Re: @Franke43: Musik und Apokalypse
Geschrieben von Deyvotelh am 02. September 2005 16:47:52:
Als Antwort auf: Auch in der Musik geschrieben von franke43 am 02. September 2005 09:58:13:
>Hallo
>Auch Musikkompositionen können Prophezeiungs-
>charakter haben.
>Beispiel:
>Beethovens dritte Symphonie, die "Eroica",
>wurde ursprünglich als Huldigungswerk auf
>die französische Revolution und auf Bonaparte
>geschrieben, und zwar als Bestellung durch
>den General Bernadotte, späteren König von
>Schweden.
>Das Werk wurde fertiggestellt, bevor Bonaparte
>sich zum Kaiser Napoléon I ausrief. Aber schon
>vorher hatte der zweite Satz, der Trauermarsch,
>dem "Tod eines Helden" gegolten, den Beethoven
>nicht namentlich nennen konnte.
>Als Napoléon dann Kaiser wurde und damit für
>Beethoven und viele andere zum Verräter und
>Totengräber der Revolution wurde, war für
>Beethoven zunächst einmal sein früherer Held
>"gestorben". Die Widmung an Bonaparte wurde
>zerrissen und der Titel in "Sinfonia Eroica"
>(Heldensymphonie) umbenannt. Aber Beethoven
>wusste immer noch nicht, für WELCHEN Helden
>er den Trauermarsch geschrieben hatte.
>Im Jahr darauf besiegte die englische Flotte
>unter Nelson bei Trafalgar die vereinte
>französisch-spanische Flotte, obwohl die
>viel grösser war. Aber Nelson kam in der
>Seeschlacht um. Als Beethoven erfuhr, dass
>Nelson bei seinem grossen Sieg gefallen war,
>wusste er plötzlich, welchen Helden er
>gemeint hatte.
>Das ist keine Mythenbildung, sondern von
>Beethoven selbst bezeugt und in der Biographie
>von Amenda genau beschrieben. Und Amenda war
>ein guter Freund von Beethoven und hatte
>seine Angaben für die Biographie von
>Beethoven selbst.
>Es gibt auch Leute, die meinen, dass die
>kriegerischen Klänge in der sechsten
>Symphonie (geschrieben 1904) von Gustav Mahler
>eine prophetische Vorwegnahme des Ersten
>Weltkriegs sind.
>Vielleicht fallen ja den anderen Musikfreunden
>noch mehr Beispiele ein.
>Gruss
>Franke
Hallo Franke!Die Geschichte der "Eroica" ist mir teilweise bekannt gewesen durch meine Geschichtsbücher. Im Klassikbereich kenne ich mich jedoch sonst wenig aus.
Ich habe mitgekriegt, daß Du Dich beruflich mit klassischer Musik beschäftigst.Zu Mahler: "Es gibt auch Leute, die meinen, dass die
kriegerischen Klänge in der sechsten
Symphonie (geschrieben 1904) von Gustav Mahler
eine prophetische Vorwegnahme des Ersten
Weltkriegs sind.Vielleicht fallen ja den anderen Musikfreunden
noch mehr Beispiele ein."Im U bzw. Rock-Bereich: Da fällt mir so viel ein, daß ich es kaum aufzählen könnte.
Ich meine musikalische Vorwegnahmen zum kommenden Krieg etc.Hardcore seit den 90er Jahren ist eine einzige Schlacht und ich höre in den Texten wirklich Beschreibungen des III.Weltkriegs.
Unflätiges infernalisches "waaaaaaaaaaar"-Gebrülle ist da eigentlich der Grundton.
Nicht anders sieht es im Gothic/Wave-Bereich aus. Da höre ich riesige Überflutungen, Dürre oder Massaker heraus. Der Sound und die Poesie sind etwas narzistischer in der Machart als bei Hardcore oder Metal.
Bei einem Lied z. B. zieht sich ein schauerlicher Sirenenton durch das ganze Lied und der Refrain geht etwa so: "rush, rush, hell is waiting..."
Pop im Radio kannst Du vergessen, da höre ich nur "sunshine". Radio ist doch eh nur noch Systemsteuerung der Hochfinanz, damit alles reibungslos abläuft und die Leute ruhiggestellt sind.
Ausnahmen sind lokale Sender der Plattenindustrie wie "motor-fm", die spielen durchaus deftige Klopper.Auch im E-Bereich, d.h. moderne Klassik, hört man in den cacophonen Klängen die tiefe Verzweiflung und unauflösbare Verknotung in der Seele des modernen Menschen heraus.
William Shakespeare: "Man kann seine Rolle auf der Weltbühne nicht selbst wählen, nur unterschiedlich gut spielen."
Von Arnold Schönberg z.B. kenne ich die Gurre-Lieder, vollendet 1913.
Sie klingen unsagbar apokalyptisch und künden nicht nur das "III.Reich" an.Auch einen kommenden Krieg als logische Konsequenz der Einbahnstraße der Zeit an sich, in der wir gefangen sind. Nicht ist umkehrbar in der physischen Welt. Die Tragödie kommt auf uns zu.
Der Strom ist die Zeit, der uns ins Meer, ins Chaos treibt. Durch kräftige Gegenbewegungen können wir den Prozeß etwas verzögern, jedoch nicht verhindern.
Was nicht heißt, daß es nicht einen Gott gibt, der ein paar wenige Gläubige (und sogar Ungläubige!!!) auf übernatürliche Weise auf eine Arche setzt und sie so rettet, außerhalb aller Logik sozusagen.
Mein Resumee: Was zeitgenössische Musik angeht, schreiben wir schon lange das Jahr 1904.MfG Deyvotelh