Geheimhaltung und Arbeitsteilung
Geschrieben von Swissman am 06. September 2002 18:01:10:
Als Antwort auf: Re: 911-Jahrestag: In Wirklichkeit heute? geschrieben von Johannes am 06. September 2002 02:26:48:
>Dein Gedanke mit dem Datum ist faszinierend und ich kann nur hoffen, daß Du Unrecht hast.
Ich habe mich glücklicherweise tatsächlich geirrt.
>Also, demnach bringen die genau einen Tag vor dem munitiös geplanten WTC-Attentat den Führer der Nordallianz um. Okay, das war ihr Gegner, ein Motiv gibt es also immer. Aber es war ein Gegner mit einem gewissen "Ehrgefühl", der sich keinem fremdem Land anbiedern wollte, damit dessen Truppen in sein Land einmarschieren. Das Attentat auf Massud hat nun genau den Weg freigemacht für einen Nachfolger, der zu eben dieser Zusammenarbeit mit dem Ausland bereit war, was in der Folge unzähligen Taliban den Tod gebracht hat.
Ahmed Schah Massud wurde zur Zeit der sowjetischen Besatzung, wie die meisten afghanischen Widerstandsgruppen, von den USA (übrigens hatten damals auch die Briten eine ganze Anzahl SAS-Männer in den Hindukusch entsandt, um die Mudschaheddin an den gelieferten Waffen und in moderner Infanterietaktik in kleinen Gruppen auszubilden - teilweise wurden diese Männer vor einem Jahr wieder reaktiviert, um ihre Kontakte zu nutzen) unterstützt. Massud entwickelte sich schon früh zu einer Schlüsselfigur im Kampf gegen die Bolschewiken: Als einem der ersten Mudschaheddin-Führer gelang es Massud, (im Pandschir-Tal) dauerhaft ein geschlossenes befreites Gebiet zu errichten - Obwohl die Sowjets immer wieder versuchten, die Festung Pandschirtal unter Aufbietung grosser Bodentruppen zu zerschlagen, gelang dies nie.
Massuds erfolgreiche Verteidigung des Panschirtals hatte entscheidenden Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf, weil der Salang-Pass haarscharf am Pandschirtal vorbeiführt. Anfangs wurde der gesamte Nachschub für die sowjetischen Besatzer in Süd- und Ostafghanistan über den Salang herangeführt - Massud's grosses Verdienst besteht darin, dass er am Salang die sowjetische Hauptschlagader weitestgehend abdrückte. Schliesslich konnte der Salang-Pass nur noch in schwer gesicherten Konvois befahren werden, die sich den Weg regelmässig unter blutigen Verlusten freikämpfen mussten, wobei die Verluste jenseits von Gut und Böse waren. Die Sowjets blieben trotzdem auf den Salang-Pass angewiesen, da die einzige Alternaive, die Ringstrasse über Herat, erheblich länger, die Verluste somit noch grösser waren. In der Endphase waren die Besatzer vielerorts darauf angewiesen, ihren Nachschub einzufliegen - nachdem Ronald Reagan endlich beschlossen hatte, Stinger-Raketen zu liefern, wurde die Position der Sowjets endgültig unhaltbar.
All dies war natürlich den Taliban ebenfalls bewusst. Massud musste, aus Taliban-Sicht, weg, wenn man sich das Pandschir-Tal ebenfalls unterwerfen wollte. Unterwarf man das Pandschir-Tal aber nicht, dann war es eine blosse Frage der Zeit, bis Ahmed Schah Massud stark genug würde, um seinerseits wieder offensiv tätig werden zu können. Zweifellos wussten die Taliban auch, dass sie im Volk nicht unbedingt beliebt waren: Anfangs vielerorts als Friedensbringer begrüsst, entpuppten sie sich schnell als brutale ehrlose Despoten. Ehrlos deshalb, weil die Taliban ganz offen gegen diverse Regeln des Paschtunvali, des ungeschriebenen Ehrenkodex der Paschtunen verstiessen.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass unter den gefangengenommenen Taliban die Afghanen gerademal auf einen Anteil von 50% kamen - die Taliban stützten sich zu einem guten Teil auf pakistanische Freiwillige (überwiegend Hinterwäldler und Angehörige der Unterschicht, die in kostenlosen "Koranschulen" der Taliban indoktriniert worden waren). Die Taliban wurden in Afghanistan ebenfalls als Fremdherrscher wahrgenommen.
Ich denke daher nicht, dass Massud die Hilfe der USA abgelehnt hätte - Wohl aber hätte er es nicht zugelassen, dass die Amis unbegrenzt lange im Land bleiben, da stimme ich Dir zu.
Vielleicht sollte man hier noch anmerken, dass Massud in erster Linie General war - der politische Führer der Nordallianz war zum damaligen Zeitpunkt Burhanuddin Rabbani.>Waren die Taliban also einfach so dumm, genau den Führer zu beseitigen, der wohl die Zusammenarbeit mit den USA verweigert hätte?
Nicht unbedingt: Das Attentat gegen Massud muss ja nicht unbedingt eine Operation Osama bin Ladens gewesen sein - es scheint mir sogar logischer, deren Urheber bei den Taliban zu suchen, die ja primär an Massuds Tod interessiert gewesen sein mussten. OBL hingegen scheint in grösseren Dimensionen zu denken.
Es ist natürlich gut möglich, dass hier tatsächlich zwei Operationen unabhängig voneinander geplant und durchgeführt wurden. Denn eines ist ja wohl klar: Mit Sicherheit hat OBL nicht jedem erzählt, dass er einen Anschlag auf das WTC und das Pentagon vorbereite - vielmehr musste der Kreis der Mitwisser, um einer vorzeitigen Enttarnung zuvorzukommen, möglichst klein gehalten werden. Daher hat man vermutlich die Vorbereitung in verschiedene Schritte unterteilt, die dann arbeitsteilig durchgeführt wurden. Den Beteiligten hat man nur gerade das gesagt, was sie unbedingt wissen mussten, um ihren kleinen Beitrag zum grossen Ganzen erbringen zu können (was man nicht weiss, kann man auch nicht verraten!). - Ich halte es übrigens auch für möglich, und sogar wahrscheinlich, dass nur die Piloten unter den Entführern wussten, wohin die Reise geht, während man die restlichen Täter im Glauben liess, an einer "normalen" Flugzeugentführung teilzunehmen.
Die Taliban hätte man wohl auch nicht vorgöngig informiert, bzw. nur "Mullah" Omar, und auch diesen möglicherweise nur in allgemein gehaltener Form. Bereits die Geheimpolizei der Taliban, die zu diesem Zeitpunkt möglicherweise ihrerseits ein Attentat gegen Massud vorbereitete, hatte wahrscheinlich keine Ahnung darüber, was OBL genau trieb. - Das zeitlich enge Aufeinandertreffen der beiden Anschläge wäre dann ein blosser Zufall...