Das Verhalten der türkischen Regierung, aus Sicht eines neutralen Beobachters
Geschrieben von M.a.o am 19. November 2005 07:49:41:
Als Antwort auf: Re: "Der Dritte Weltkrieg" aus Sicht eines türkischen Autors geschrieben von Apollo am 18. November 2005 18:21:47:
>hallo Napo
>ein bisserl wirr der Gute..?
>Mir scheint das ein generelles Problem vieler dogmatischer Muslime zu sein, dass sie etwas einfach nicht wahrhaben wollen: Das auch eine multikulterelle Gesellschaft grundsätzlich lieber die freiheitliche VIELFALT anstreben sollte - statt eine fanatisch-religiöse EINFALT !Man kann den Spieß natürlich auch genau umdrehen. Es ist doch immer wieder schön, wenn man einen Sündenbock findet, den man für all das Leid und Unglück des eigenen Volkes verantwortlich machen kann.
In der momentanen Situation ist das wahrscheinlich Balsam für die geschundene türkische Seele, da braucht man sich über den reißenden Absatz nicht zu wundern.
>Und es ist bezeichnend, dass viele Muslime sich in erster Linie als OPFER der (westlichen)Gesellschaft sehen..statt zu hinterfragen, ob sie vieleicht nicht doch
>einen wesentlichen Teil an dieser Entwicklung selber Schuld haben. Man kann nicht nur f o r d er n ...sondern muss sich auch kulturell ANPASSEN können in einem fremden Land, in dem man zu GAST ist!
>gruss apolloIch finde es halt ein bisserl unverschämt, wenn man einerseits nur fordert und absurde Bedingungen stellt, und andererseits bei den kleinstern Differenzen wie die ärgste Heulsuse reagiert. Als 1999 in Österreich eine schwarz-blaue Regierung gebildet wurde, war sofort Feuer am Dach. Da herrschte in ganz Europa Heulen und Zähneklappern, und zur Strafe wurden kurz darauf Sanktionen über Österreich verhängt, die aber schon nach ein paar Monaten wieder aufgehoben wurden, weil die "Gerechten" Europas diesen Schritt peinlicherweise nicht einmal im Ansatz begründen konnten.
Dafür rollt man für eine Regierung, die bis heute den Genozid am armenischen Volk bestreitet, den roten Teppich aus:
Istanbul (AFP) - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Bundestagsbeschluss zur Armenierfrage als "falsch und hässlich" kritisiert. Erdogan äußerte sich besonders enttäuscht von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Bei seinem kürzlichen Besuch in der Türkei habe sich der Kanzler noch der türkischen Haltung in der Armenierfrage angeschlossen, sagte Erdogan laut "Hürriyet". Vor dem Bundestagsbeschluss hätte der Kanzler seine Haltung erneut klarmachen müssen. Das habe Schröder jedoch nicht getan. "Ich schätze eher Politiker mit Rückgrat", sagte der Ministerpräsident.
(...)In ein Strafverfahren involviert
Dort ermittelt Staatsanwalt Andrej Gnehm seit 14 Monaten von Amtes wegen, ob der prominente türkische Historiker Yusuf Halacoglu in einem Vortrag im Frühjahr 2004 gegen das schweizerische Strafgesetzbuch verstossen hat. Dieses verbietet in seinem Antirassismusartikel, einen Völkermord zu leugnen oder zu verharmlosen. Als Wortführer der offiziellen Geschichtsschreibung der Türkei bestreitet Halacoglu, dass vor 90 Jahren im Osmanischen Reich mehr als eine Million Armenier planmässig deportiert und ermordet wurden - was der Nationalrat als Völkermord qualifiziert hat.
(...)Brandenburg setzte 2002 als erstes Bundesland den Völkermord an den Armeniern auf den Lehrplan im Fach Geschichte. Nach Interventionen des türkischen Generalkonsuls wurde die entsprechende Stelle in den Richtlinien Anfang 2005 gestrichen, jedoch Ende Januar nach Protesten in der Öffentlichkeit in geänderter Form wieder aufgenommen. (FAZ 24.01.2005, Hamburger Abendblatt 27.01.2005)
Der Deutsche Bundestag debattierte in seiner Sitzung vom 24. April 2005 erstmals eine von CDU/CSU vorgelegte Entschließung, die die Türkei aufforderte, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Redner verwiesen dabei auf die deutsche Mitverantwortung für die Gewalttaten durch das Wegschauen der deutschen Regierung, die durch ihre Gesandten über die Geschehnisse genau im Bilde war. Den Begriff des Völkermords vermied die Entschließung. Mit Rücksicht auf den Besuch von Kanzler Schröder in der Türkei wurde ihre Verabschiedung auf die Zeit nach der Reise verschoben.
Der Genozid am armenischen Volk
Außerdem ist es für mich absolut nich nachvollziehbar, wie ein Land das unbedingt in die Eu will, dann so eine Chance wie das Länderspiel gegen die Schweiz verbocken kann? Anstatt sich als guter Gastgeber zu präsentieren, wurde die schweizer Nationalmannschaft bereits am Flughafen vom Personal (!) mit Transparenten auf denen die wüstesten Beschimpfungen zu lesen waren, empfangen. Mal abgesehen von den Schikanen bei der Passkontrolle und Gepäckausgabe, und dem anschließenden Skandal nach dem Spiel, zeigten sich die Türken einmal mehr als ausgesprochen schlechte Verlierer. Ja, sogar FIFA Präsident Sepp Platter wurde von einigen Käseblättern der Verschwörung bezichtigt, was in meinen Augen nicht unbedingt die beste Visitenkarte ist, wenn man von jemand anderem etwas erwartet. Aber vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass die neutrale Schweiz kein EU Mitglied ist.
Ich neige bei Gott nicht dazu, alle Menschen (die mit der eigenen Regierung vielleicht ebenso unzufrieden sind) in einen Topf zu werfen, und kräftig umzurühren. Aber wenn man all diese Fakten am Ende betrachtet, stellt sich für mich als neutraler Beobachter dann doch die Frage: Wird hier mit zweierlei Maß gemessen, oder bin ich bloß ein schlechter Europäer?
Gruß
Mao
- Re: Das Verhalten der türkischen Regierung, aus Sicht eines neutralen Beobachter Hubert 19.11.2005 10:59 (0)