Re: Toxikologe: 'Dioxin typisch für Geheimdienstanschläge'

Geschrieben von JeFra am 14. Dezember 2004 07:11:47:

Als Antwort auf: Re: Toxikologe: 'Dioxin typisch für Geheimdienstanschläge' geschrieben von Swissman am 14. Dezember 2004 00:24:05:


In der heutigen (eigentlich gestrigen *g*) Ausgabe der "Neuen Zürcher Zeitung" wurden die behandelnden Ärzte dahingehend zitiert, dass eine nur geringfügig höhere Dosis tödlich gewirkt hätte.

Das wird in vielen anderen Zeitungen auch zitiert. Auf der anderen Seite zitiert ihn die baskische "Berria" mit den Worten, der Kranke sei nicht moribund gewesen, siehe hier.

Der Tod wäre in diesem Fall mutmasslich VOR Auftreten der charakteristischen Chlorakne eingetreten!

Ich habe vor einigen Jahren, um mir eine eigene Meinung zu der von den Grünen angeheizten Dioxin-Hysterie zu bilden, verschiedene Arbeiten zu dem Thema gelesen, beginnend mit der populärwissenschaftlichen Arbeit von Sandermann in den «Naturwissenschaften» von 1984, aber auch einige speziellere Literatur. Die Dioxin-Vergiftung hat danach fast in jedem Fall eine Latenzzeit von einigen Tagen. Die Chlorakne tritt unabhängig von der Art der Verabreichung auf. Ich werde mich in dieser Angelegenheit nochmal schlau machen.


Grundsätzlich scheint man als Wirkungsmechanismus der Dioxin-Vergiftung Enzyminduktion anzunehmen, das heißt, das TCDD wird vom Körper als Fremdstoff erkannt und es wird Boten-RNS synthetisiert, die ihrerseits die Synthese von Enzymen zum oxydativen Abbau derartiger Fremdstoffe bewirkt. TCDD ist aber auf diese Weise nicht abbaubar, so daß immer mehr Boten-RNS ausgeschüttet wird. Die beobachteten Symptome sind eine Sekundärfolge dieser Stoffwechselentgleisung. Wenn es nicht als Fremdkörper betrachtet würde, wäre TCDD anscheinend vollkommen harmlos. Bei diesem Wirkmechanismus könnte ich mir vorstellen, daß man die Latenzzeit nicht beliebig verringern kann. Außerdem kann die verabreichte Dosis nicht so hoch sein, denn es geht dem Patienten ja angeblich wieder gut.


Übrigens ist die Dixoin-Hysterie durchaus nicht ganz so ernst zu nehmen, denn es gibt einige Mikroorganismen, die das TCDD abbauen können. Außerdem soll die Substanz ziemlich empfindlich gegenüber UV-Strahlung sein. Im menschlichen Körper soll sie aber eine ziemlich lange Verweildauer haben, auch verglichen mit anderen Tieren. Sandermann schreibt, daß er damals vor dem Problem stand, die von ihm synthesierten 20g TCDD zu entsorgen. Er hatte für einen anderen Versuch noch eine starke Strahlenquelle, die entsorgt werden mußte. Er hat die beiden Substanzen zusammen in ein starkes Bleirohr eingelötet und in die Nordsee geworfen. Bis zur Korrossion des Rohres soll die Strahlung vollkommen abgeklungen und das TCDD durch die Strahlung zerstört sein.


Mutmasslich deshalb, weil der Wissenschaft bislang noch kein Fall unterkam, in dem Dioxin in hoher Dosierung oral aufgenommen worden war - in den bekannten Fällen gelangte das Toxin jeweils über den Atemweg in den Körper.

Beim Menschen sicher nicht, jedenfalls ist mir kein anderer Fall bekannt, in dem ein Geheimdienst TCDD für einen Mordversucht benutzt hat oder dieser Verdacht besteht. Aber bei Tieren ist es durchaus zu Massenvergiftungen durch orale Aufnahme von TCDD gekommen, siehe beispielsweise hier: The name given to this unknown factor known to be present in the oil of the feed was 'chick edema factor'.

Anders gesagt: Juschtschenko hat wohl seinen Teller nicht ganz leergegessen. Hätte er dies getan, wäre er gestorben, wobei der Pathologe, mangels entsprechender Symptome, keinerlei Grund zur Annahme gehabt hätte, dass die Todesursache eine Dioxinvergiftung gewesen sein könnte. Eine entsprechende Spezialanalyse wäre in diesem Fall natürlich unterblieben.

Die Latenzzeit von angeblich nur wenigen Stunden ist jedenfalls sehr ungewöhnlich. In der von mir studierten Literatur wurde eher die biologische Abbaubarkeit untersucht, und es wurden Tierversuche mit unterschiedlichen Dosen und Verabreichungsformen (auch oral!) unternommen. Es sind immer etliche Tage bis zum Tod der Versuchstiere vergangen. Sicher ging es in erster Linie darum, den Mechanismus der Giftwirkung zu ergründen. Mit extrem hohen Dosen wurde wahrscheinlich nicht experimentiert. Auf der anderen Seite ist für mich ganz naheliegend, daß man die Latenzzeit nicht beliebig verringern kann. Und extrem hoch kann die aufgenommene Dosis wohl nicht gewesen sein, sonst ginge es Juschtschenko nicht wieder gut.


MfG
JeFra


Antworten: