Glaubt doch bitte nicht alles, was ihr im TV seht

Geschrieben von Swissman am 17. April 2002 22:50:59:

Als Antwort auf: Wer sin die Roten wirklich? geschrieben von PAKU am 17. April 2002 10:13:11:

>Ihr kennt sicher die angsteinflößenden, ekligen Bilder von Hiosbollakämpfern und Kindern(!), die sich unter Choranzitaten die Kopfhaut schlitzen lassen und dann mit Stöckern die Wunden schlagen, bis sie blutüberströmt durch die Straßen gehen und ihre Bereitschaft zum Selbstmordanschlag kundtun. Das ganze ist eine rote, bluttriefende Prozedur.

Ja, ich kenne die Bilder nur zu gut, und reagiere darauf im Allgemeinen etwas gereizt: Die handelnden Personen sind KEINE Schiiten, bzw. keine "richtigen" Schiiten - es handelt sich dabei um Anhänger einer radikalen Sekte, die heute so gut wie bedeutungslos ist (dem einen oderen sagt "der Alte vom Berg" vielleicht etwas...?). Bei dieser Sekte handelt es sich geschichtlich gesehen um eine Abspaltung von den Schiiten, die z. B. nur einen Teil der Imame als rechtmässig anerkennt. - Tatsache ist, dass die Anhänger dieser Gruppe die geschilderten Rituale durchführten, und dies teilweise auch heute noch tun. An Orten, wo sie in räumlicher Nähe zu normalen Schiiten leben (im allgemeinen handelt es sich dabei um sehr abgelegene Ortschaften, deren Einwohner man gemeinhin als "Hinterwäldler" zu bezeichnen pflegt) wurde dieser seltsame Brauch mitunter auch von orthodoxen Schiiten angenommen.

Die Hisbollah jedoch ist in diesem Zusammenhang absolut fehl am Platz: Bei den Hisbollahi handelt es sich um gewöhnliche 12er-Schiiten.

12er-Schiiten gedenken im islamischen Monat Muharram, anlässlich des Aschura-Festes, ihrer ermordeten Imame Ali und Hussein. Aus diesem Anlass werden eigentliche Passionsspiele aufgeführt, in denen die Leiden der Imame nachgestellt werden. Aschura gipfelt im kollektiven Wehklagen um die ermordeten Imame.

Gäste aus dem Abendland sind dabei übrigens durchaus willkommen, und häufig wird ihnen sogar der Ehrenplatz zugewiesen - Die schiitische Überlieferung weiss nämlich folgendes zu berichten: Nachdem Hussein und seine Familie ermordet worden waren, brachten die Häscher den abgeschlagenen Kopf des Imams und seine weiblichen Verwandten in den Palast des Kalifen. Der Zufall wollte es, dass sich gleichzeitig ein Abgesandter aus dem Abendland (je nach Quelle stammte er aus Konstantinopel oder aus dem Heiligen Römischen Reich) bei Hofe aufhielt. Der Mann fragte den Sultan, was es mit diesen Menschen auf sich habe. Als er erfuhr, dass dies die Familie des Imams, Verwandte Mohammeds, sei wurde der Botschafter zornig, schimpfte den Sultan einen Verbrecher, und forderte die Freilassung der Frauen. Dieser wurde seinerseits wütend, und verlangte nach einer Entschuldigung. Anstattdessen küsste der Gesandte den Kopf Husseins, woraufhin er ebenfalls erschlagen wurde. Für die Schiiten gilt der "abendländische Botschaft" als einer der frühesten Heiligen ihres Glaubens.

Hinzu kommt, dass der Mahdi, der "verborgene Imam" gemeinhin irgendwo in der christlichen Welt vermutet wird, da sein letzter Brief in Konstantinopel geschrieben worden sein soll.

Um nun wieder auf den geschilderten Brauch zurückzukommen: Kein geringerer als Ayatollah Khomeini persönlich hat diese Praxis in einer Fatwa verurteilt.

Die fragliche Filmsequenz, wird von Zeit zu Zeit gezeigt, um die angebliche besondere Gefährlichkeit des Islams im Allgemeinen, und der Schiiten im Besonderen, zu "beweisen". Meines Wissens tauchte sie erstmals Ende der 70er/Anfangs der 80er Jahre, kurz nach dem Sturz des Schahs, auf. Man fragt sich, wer die Urheber sein könnten. Zwei Hauptverdächtige fallen mir spontan ein: Israel, die USA, die Sowjets und Saudi Arabien.

Israel schliesse ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus: Offiziell war Israel selbstverständlich immer gegen die Islamische Revolution, inoffiziell aber unterstützte der Mossad den Iran während des 1. Golfkrieges mit Waffen, Ersatzteilen und und nachrichtendienstlichen Informationen. - Solange Iran und Irak sich gegenseitig zerfleischten ging von den beiden potentiell mächtigsten islamischen Staaten für Israel keine Bedrohung aus.

Ich tippe vielmehr auf Saudi Arabien: Dessen Herrscherfamilie gehört der Sekte der Wahhabiten an, die seit jeher Erzfeind der Schiiten ist - die wahhabitischen Ikhwan-Reiter plünderten sogar die den Schiiten heiligen Städte Kerbela und Nadschaf, wobei sämtliche Einwohner, die nicht schnell genug flüchten konnten, massakriert wurden. Dass die korrupten, frömmelnden saudischen Herrscher Angst vor Khomeini hatten und haben, ist daher klar - die Hasa-Provinz, in der sich die meisten saudischen Ölquellen befinden, wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt, welche von der saudischen Religionspolizei auf schärfste verfolgt werden. Vom saudischen Standpunkt her macht es daher durchaus Sinn, das westliche Vorurteil von den "bösen Schiiten" zu verstärken und zu "beweisen".

Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass auch ich diesen Mist bis vor einigen Jahren geglaubt habe. Da ich mich später näher mit den Schiiten befasste, und auch einige kennenlernte, darf ich sagen, dass ich von diesem Vorurteil gänzlich geheilt bin. Ich hoffe zudem, dass es mir mit diesem Posting gelungen ist, den Irrtum (hoffentlich endgültig) aufzuklären.

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