eine interessante Fragestellung...
Geschrieben von Johannes am 10. September 2002 13:55:47:
Als Antwort auf: Eine Interessante Fragestellung... geschrieben von Mulder911 am 10. September 2002 12:28:33:
> Nun gut, da kein Tatbestand, ein Verbrechen vorliegt, dürfte man diese Leute
> doch erst ausweisen, wenn sie selber gewalttätig werden würden, oder? Ich
> frage mich ernsthaft, in welche Richtung unsere Politik unter Stoiber klamm-
> heimlich dirigiert werden würde...
Hallo Mulder911,ich fand die Forderungen von Stoiber auch etwas bedenklich.
Allerdings, ich möchte auch nicht so pauschal NEIN sagen nach dem Motto, erst handeln, wenn die Gewalttätigkeit nachgewiesen wurde. Dabei sehe ich 2 Punkte:
- Zwischen "strafbar werden" und gerichtlichem Nachweis vergehen oft Jahre. Mancher Gewalttäter fängt erst klein an und wendet da und dort immer mehr Gewalt an. Erster Prozeß, zweiter Prozeß, Berufung, neue Anträge, und derweil macht er ggf. weiter. Und da betrachte ich die Sache eben auch aus der Perspektive des Opfers.
- Ab wann liegt ein Straftatbestand vor? Laß Dir doch mal von Opfern, denen Gewalt angedroht wurde, ihre Erlebnisse schildern. Wenn sich ein viel Stärkerer vor Dir aufbaut und droht, gleich könntest Du Dir eine neue Brille kaufen, dann weißt Du genau, daß es ihm nicht um die Gläser geht, sondern er damit droht, Dich zusammenzuschlagen. Und was sagt die Polizei? Haben Sie Zeugen? Und selbst, wenn: Die Drohung mit einer kaputten Brille ist kein "empfindliches Übel", bleibt also straffrei. Daß Du genau wußtest, was der Kerl eigentlich meinte, wird der Richter nur sehr selten berücksichtigen.
Wir haben also eine riesige Grauzone, in der Gewalt ausgeübt werden und sich etablieren kann. Bezirke, in die man besser nicht Nachts geht, Leute, mit denen man besser keinen Streit sucht, wo man lieber auf sein Recht verzichtet. Hier bilden sich Subkulturen aus, die nur noch ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind, da "Normalsterbliche" keinen Zugang mehr haben. Was alles daraus folgt und was in diesen Kreisen weiter besprochen, geplant und entwickelt wird, weiß niemand.
Wir können Verbrechen abwarten, Täter suchen, Endlosprozesse führen, kurz gesagt: Recht sprechen. Aber das Gewaltpontential wird das kaum eindämmen, da zwischen erster Gewalttat und erster deutlicher Verurteilung meist Jahre vergehen, in der sich die Gewalt ausweitet.
Versuche doch mal, Dich in die Situation eines Opfers hineinzuversetzen, egal ob Überfall, Vergewaltigung oder sonstwas. Der Täter läuft frei herum und macht sonstwas, weil man ihm nicht alles mit letzter Sicherheit nachweisen kann. Du als Opfer wirst weiter bedroht, wenn Du aussagst, kannst das aber nicht nachweisen, weil Dir ja nur jemand sachlich gesagt hat, er hätte von Bekannten gehört, es sei besser für Dich, wenn Du schweigst. Sicherlich sei das nicht gut, deshalb wolle er Dich ja auch warnen, er meine es ja nur gut mit Dir. Nein, wer die Bekannten seien, wolle er nicht sagen, denn er hätte ja auch Angst.
Juristisch also eine weitgehend sichere Methode, jemanden einzuschüchtern, ohne bestraft werden zu können. Und hier setzt Stoiber an, so wie ich ihn verstanden habe. Oft ist der Hintergrund sehr klar, aber juristisch nicht nachweisbar, weil die letzten Fakten fehlen. Und in diesen Fällen, in denen mit sachlich nüchterner Einschätzung eine klare Bedrohung gegeben ist, will Stoiber gleich handeln können, ohne den Tätern noch jahrelang Zeit zu geben. Ich habe versucht, das an Beispielen zu verdeutlichen (nur das mit der Brille habe ich selbst erlebt), um die Problematik aufzuzeigen. Ich verstehe die Bedenken vor Stoiber's Ideen, aber ich kann Stoiber auch gut nachvollziehen.
Gruß
Johannes