Die Bush-Doktrin kommt

Geschrieben von Simo am 27. Februar 2002 21:25:18:

Debatte - Washington formuliert eine neue Außenpolitik: "Amerika zuerst" ist nun die Leitschnur Amerika first.

Von Herbert Kremp

Die Meinung zu vertreten, dass die USA den Irak nicht angreifen, weil die internationalen Risiken zu groß sind, wird immer riskanter. Washington ist entschlossen, der Abwendung aller Gefahren von den Vereinigten Staaten fundamentale Priorität zuzumessen. Dies ergibt sich aus dem Rohentwurf einer neuen außenpolitischen Konzeption, die am Potomac zirkuliert und wohl in absehbarer Zeit das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird.

Die Bush-Doktrin bildet einen historischen Einschnitt. Sie verändert die Rangfolgen in der Außenpolitik. Sie schließt sogar den Einsatz von Atomwaffen nicht aus, sollten andere Mittel, die terroristische Gefahr in Quelle und Kern zu treffen, sich als stumpf erweisen.

Die Bush-Doktrin ist noch nicht implementiert, aber sie ist formuliert. Sie ist eine globale Doktrin der offensiven Verteidigung. Sie beurteilt alle Staaten, selbst verbündete, unter dem einzigen Kriterium, ob sie bereit und fähig sind, den Terrorismus mit allen Mitteln zu bekämpfen, „Seeräuberhäfen“ zu zerstören, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen aktiv zu unterbinden, der Al Qaida, deren Filitationen und anderen Terror-Gruppen jede Tolerierung, Unterstützung und Logistik zu entziehen, eigene Massenvernichtungsmittel unter strengster Kontrolle zu halten (Fall Pakistan) und die Produktion derartiger Waffen einzustellen (Irak, Iran, Nordkorea).

Sollten sich Staaten dieser Doktrin verweigern, müssen sie mit militärischen Interventionen rechnen. Sollten sie nicht in der Lage sein, sie zu befolgen, stehen sie fortan unter einer Art „Drogen“-Kontrolle. Sollten sie Widerspruch einlegen, gelten sie als unzuverlässig, im Falle hartnäckigen Widerspruchs als potentieller Feind.

Im Rohentwurf atmet die Bush-Doktrin äußerste Konsequenz. In dieser Form implementiert, definiert sie den Begriff des Verbündeten neu. Bestehende Allianz-Beziehungen werden ihrem Maßstab unterworfen. Weltpolitik wird neu justiert.

Der Vorgang erinnert an 1947 und die folgenden Jahre des Kalten Krieges mit der Sowjetunion. Mit drei Unterschieden: Die einzige Supermacht USA befindet sich im heißen Krieg. Sie ist entschlossen, den Angriff auf ihr Territorium und dessen weitere Bedrohung mit allen Mitteln zu beantworten. Neutralität erkennt sie in diesem Konflikt nicht an. Es gibt nur zwei Positionen: Für oder gegen die Vereinigten Staaten.

Eine Doktrin gleicht einem Arsenal von Waffen. Ihre Anwendung ist eine Frage des strategischen „Augenblicks“. Ist er gegeben, werden nicht gleich alle Waffen zum Einsatz gebracht – es gibt grundsätzlich keine Zwangsläufigkeit. Oft genügt auch das Vorzeigen der Folterwerkzeuge, um das politische Ziel der Doktrin zu erreichen. Wird sie politisch gehandhabt, kann es Gründe geben, die ihre militärische Anwendung blockieren, behindern oder nicht ratsam erscheinen lassen. Ein Angriff auf den Irak mit dem diesmal unbedingten Ziel der Beseitigung Saddam Husseins erscheint nach der Doktrin sehr plausibel, angesichts unberechenbarer Folgen jedoch immer noch als „last resort“. Amerika ist Weltmacht, nicht Allmacht.

Zwischen 1947 und 1991 verfolgten die USA in der Entwicklung der Truman-Doktrin drei Ziele: 1. Die Ausschaltung der Sowjetunion als Weltmacht; 2. Gesamtdeutschlands konsolidierte Begrenzung; 3. Die Erhaltung des US-Status einer „europäischen Macht“ (Jim Baker in der Rede über den „Neuen Atlantizismus“ in Berlin 1989). Alle Ziele wurden erreicht, das letzte mit der Nato-Ausweitung, die Clinton seit 1994 einleitete.

Die Bush-Doktrin wird sich in ihrer Entwicklung nicht auf die Beseitigung der terroristischen Untergrundmächte und ihrer Helfer beschränken. Ihre konsequente Verfolgung impliziert die Ausweitung in drei Richtungen:

– Kontrolle der vorder- und zentralasiatischen Transferstaaten vom Kaukasus bis zum Hindukusch;

– Verhinderung der islamistischen Machtergreifung in Saudi-Arabien;

– Konzentration des Interesses auf den Iran, Indien und China, wo neue Macht-Agglomerationen entstehen.

Zehn Jahre nach dem Kalten Krieg, ausgelöst durch die Aktionen des organisierten Terrorismus gegen die USA, schlägt die Differenz zwischen den politischen Kulturen Amerikas und Europas durch. Bush folgt mit seiner offensiven Defensiv-Strategie, mit Drohungen und Kampfbegriffen („Achse des Bösen“) Weltmachtregeln, die im Kern altbewährt sind, im intellektuellen Diskurs indes als archaisch gelten. Europa, zögerlich in der Einsicht terroristischer Global-Gefahr, hängt emotional an der „Irreversibilität“ der Friedens-Entwicklung (Genscher-Linie) wie an einem geistigen Tropf. Damit gerät es in die Gefahr, vom amerikanischen Radarschirm zu verschwinden.

Das Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion als aktiver Exponent des Weltkommunismus beruhte auf Konsens und schuf die scharfe politische Definition des „Westens“. Die Selbstverteidigung der USA gegen den Terrorismus sucht Solidarität über den Westen hinaus, unterwirft die gesamte Staatenwelt ihrem politisch-militärischen Diktum und operiert mit Koalitionen im jeweiligen Konfliktgebiet. Der Westen und seine Allianz ordnet sich ein oder zerfällt.

Als globale Strategie antwortet die Bush-Doktrin auf eine reale Weltgefahr. Sie enthält zwangsläufig provokative Elemente. Sie diktiert einen Verhaltenskodex am Rande der Unterwerfung. Sie steht unter Hegemonie-Verdacht.

Dass der Terrorismus eine Welt-Gefahr darstellt, wird „grundsätzlich“ nicht bestritten. Gegen die Konsequenz jedoch, die Freund-Feind-Teilung der Welt, wird sich Widerstand erheben. Zentren werden Russland und China sein. Europa nimmt die unsichere Mitte ein.


Aus Welt.de

Simo




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