Versatzstücke, typische "Wandermotive"

Geschrieben von franke43 am 05. Juli 2005 16:20:37:

Als Antwort auf: "Die letzte Schlacht" geschrieben von H.Joerg H. am 05. Juli 2005 14:26:58:

Hallo

Das ist wieder mal so ein Beispiel von "Treibgut".
Bestimmte Prophezeiungselemente haben sich offenbar
früher weit verbreitet und tauchen in immer neuen
Kombinationen der immer gleichen Grundmotive an
verschiedenen Orten in "alten Quellen" auf.

Aber gut, nehmen wir den Schäfer mal Ernst:

>Tag zusammen
>Eine uralte Sage, "Die letzte Schlacht" betreffend stammt aus Mecklenburg->Vorpommern

Wie alt ? Älteste Quelle der Textüberlieferung ?
Die Heimseite muss ich erst einsehen.

>und handelt von einem Schäfer Thomas, der folgendes vor langer Zeit,

Wie lange ist "lange Zeit" ?

>als Deutschland noch ein kleines Fürstentum war,

"Deutschland" war nie ein kleines Fürstentum. Aber
es bestand lange Zeit aus vielen kleinen Fürsten-
tümern, Grafschaften, Reichsstädten etc. pp.

>prophezeite: Deutschland werde einst groß und mächtig werden. Aber es werde >noch herrlicher kommen, denn die Leute werden so großen Reichtum erlangen, daß >sie die Kühe an goldene Ketten legen.

Das Motiv mit den goldenen Kuhketten ist so ein
typisches Versatzstück, das immer wieder auftaucht.

>Dann beginne jedoch der Verfall, und das ganze deutsche Reich wird am Ende der >Dinge nicht größer sein im Umfang, als ein Bauer mit vier Pferden an einem Tag >umfahren kann.

Auch das mit ganz klein werden ist so eine stehende
Wendung. Vgl. Prophezeiung des blinden Jünglings,
für dei auch keine alte Originalquelle vorliegt.

>Erfahrene Leute wissen gar zu berichten, wodurch und wie das Unglück >hereinbrechen wird: Der König von Mitternacht würde über den See gefahren >kommen und in einer gewaltigen Schlacht mit den Deutschen streiten.

Aha, und jetzt werde ich bitterböse:

Der König aus Mitternacht war der schwedische König
Gustav II Adolf, der sich in seiner Kriegspropaganda
in deutschland der "Löwe aus Mitternacht" nannte.

Die grosse Schlacht war die Schlacht bei Breitenfeld
1631, in der die Armee der katholischen Liga unter
Tilly eine vernichtende Niederlage einsteckte. Dass
Deutschland den Krieg gegen die schwedische Armee
nicht sofort verlor, hatte nur mit dem Eingreifen
des kaiserlichen Generalissimus Wallenstein zu
tun. Tilly hingegen verlor gegen Gustav II Adolf
noch eine Schlacht (bei Rain am Lech 1632) und dabei
auch sein Leben.

Viele Jahre später - nämlich 1648 beim Frieden von
Münster und Osnabrück - war zwar Deutschland nicht so
klein wie der Schäfer vorausgesagt hat, aber durch
den langen Krieg und die damit verbundenen Verluste
an Bevölkerung und Infrastruktur völlig am Boden.
1648 war Deutschlands erstes "1945".

Sollte der Hirte VOR dem 30-jährigen Krieg gelebt
haben, dann könnte man Teile seiner Aussage als
Prophezeiung dieses Weltkriegs des 17. Jahrhunderts
auffassen.

>Alle Deutschen gehen in diesem Kampf zu Grunde, nur soviele bleiben übrig, als >unter dem Laubdach einer Eiche Platz haben.

Naja alle Deutschen gingen im 30-jährigen Krieg
nicht zugrunde, und iom 1. und 2. WK auch nicht.
Aber die Verluste werden auf über 6 Millionen
geschätzt:

Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich:

Etwa 19 Millionen im Jahr 1618
Etwa 13 Millionen im Jahr 1648

Das war schon ein drastischer Aderlass.

Gruss

Franke


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