Bombenkrieg: Die alliierte (Fehl)planung
Geschrieben von Swissman am 26. November 2004 03:15:31:
Als Antwort auf: Re: Ja, manchmal. Nicht immer. / auch @Swissman geschrieben von Johannes am 25. November 2004 15:02:09:
Hallo Johannes,
>> Tja, warum zerbombte man dann nicht Deutschlands einzige Fabrik zur Herstel-
>> lung eben dieser Treibstoffzusätze, wenn der Krieg hätte dadurch rasch been-
>> det werden können?Jetzt wäre es natürlich sehr interessant, zu wissen, wo genau "im Osten" die bewusste Farbik sich befunden hat: Die Reichweite einer vollbeladenen Avro Lancaster betrug etwa 1600km. Der grösere Teil der deutschen Ostgebiete befand sich daher bis relativ kurz vor Kriegsende ausserhalb der Gefahrenzone(unter "Osten" ist hier natürlich nicht Mitteldeutschland zu verstehen, sondern Pommern, Schlesien und Ostpreussen).
So wurde etwa Swinemünde (auf der Insel Usedom, in der Oder-Mündung) meines Wissens am 12. März 1945 zum ersten Mal überhaupt bombardiert (dafür fiel der Angriff jedoch besonders vernichtend aus). Auch Dresden war bis zum verhängisvollen 13. Februar weitgehend intakt geblieben. Und auf Prag (obwohl damals ein bedeutendes Industrierevier) fiel bis Kriegsende keine einzige aliierte Bombe. - Die (sehr wenigen!) kriegsbedingten Schäden, die in Prag auftraten, sind ausnahmslos das Werk des dortigen Pöbels sowie marodierender Rotarmisten (dies auszusprechen mag derzeit politisch unerwünscht sein, was mich aber nicht wirklich beeindruckt).
Aus gutem Grund wurden Kinder und Jugendliche während der Kriegszeit im Rahmen der Kinderlandverschickung bevorzugt in den Ostgebieten untergebracht (dass viele Kinder, insbesondere Mädchen, infolgedessen, kurz vor und nach Kriegsende, vom Regen in die Traufe kommen würden, war damals allerdings nicht absehbar). - Nicht zuletzt verbrachte auch Adolf Hitler selbst einen guten Teil der zweiten Kriegshälfte im in der Nähe des ostpreussischen Rastenburg gelegenen FHQ Wolfsschanze.
Es ist daher gut möglich, dass das fragliche Industriewerk sich ebenfalls ausserhalb der Reichweite der allierten Bomber befand.
Ob man die Fabrik, wenn ein Angriff aufgrund der Distanz möglich gewesen wäre, tatsächlich attackiert hätte, ist freilich eine völlig andere Frage - wahrscheinlich eher nicht: Namentlich die Führung der englischen Luftwaffe, insbesondere die Clique um Arthus Harris, war zu diesem Zeitpunkt völlig in den Theorien von Giulio Douhet und Hugh Montague Trenchard gefangen (soweit es Harris betrifft kam er zeitlebens nicht davon frei). Douhet und Trenchard postulierten schon früh, dass es möglich sei, einen Krieg ausschliesslich durch den Einsatz schwerer Bomber gegen zivile Wohngebiete zu führen und zu gewinnen.
In Grossbritannien fand Trenchard in Winston Churchill bereits während des Ersten Weltkrieges einen überzeugten Anhänger und Förderer. Tatsache ist, dass die britische Führung, auf Initiative Churchills, bereits für Ende 1918/Anfang 1919 die Aufnahme von Tausend-Bomberangriffen auf Berlin fest eingeplant gehabt hatte! - Das Kriegsende verhinderte die Durchführung dieser Pläne fürs erste.
Während der Zwischenkriegszeit erfreuten sich Douhets und Trenchards Theorien bei so gut wie allen Grossmächten ungebrochener Beliebtheit. - Deutschland stellt insofern eine Ausnahme dar, als Guderian in seinem wegweisenden Buch "Achtung Panzer" bereits 1937 voraussagte, dass diese Theorien in der Praxis scheitern würden. Er empfahl stattdessen den Aufbau einer schlagkräftigen taktischen Luftwaffe, die in erster Linie eng mit den Bodentruppen zusammenwirken sollte. - Heute wissen wir, dass Guderian völlig recht hatte, während Douhet und Trenchard auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind - selbst ihre Namen sind heute weitgehend vergessen.
In der Realität wurden Kampfmoral und Durchhaltewillen der Bevölkerung durch die allierten Terrorangriffe sogar noch zusätzlich angefacht (was eigentlich jedem, der über ein Minimum an gesundem Menschenverstand verfügte, ohnehin hätte klar sein müssen).
In Frankreich und, vor allem, in Grossbriannien, setzten sich jedoch die Anhänger Douhets und Trenchards durch. Hier ging man davon aus, dass Angriffe auf zivile Wohngebiete das "beste" Kosten-Nutzen-Verhältnis hätten: Mit vergleichsweise geringem Kapital- und Personaleinsatz sollte die Moral der Zivilbevölkerung gebrochen, und diese zum Aufstand gegen die eigene Führung gebracht werden. Daraufhin richtete man die gesamte Rüstungspolitik aus...
Aufgrund einer jahrelang von falschen Prämissen ausgehenden Rüstungspolitik waren namentlich die britischen Fliegertruppen schliesslich weitgehend ausserstande, Punktziele mit hinreichender Sicherheit anzugreifen. - Anstattdessen entwickelte man die Technik der Flächenbombardierung immer weiter.
Die Amerikaner versuchten dies anfänglich zumindest, scheiterten aber ebenfalls an der Realität: Die USAAF ging davon aus, dass für Präzisionsangriffe Tageslicht unabdingbar sei. Da am Tag auch für die Jagdflieger ideale Bedingungen herrschten, entwickelte man das Konzept der "Fliegenden Festung": Durch Bestückung mit einer erheblichen Anzahl Maschinengewehre und Einhaltung spezieller Formationen sollte es den Abfangjägern verunmöglicht werden, auf Schussdistanz an den Bomber heranzukommen. In der Praxis versagte diese Theorie.
Zu Beginn hatten die US-Luftstreitkräfte tatsächlich eine Idee, die der Spitamas nicht unähnlich war: Kugellager waren (und sind) strategisch äusserst wichtig: Ohne Kugellager keine motorisierte Kriegsführung! Nun hatte man aber herausgefunden, dass die deutsche Kugellagerindustrie überwiegend im Grossraum Schweinfurt konzentriert war: Die Absicht war, diese Fabriken mittels Präzisionsangriffen zu vernichten. - Damit wäre Deutschland faktisch innert weniger Wochen zur Kriegsführung unfähig gewesen.
Aufgrund der unerwartet hohen Verluste wurde diese Art von Angriffen relativ bald wieder eingestellt, und man ging, unter offizieller Beibehaltung der Maxime, sich auf Präzisionsangriffe zu beschränken, nach und nach dazu über, Flächenziele, d. h. Städte, zu bombardieren. - Schliesslich bestand der einzig wirklich relevante Unterschied zwischen den beiden darin, dass die Amerikaner (v. a. mangels Nachtflugausbildung) ihre Einsätze weiterhin bei Tag flogen.
Auf der anderen Seite ging man in Deutschland immer mehr dazu über, kriegswichtige Industrien unter die Erde oder in die Ostgebiete auszulagern. Zudem streute man die Produktion möglichst auf mehrere Standorte.
Der amerikanische General George S. Patton war übrigens entsetzt, als er, nach Überschreitung der deutschen Grenze, feststellte, wie der Begriff "Präzisionsangriff" tatsächlich zu verstehen war. - Die Seiten seines Tagebuches, auf denen er dem Vernehmen nach seine nächste Begegnung mit dem verantwortlichen Offizier der US-Luftwaffe schilderte, unterliegen bis heute der Geheimhaltung.
mfG,
Swissman
P. S.: Das wohl beste Werk zum Thema ist Jörg Friedrich's Buch "Der Brand" (ISBN: 3548604323) - dieses Buch sollte meiner Ansicht nach eigentlich jeder Deutsche einmal gelesen haben.